Ein Baby macht Karriere

Die Monchhichis, diese äffchenartigen, am Daumen nuckelnden Geschöpfe, die einst jedes Kinderzimmer erobert haben, feiern ihren 40.Geburtstag. Anders als in Europa sind sie aus ihrem Heimatland, Japan, nie verschwunden. Ein Besuch.

Der Besucher packt seine Plastiktasche ein und nickt glücklich. „Arigatou“, sagt er verlegen, danke. Ayumi Terao nickt auch, verbeugt sich, lächelt. Der Mann, ein Franzose, verlässt den Laden und verschwindet im Getümmel der Touristen. Wieder einmal hat einer bei diesen Figuren zugeschlagen, den ganzen Tag gehe das so. „Die verkaufen sich einfach am besten“, sagt Ayumi Terao, die Ladenbesitzerin. Neben Winkekätzchen, wackelnden Miniatursumoringern aus Plastik, batteriebetriebenen Minimaikos und Samuraifiguren seien es diese äffchenartigen Geschöpfe, die die Leute haben wollen.

Vor allem Ausländer seien begeistert. Ayumi Terao blickt in ihrem kleinen Laden im historischen Zentrum Tokios, der voll mit Devotionalien ist, um sich. Wie die vielen anderen Geschäfte liegt er auf dem Weg, der zum Sensojitempel führt, dem ältesten der japanischen Hauptstadt. Es gibt keinen Zentimeter freien Platz. Sitzend in den Regalen, von der Decke hängend, auf dem Boden liegend gibt es das, was Verständnislose als Staubfänger abtun würden, wofür Liebhaber aber eigens nach Japan reisen. Der Besucher aus Frankreich wollte drei Exemplare: ein größeres, einfaches der ersten Stunde, eine japantypische Figur im Maikokostüm und einen kleinen Schlüsselanhänger. Insgesamt hat er dafür gut 100 Euro ausgegeben. Aber ohne diese kleinen Äffchen, die vor vielen Jahren Kultstatus erreichten, wäre sein Japan-Besuch zwecklos, gestand er beim Kauf.

Die Monchhichis, jenes Spielzeug mit der wohl bekanntesten Kuscheltierentwicklung weltweit, feiern heuer ihren 40.Geburtstag. In Japans Hauptstadt wurden sie einst groß, eroberten von dort fast jeden Kontinent. Die Kinderzimmer des Westens stürmten sie als die niedlichen Äffchen, die am Daumen nuckeln. Später wurden sie als TV-Stars noch berühmter. Und nachdem ihnen ab den 1990er-Jahren ein Platz in den Sammlerregalen sicher schien, später in den Onlineforen von Melancholikern, aber nicht mehr viel mehr als das, könnten sie heute eine Wiederauferstehung feiern.

1974 erfand die Tokioter Traditionsfirma Sekiguchi die Kreaturen. Der Großvater des heutigen Geschäftsführers hatte Plastikpuppen hergestellt. Nur fühlten die sich nicht so weich an, wie es sich der alte Sekiguchi wünschte. Anfang der 1970er wollte er eine Puppe entwickeln, die Liebe und Schönheit verkörperte. Das Ergebnis bekam ein Fell, um weicher zu sein, und ein niedliches Gesicht, damit es liebenswert aussehen würde. Und irgendwie sah der Charakter dann so aus wie ein recht menschliches Affenbaby.

Der Name Monchhichi, so erzählt man sich heute in Japan, stammt in der ersten Silbe vom englischen Wort „monkey“ für „Affe“ oder aber auch vom französischen „mon“ für das Possessivpronomen „mein“. „Chhichi“ soll eine Verniedlichung von „chuchu“ sein, wie man im Japanischen das Nuckeln bezeichnet. Kurz nach der Markteinführung in Japan fluteten die Monchhichis Westdeutschland, Großbritannien, Italien, Frankreich, Dänemark, Österreich und andere Länder. In den 1980er-Jahren erreichten sie die USA; in Deutschland sollen sich die Monchhichis in den 1980er-Jahren sogar häufiger verkauft haben als in Japan. Überall wurden sie als „nuckelnde Äffchen“ bekannt. Allein das reichte wohl für ihren Weltruhm.

