Treffer: Hinter dir der Sitzfleischhauer

Schwierige Wochen. Seine Frau ist wieder krank, die Lunge, der Arzt hat zu einem weiteren Aufenthalt in den Bergen geraten. Und daseben jetzt, da er sie so gerne neben sich wüsste. Die Aufführung, zu der er nach Berlin reist, liegt ihm im Magen. Sein Stück, das am 3. Jänner 1913 seine Premiere erleben soll, überzeugt ihn nicht wirklich. Im Vorfeld hat er die Proben besucht und war davon wenig begeistert.

Entsprechend bange betritt er das Theater. Er nimmt in der ersten ReihePlatz, mahnt sich zur Ruhe. Seine Augen wandern durchs Publikum. Da – er erschrickt. Gerade eben hat er einen seiner größten Widersacher entdeckt, jenen Kritiker, mit dem er sich auch privat ein Duell geliefert hat. Ein kurzer Blickwechsel, ein Lächeln. Dann schaut er weg. Kann es sein, dass drei Reihen hinter ihm ein intellektueller Mord vorbereitet wird?

Seine Ahnung trügt ihn nicht. JenerMann, der sich in den Feuilletons alsScharfrichter aufspielt und auch so manche Schriftstellerkarriere maßgeblich befördert hat, kann zerstörerisch urteilen. Und an jenem Abend scheint er nicht objektiv zu sein. Das Stück, in der italienischen Hochrenaissance angesiedelt, bietet ihm endlich die Gelegenheit, seinen Groll loszuwerden. Den privaten Zweikampf mit dem Autor hat er einst verloren. Dessen Frau, um die er vor einigen Jahren geworben hatte, hat ihn damals abgewiesen. War er ihr zu forsch gewesen, war ihr seine Herkunft aus Breslau zu undurchsichtig? Sie hat sich für diesen steifen Hanseaten entschieden, einen Langeweiler. Ein Künstler, mit dem er weit weniger anfangen kann als mit Henrik Ibsen oder Gerhart Hauptmann, die er zu Stars gemacht hat.

Freundlicher Applaus nach der Aufführung, der Autor wird zweimal auf die Bühne gerufen. Da ist der Kritiker schon auf dem Weg nach Hause. Er wetzt seinen Säbel. Am 5. Jänner erscheint sein Artikel. Das Stück wird vernichtet: „Der Verfasser ist ein feines, etwas dünnes Seelchen, dessen Wurzel ihre stille Wohnung im Sitzfleisch hat. Was zu ersitzen war, hat er hier ersessen.“ Der Schriftsteller schäumt,als er die Besprechung liest. Als er dann auch noch hört, dass er für unmännlich gehalten wird und sein Drama für blutleer und kitschig, bricht er zusammen. „Mordlust“, so sein Kommentar. Wie kann ihn seine Frau da noch trösten? ■


Wer traf wen? Um welches Stück geht es?
Und um welche Frau?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2014)

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