Der Tod und die Leben

Ein neuer Film erinnert an die multiplen Leben von Videospielcharakteren. Grund genug, sich die Entwicklung des Phänomens Sterben im Spiel anzusehen.

Ein Film, der ein klassisches Science-Fiction-Sujet mit der Bonuslebenlogik von Computerspielen kombiniert“, schreibt „Presse“-Kinokritiker Christoph Huber über den soeben angelaufenen Tom-Cruise-Actionfilm „Edge of Tomorrow“, eine wilde Mischung aus dem Konzept hinter „Und täglich grüßt das Murmeltier“ und Alien-Schlachtereien wie „Starship Troopers“.

Während Filme uns hier ja generell nur peripher interessieren, lohnt es sich, aus diesem Anlass einen genaueren Blick auf das Sterben im Spiel zu werfen – zuletzt hat sich auf dem Gebiet nämlich einiges getan, etwa die Renaissance der „Roguelikes“, die das Sterben der Spielfigur schon beinahe zur Kunstform erhoben haben.

Aber von vorn: Wenn man das philosophische Konzept „Leben“ im Spiel ansehen will, sollte man den Fokus vor allem auf Videospiele legen – nicht, dass der Tod in klassischen Gesellschaftsspielen oder „Pen and Paper“-Rollenspielen, zu denen man sich mit Freunden um einen Tisch versammelt, keine Rolle spielte; weil es bei solchen Spielen aber darum geht, eine Runde gut zu unterhalten, enthalten sie fast immer Mechanismen, um „ausgefallene“ Spieler wieder ins Spiel zurückzuholen.

Anders bei Videospielen, bei denen ein Einzelner vor seinem Computer (bzw. seiner Konsole) etwas erleben möchte. Hier stellte sich für die Designer der ersten Computerspiele schnell das Problem, das zu finden, was man heute in Fachkreisen den „Flow“ nennt: die richtige Balance aus Frustration und Erfolgserlebnissen, die das Interesse des Spielers aufrechterhalten. Musste der Spieler bei jedem Misserfolg – ob dies das falsche Lösen eines Rätsels in einem Puzzle à la „Tetris“, die Begegnung mit einem besonders üblen Monster in einem Rollenspiel oder das Verfehlen einer Plattform in einem Jump and Run wie „Super Mario“ war – von vorn beginnen, machte dies bald die Motivation zunichte weiterzuspielen. Genau das lief aber dem Geschäftsmodell der Spiele zuwider: Die Entwicklung der Videospiele trug sich bekanntlich zu einem nicht unwesentlichen Teil in den „Arcade Games“ zu, den Apparaten, die in Kaufhäusern oder Kinos aufgestellt gegen Münzeinwurf die ersten digitalen Spielewelten eröffneten.

Ziel ihrer Hersteller war es – das Problem kennt auch die Glücksspielbranche mit ihren unseligen Automaten –, die Spieler am Spielen zu halten, aber eben nicht ewig, sodass sie bald wieder Geld nachschießen müssen, um weiterzuspielen. Es stellte sich aber schnell heraus, dass die Spieler dazu nicht bereit waren, wenn bereits ein kleiner Fehler ins Verderben führte.

Und so kamen die „Leben“ ins Spiel: Wer an einem ersten Versuch scheiterte, konnte weiterspielen, solange er noch „Leben“ zur Verfügung hatte. Einer ungeschriebenen Konvention zufolge waren es meistens drei Leben, die einer Spielfigur zugemessen wurden, bevor der Spieler „Credits“, also weitere Münzen, nachschießen musste.

Diese Kultur übernahmen auch die ersten PC- und Konsolenspiele. Ikonisch umgesetzt zeigt sich das „Leben“-Konzept etwa in Nintendos Urvater, „Super Mario“: Der springende Installateur machte sich mit drei Leben auf den Weg, seine Prinzessin vor dem bösen Schildkrötenkönig zu retten, konnte sich aber durch das Sammeln von mannsgroßen Münzen und grünen Pilzen, den „One-ups“, zusätzliche Chancen verdienen. (Dass das alles ziemlich psychedelisch klingt, wird einem auch erst mit einer zeitlichen Distanz zum Spiel klar.)

Mit dem Wachsen der Speicherplatten von Computern und Konsolen machten der Tod und die Leben dann dem Speichern Platz: Anstatt den Spieler einfach weiterspielen zu lassen, konnte er das Spiel zu beliebigen oder bestimmten Punkten „einfrieren“, um im Fall einer Niederlage einfach wieder an diesen Punkt zurückzukehren. Ein System, das vielen Spielen die „Schärfe“ nahm, weil manche Spieler im Fall des Misserfolgs einfach einen Spielstand wieder luden, anstatt die damit verbundenen Nachteile in Kauf zu nehmen. Ein Konzept, das gerade dazu einlud, kreativ gebrochen zu werden. Am PC schaffte das bisher einzig „Planescape: Torment“, ein Rollenspiel, in dem die Spielfigur – ein zur Unsterblichkeit verfluchter Gedächtnisloser – bei jedem Tod etwas über seine Vergangenheit lernte.

Viele moderne Spiele, etwa die erfolgreichen Shooter vom Typus „Call of Duty“ erledigen das Speichern inzwischen automatisch, indem sie an „Checkpoints“ selbsttätig Speicherstände anlegen, zu denen gescheiterte Figuren zurückkehren. Der Tod ist in solchen Spielen – und noch stärker in den Vielspieler-Rollenspielen des Internets – zu einer bloßen Unannehmlichkeit verkommen, einem lässlichen Aufwand, der den Spielfluss nur kurz unterbricht.

Kleinere Happen, leichterer Tod

Während die großen Konzerne in ihren Spielen dem Tod die Zähne gezogen haben – aus Angst, ihre Kunden durch übermäßige Härte zu vergraulen –, erlebt der Tod in der Indie-Developerszene gerade einen zweiten Frühling: Das Genre der „Roguelikes“, in dem der Spieler sich auf unterschiedliche Weise einer Reihe von zufällig generierten Herausforderungen stellt und in dem jedes Versagen „Permadeath“ bedeutet – also, dass man völlig von vorn anfangen muss –, ist gerade sehr in Mode.

Das verdankt es nicht zuletzt dem Erfolg von „FTL“, einem beinharten Raumschiffsimulator, der dank einer Crowdfunding-Kampagne programmiert werden konnte und weltweit tolle Kritiken einheimste. Bei „FTL“ steuert man seine Crew durch ein feindliches Universum voller Piraten, Rebellen, Asteroiden und Sonnenwinde. Ein Spiel dauert im Normalfall keine Stunde – und wer einmal scheitert, hat verloren und kann von ganz vorn anfangen.

Es dürfte mit den veränderten Nutzungsgewohnheiten der modernen Spieler zusammenhängen, dass das schnelle Ende wieder in ist: Die Spiele, mit denen sich Massen erreichen lassen, sind nicht mehr ausschließlich die 80-Stunden-Epen, die die 1990er und Nulllerjahre geprägt haben, sondern zunehmend kleinere (und billigere) Happen. Wenn man nicht bereits 40 Stunden in ein Spiel investiert hat, sondern vielleicht gerade einmal 20 Minuten, verkraftet man auch ein Versagen besser, das einen zurück an den Start schickt.

Kommende Woche sehen wir uns ein Spiel an, dass das „Roguelike“-Prinzip auf die Spitze treibt. Sie finden es schon jetzt auf shimage.net/one-tap-quest. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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