Luchse und Kamele

Weltmeisterschaft? Ich bitte Sie! In den vergangenen Tagen sind wichtigere Titel verliehen worden: „Spiel der Spiele“ und „Spiel des Jahres“, die größten Auszeichnungen in Österreich und Deutschland.

Mehrere hundert Brett-, Karten- und andere Gesellschaftsspiele erscheinen Jahr für Jahr. Für den mehr oder minder mündigen Konsumenten eröffnet das genau drei Möglichkeiten: Er kann in ein Geschäft gehen und sich von klingenden Namen oder bunten Schachteln inspirieren lassen; er kann im Voraus die geeignete Fachliteratur nach gefälligen Produkten durchstöbern – oder, die zeitsparendste und gleichzeitig trotzdem qualitätssicherste Methode: Er kann sich dem Urteil einer fachkundigen Jury anvertrauen.

Derer gibt es bekanntlich zwei: den deutschen Verein Spiel des Jahres, der am Montag die gleichnamige Auszeichnung, den legendären roten „Pöppel“, vergeben hat. Auch wenn der gerüchteweise immer wieder genannte Faktor zehn, um den dieser Aufdruck auf den Spieleschachteln die Verkaufszahlen früher in die Höhe hat schnellen lassen sollen, inzwischen Geschichte sein dürfte. Wie es aus der Branche immer wieder heißt, handelt es sich fraglos um den wichtigsten Spielepreis weltweit. Und dann gibt es noch das österreichische Pendant, die Wiener Spiele Akademie, die bereits im Juni das „Spiel der Spiele“ erwählt hat.

Letzterer Preis geht heuer an „Abluxxen“: ein flottes, unkompliziertes Kartenspiel für zwei bis fünf Spieler von Michael Kiesling und Wolfgang Kramer, erschienen bei Ravensburger, das beim ersten Anspielen ein wenig an „Jolly“ und „Uno“ erinnert.

Zum Einsatz kommen acht bunte (und mit dem ikonischen Luchs versehene) Kartensätze mit Kartenwerten von eins bis 13, dazu fünf Joker. Jeder Spieler nimmt zunächst einmal 13 Karten auf, sechs weitere kommen in einen offenen Talon. Reihum kann jeder Spieler nun eine beliebige Karte aus seiner Hand oder mehrere des gleichen Wertes offen vor sich ablegen. Entspricht deren Zahl jener von offenen Karten vor einem Mitspieler und ist der Wert der selbst abgelegten Karte(n) höher als jener des Mitspielers, muss er „abluxxen“ – entweder er nimmt die Karten des Mitspielers selbst auf die Hand oder zwingt ihn, sie aufzunehmen oder aus dem Spiel zu entfernen. Dann muss der andere Spieler Karten nachziehen.

Im selben Spielzug kann man auch bei mehreren Mitspielern „abluxxen“. Das Spiel endet, wenn einer der Spieler keine Karten mehr auf der Hand hat oder der Nachziehstapel und der Talon erschöpft sind – dann zählt jede abgelegte Karte einen Punkt, für jede Karte auf der Hand gibt es einen Punkt Abzug. Ziel ist es also, Karten in solchen Paketen abzulegen, die von den Mitspielern nur sehr schwierig gematcht werden können– also entweder sehr viele niedrige oder wenige hohe Karten.

„Abluxxen“ ist ein sehr dynamisches Spiel, in dem über zig Spielzüge erarbeitete Kartensets binnen Sekunden wieder abgeluchst werden können. Hingegen heißt das auch, dass Spieler, die sich schon chancenlos wähnten, schnell wieder ins Spiel zurückkommen können. Geeignet sowohl für Familien als auch für Kenner, die sich ihre Strategie schon mehrere Spielzüge im Voraus ausrechnen.

Kamele obenauf

Jenseits der deutschen Grenze hat sich aus der mit dem Partyspiel „Concept“ sehr harten Konkurrenz am Ende doch „Camel up“ im Rennen um den Titel „Spiel des Jahres“ durchgesetzt. Wir haben es an dieser Stelle schon einmal beschrieben, daher nur die Kurzerklärung des Zwei- bis Acht-Spieler-Spiels aus dem Pegasus-Verlag, verfasst von der Jury: Dieses Kamelwettrennen ist völlig verrückt: Die Höckertiere sitzen tatsächlich huckepack aufeinander, wenn sie auf einem Feld landen – und das unterste zieht die Kollegen oben auch noch mit! Wie soll das bloß ausgehen? Das ist das Problem der Spieler: Sie sollen auf den Rennausgang wetten. Und zwischendurch darauf, wer vorn liegt, wenn jedes Kamel einmal gezogen hat. Wer ein gutes Näschen beweist, verdient da viel Geld. Häufig geht das aber auch schief, wenn die Kamele entgegen jeder Wahrscheinlichkeit machen, was sie wollen. Das turbulente Spiel funktioniert sowohl in kleinen als auch in großen Runden. Ab sechs Spielern sinkt der Einfluss natürlich deutlich, aber das stört nicht. Denn dann wird aus dem Familienspiel „Camel up“ eben ein prima Partyspiel.

In der Begründung der Jury heißt es weiter, dass das Spiel den Titel verdient habe, weil dank „seiner eingängigen Regeln alle schnell mittendrin sind“. „Das wilde Rennen“ löse bei allen Spielern Emotionen aus, „es wird in allen Altersklassen gehofft, gebangt und gelacht“. Weitere Punkte, die aus „Camel up“ ein Gesamtkunstwerk machten: Die kurze Spieldauer und das schön gestaltete Spielmaterial, darunter besonders die „Würfelpyramide – ein Teil des Spielfelds, der gleichzeitig als Zufallsgenerator dient, indem er auf Kommando einen Würfel ausspuckt.

Wenn jemand mit dieser Wahl nicht einverstanden ist, lohnt sich ein Blick auf die Empfehlungslisten der Jurys – und: im Kopf zu behalten, was Thomas Felber, Vorsitzender der deutschen Jury schreibt: „Es ist nicht zu vermeiden, dass gute Spiele auf der Empfehlungsliste fehlen.“ ■


Alle Sieger und Jury-Empfehlungen:
„Spiel des Jahres“: Camel up, nominiert: Splendor, Concept

Empfehlungen der Jury: Voll Schaf, SOS Titanic, Love Letter, Potato Man, Sanssouci
„Kinderspiel des Jahres“: Geister, Geister, Schatzsuchmeister!, nominiert: Richard Ritterschlag, Flizz & Miez

Empfehlungen der Jury: Welches Tier bin ich?, Game over, Gruselrunde zur Geisterstunde, Speed Cups, Zieh Leine, Flynn, Oh Schreck, der Speck fliegt weg!, Feuerdrachen
„Kennerspiel des Jahres“: Istanbul, nominiert: Concordia, Rokoko

Empfehlungen der Jury: Guildhall, Amerigo, Russian Railroads, Blood Bound


„Spiel der Spiele“: Abluxxen

Sonderpreis Kleinkinderspiel: Raben stapeln
Spiele-Hit für Kinder: Die verrückte Vogelscheuche, Flizz&Miez, Geisterei, Hetzennach Schätzen, Speed Cups
Spiele-Hit für Familien: Camel up, Tortuga, Voll Schaf
Spiele-Hit mit Freunden: Blood Bound, Concept, Norderwind
Spiele-Hit für Experten: Caverna, Russian Railroads
„Griffin Scroll“ für herausragende Fantasyspiele: Krosmaster Arena, Star Wars: Am Rande des Imperiums

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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