Treffer: Der Eklat im Waldorf Astoria

Eigentlich sieht sie ihn kaum, bestenfalls seine Silhouette. Wie auchanders? Sie hat sich heimlich in die Salle Pleyel geschlichen, denn die offiziellen Karten waren ihr einfach zu teuer. Die junge Sängerin ist arm und wenig beschäftigt, während der Musiker, densie unbedingt erleben will, auf dem Weg ist, die europäischen Konzerthallen zu erobern. Nun beobachtet sie ihn und die Band aus der Ferne: eine Figur wie von Giacometti modelliert, hager, mit einem Gesicht voller Schönheit. Sie ist hingerissen und setzt alles daran, den Amerikanerkennenzulernen. Und sie schafft es tatsächlich, zu einem Essen mitgenommenzu werden, bei dem auch er dabei ist. Die beiden fliegen aufeinander: Er spricht kein Französisch, sie kein Englisch. Egal. Das Wunder der Liebe.

Die Frau mit dem aparten Gesicht fasziniert ihn, bei ihren Freundinnen und Freunden fühlt er sich wohl: Sie ist Teil der Pariser Boheme und hat Umgang mit Philosophen, Autorinnen und Malern. Sie alle behandeln ihn wie ihresgleichen, waser nicht gewohnt ist. Auf die Frage, wieso er seine Geliebte nicht heiraten will, weicht er aus. Er kehrt in die USA zurück und beobachtet von dort aus, wie sie als Chansonnière und Schauspielerin Karriere macht.

Selbstverständlich bringt man sie im Waldorf Astoria unter, als sie 1954 nach New York reist. Sie bittet ihren Freund in ihre Suite. Doch das Dinner führt zum Eklat: Man schmeißt ihnen die Teller verächtlich hin und lässt jede Form von Höflichkeit vermissen. Er flüchtet gehetzt.

Spät in der Nacht ruft er sie an: In Europa fühle er sich frei, gesteht er ihr, dort spiele seine Hautfarbe keine Rolle, während man ihn in seiner Heimat verachte. Saxofon und Flügelhorn, Bebop und Cool Jazz: In der Szene gilt er als Genie. Doch die amerikanische Gesellschaft blickt auf hin herab. „You would have been seen as a negroe's whore.“ Sein bitterer Kommentar erklärt sein damaliges Zögern in Sachen Ehe und Öffentlichkeit.

Für seine Freundin, einen unkonventionellen Freigeist, ein Schock. Sein Geständnis vertieft die Verbindung, die auchnach beendeter Affäre nicht abbricht. „Ichwünsche jedem und jeder eine Liebesgeschichte wie diese“, sagt sie als alte Frau und lächelt: War er schwarz? Vollends egal. ■


Wer traf wen? Welcher Künstler verhalf dem Musiker zum Durchbruch? Wer hat Lieder für die Chansonnière geschrieben?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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