„Das machen sie ja vor allem“, sagt Ayumi und lächelt. „Sie nuckeln.“ Ein typischer Monchhichi hat eine Art Schnuller an einem Daumen, der Arm ist durch das Material biegsam genug, sodass man den Finger der Puppe in die genau passende Mundöffnung schieben kann, wo er dann stecken bleibt. Das war's. Mehr kann ein Monchhichi eigentlich nicht. So sind sie bei den meisten Besitzern auch eher im Regal vorzufinden. Kinder, die Puppen zum Spielen haben wollen, haben mit moderneren, die pinkeln, sprechen oder essen können, womöglich mehr Spaß.

So süß!

„Aber sie sind so süß!“, sagt Ayumi Terao. Sie benutzt den Begriff „kawaii“, japanisch für „niedlich“, das typische Wort, mit dem Japaner ihr Entzücken ausdrücken. Sie selbst habe daheim mehrere Monchhichis, genau wie ihre Mitarbeiterinnen. „Drüben habe ich noch einen anderen Laden“, sagt die Frau und zeigt nach hinten. „Da gibt es nur Monchhichis, der ganze Laden ist voll.“ Keine Winkekatzen oder Minisamurais, mit denen die japanische Monchhichi-Tradition konkurrieren müsste.

Ein dreiminütiger Fußweg führt zu einer Hinterstraße des Sensojitempels. In einem Schaufenster steht ein Monchhichi, so groß wie ein groß gewachsener Mensch, so breit wie ein schlankerer Sumoringer. Sein Gesicht scheint Weinen auszudrücken. „Vielleicht, weil er noch nicht gekauft wurde?“, fragt eine Frau, die beim Vorbeigehen kurz stehen bleibt. Im Laden, der sich die Monchhichi Gallery nennt, sind sie in den Regalen zuhauf zu finden: handtellerklein, ellengroß, als Samurai, Geisha, Polizist, Popstar, Prinzessin, Baseballspieler, Baby, Krankenschwester oder Fee, sogar als Sultan, Pastor und Mönch. Sie kosten zwischen drei und mehr als 100 Euro. Für Kinder gibt es Zeichenblöcke, für Sammler Kollektionsbücher. „Die Monchhichis für alle Lebenslagen“, sagt Ayumi Terao.

Und das könnte auch in Europa bald wieder so sein. Ulrich Brobeil, Vorsitzender des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie, sagte kürzlich in einem Interview, dass Kuscheltiere auch für Kinder von heute noch spannende Spielzeuge sind. Kuschelig müssten sie sein, große Augen haben, Tiereigenschaften aufweisen. „Auf der letzten Spielwarenmesse habe ich sogar wieder Monchhichis gesehen. Ich glaube, sie erleben demnächst eine Wiederauferstehung.“

In Japan würde man sich eher wundern, dass die niedlichen Geschöpfe jemals vergessen worden sein sollen. Zum 30. Jubiläum vor zehn Jahren brachte Sekiguchi das Bebichhichi heraus, ein besonders jung erscheinendes Monchhichi. Und in den 1980er-Jahren, kurz nachdem die ersten Geschöpfe in den Handel gekommen waren, erschien schon die erste Animeserie. Die Monchhichis erhielten plötzlich Persönlichkeiten, die sich ihre Besitzer fortan also nicht mehr selbst ausdenken konnten. In der Serie „Die Monchhichis“ leben sie auf Bäumen, lieben Harmonie und das Leben in der Gemeinschaft. „Monchhichi bedeutet Glücklichsein“, heißt es im Anfangslied jeder Episode bedingt originell. Es erinnert an Serien wie die Glücksbärchis oder die Gummibärenbande, in der kuschelige Kreaturen das unschuldig Gute verkörpern und ein Gegner ihnen diese Welt mit großem Gefallen am Bösesein streitig machen will. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.