Treffer: Der Pinsel der Zwietracht

Alle drängen an die Seine. So auch der 23-jährige Maler, der 1910 in der Nähe des Bahnhofs Montparnasse ein Atelier anmietet.

„Meine Kunst brauchte Paris so nötig wie der Baum das Wasser“, erinnert er sich an seine Anfänge in der pulsierenden Metropole. Sie hat alles zu bieten, was er sich wünscht: Museen, Ausstellungen, Kontaktmit Malern, Dichtern, Galeristen. Allein, das Heimweh nach Witebsk bleibt. Umso mehr freut er sich, als Herwarth Walden ihn einlädt, seine Bilder 1914 in Berlin zu präsentieren. Von dort aus, so beschließt der russische Künstler, würde er einen Abstecher in seine Heimat machen.

Was als Besuch geplant ist, wird zueiner mehrere Jahre dauernden Station: Der Ausbruch des Weltkriegs verhindert die Rückreise nach Paris. Der Maler lebt nun in Sankt Petersburg, ehe er als Kommissar für die Schönen Künste nach Witebsk heimkehrt. Unter den Lehrkräften, die er an die von ihm 1919 gegründete Kunstschule beruft, ist auch ein Kollege aus Kiew.

Zu Beginn scheinen sich die beiden zu schätzen und akzeptieren. Doch bald schon brandet Streit auf: Zwei Temperamente und Haltungen prallen aufeinander. Der neu an die Schule gekommene Dozent ist ein Philosoph und Theoretiker, der sich für die reine Malerei stark macht. Mit ungewöhnlichen Unterrichtsmethoden bindet er die Studierenden an sich und gründet zudem eine Künstlergruppe, die starken Zulauf erfährt. Eine Schmach für den Leiter der Schule, der zusehen muss, wie er selbst ins Abseits gerät. SeineKunst sei viel zu realistisch und verspielt und zu wenig revolutionär, wird ihm vorgeworfen.

Der Streit eskaliert, der gekränkte Maler zieht sich verbittert zurück und überlässt seinem Konkurrenten das Feld. Er flüchtet nach Berlin und lebt nach 1923 wieder in Frankreich. Von dort aus beobachtet er, wie sein Widersacher, einer der bedeutendsten Vertreter der russischen Avantgarde, mit wachsenden Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Die Bilder seines Spätwerks, in dem er zur figurativen Malerei zurückfindet, sind dem Regime nicht genehm. Er hat es schwer, sich in einem Staat zu behaupten, der den Sozialistischen Realismus einfordert. Ein Triumph für seinen Kollegen, der in Frankreich Erfolge feiert? ■


Wer traf wen? Mit welchem Bild wurde
der Maler aus Kiew berühmt, welche Kunstrichtung hat er damit begründet?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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