Treffer: Polygamie in der Josefstadt

Sie kam aus der Provinz, er kam aus der Emigration ins zerstörte Nachkriegswien. Sie wollte weiterstudieren, er wollte an seine schriftstellerischen Erfolge der Dreißigerjahre anknüpfen und die junge Generation unter seine Fittiche nehmen. Dazu sammelte er einen Kreis angehender Autorinnen und Autoren um sich, vermittelte ihnen Publikationsmöglichkeiten, wenn möglich auchbezahlte Stellen.

Einen Posten hätte die weitgehend mittellose Studentin mit literarischen Ambitionen gut gebrauchen können. Also fasste sie Mut und pilgerte eines Tages ins Kleine Haus des Theaters in der Josefstadt, wo ein Kabarettprogramm von ihm einstudiert wurde, und bat ihn mit vor Verlegenheit versagender Stimme um ein Interview. Dass sie dazu von einer Zeitungbeauftragt worden war, ist unwahrscheinlich. Ihr ging es darum, über den literarischen Patriarchen Zugang zur Literaturszene zu bekommen. Ihm hingegen ging es offenbar um einen Zugang zu ihr, weshalb er ihr das Gespräch gewährte, obwohl er bemäkelte, dass sie „ein unvorteilhaft gekleidetes Mädchen“ sei.

Die Unterhaltung ließ sich dann recht schleppend an, weshalb er sich zu einer „kopernikanischen Wende“ veranlasst sah: „Ich gab der Interviewerin Anweisungen, was und wie sie mich fragen sollte“, berichtet er in seinen Erinnerungen. Er unterstellte der jungen Studentin, dass sie ihm eigentlich ihre lyrischen Arbeiten zeigen wolle. Doch das war gar nicht ihre Absicht, hatte sie zu diesem Zeitpunkt doch wenig vorzuweisen. Nur ein paar Notizen hatte sie eingesteckt: „Einen Bericht über uninteressante Vorgänge in umständlich unbewältigter Sprache“, wie er später schulmeisterlich anmerkte.

Dass er ihr selbst das damals gesagt hat, ist eher auszuschließen, denn bald darauf waren sie ein Paar, wenn auch ein „offenes“. Er schätzte es, dass sie „keine altmodischen monogamen Wahnideen“hatte und nicht fragte, „was sonst bei mir für ein Betrieb ist“, wie er seinem Alter Ego in einem bald darauf erschienenen autobiografischen Roman in den Mund legte. Sie gewann jedoch rasch an Selbstvertrauen und fühlte sich kaum ein Jahr nach der Begegnung nicht mehr als „ein junger Aff, der kaum den Mund aufbringt“. Sie hatte, wie sie ihm schrieb, das Reden inzwischen gelernt und war „auch sonst maßlos frech geworden“. ■


Wer traf wen? Wie heißt der autobiografische Roman?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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