Fehlende Vielfalt

Digitale Spiele sind weiterhin sehr westlich geprägt. Ebenso wie ihre Konsumenten sind ihre Figuren meist männlich und weiß. Einige aktuelle Games versuchen, diese Einseitigkeit aufzubrechen.

Computerspielen ist eine sehr persönliche Angelegenheit: Man siehtnicht zu, wie ein Geschehen seinen Lauf nimmt, sondern gestaltet es aktiv mit. Natürlich bietet nicht jedes digitale Spiel viel Platz zur persönlichen Expression, aber es ist seit je in Games üblich, dass man seine Spielfigur in Aussehen und Fähigkeiten selbst kreiert. Zumindest einen individuellen Namen auszuwählen ist in vielen Fällen möglich.

Nun ist es so, dass Computerspiele seit jeher eine Kultur für Privilegierte waren. Mit Ausnahme von Japan, wo dank Nintendo seit Mitte der 1980er-Jahre Videospiele ebenfalls sehr populär sind, kann man sie darüberhinaus als ein vor allem westliches Phänomen betrachten. Die USA, Westeuropa und Australien sind mit weitem Abstand die Hauptmärkte, erst in den jüngeren Jahren holen Korea, China und Osteuropa auf. Da ist es wenig verwunderlich, dass sowohl die Spieleentwickler als auch die Spieler weitgehend einer eingegrenzten demografischen Gruppe entsprechen: jung, weiß, männlich. Die Altersfrage wird sich durch das Fortschreiten der Zeit und die Tatsache, dass viele heute 40- bis 50-Jährige bereits mit Videospielen aufgewachsen sind, irgendwann mehr oder weniger von selbst lösen. Doch die fehlende Vielfalt bei der kulturellen und ethnischen Herkunft und beim Geschlecht klebt weiterhin als Stigma an der Mainstream-Spielkultur.

Wo unabhängig entwickelte, kleine Spiele – Independent Games – oft Lebensweltenvon Frauen und Minoritäten abbilden, arbeiten Spieleblockbuster und ihre Entwicklerteams weiterhin regelmäßig mit stereotypen Figuren. Und wenn einmal etwa eine Figur schwarz ist, wie etwa im aktuellen Fußballspiel „Fifa 17“, sind sich manche wenige – leider recht laute – Spielefans nicht zu dumm, ihren Frust darüber zu artikulieren. Den Frust darüber, dass sie quasi dazu gezwungen werden, in einen schwarzen Protagonisten schlüpfen zu müssen. Weil der nicht ihrer eigenen Lebenswelt entspricht.

Es liegt an den eingangs erwähnten Freiheiten, die man in einem Videospiel meist hat. Niemand würde sich bei einem Film, einer TV-Serie oder einem Roman daran stoßen, dass die Hauptfigur eine andere Hautfarbe als man selbst hat. Oft erfährt man es auch gar nicht. Doch in Spielen wollen viele Menschen wegen der interaktiven Elemente möglichst viel von sich selbst ins Spiel einbringen – eben nur durch positive Effekte wie etwa körperliche Kraft oder intellektuelle Überlegenheit verstärkt.

Aber eigentlich sollte das Gegenteil der Machtfantasie ebenso interessant sein: nämlich zu erleben, wie es sich anfühlt, einer Minorität anzugehören und etwa ständig angestarrt oder beschimpft zu werden. Stichwort Bodyswapping, oder etwas poetischer ausgedrückt: „Walk a mile in my shoes.“ Ein weiteres aktuelles Spiel versucht, diese Erfahrung erlebbar zu machen. Im aktuellen Gangsterepos „Mafia III“ spielt man Lincoln Clay, einen Waisen, der nach dem Vietnam-Krieg seine neue Familie bei der Mafia in einer fiktiven Version von New Orleans sucht. Lincoln Clay ist schwarz, in den USA Ende der 1960er-Jahre. Offene Beschimpfungen auf der Straße und gesellschaftliche Ausgrenzung gehören zum Alltag. Auch wenn man selbst ein virtueller Mobster ist, fühlt sich das nicht gut an. Die Entwickler des Spiels haben dazu sogar ein Statement veröffentlicht, um nicht missverstanden zu werden. Darin steht, dass diese abstoßenden Geschehnisse bewusst ins Spiel implementiert wurden, um möglichst authentisch die damaligen Zustände zeigen zu können.

Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob sich Romane oder Filme ähnlicher Erklärungen bedienen, um nicht missverstanden zu werden. Doch bei digitalen Spielen hat diese Stellungnahme der Autoren einen guten Grund, denn es ist eine fragwürdige Selbstverständlichkeit, dass sich Spieleentwickler sonst weitgehend jeglicher Art der politischen Verantwortung in ihren Produkten entziehen. Das Hauptargument ist, dass es „nur ein Spiel“ sei und es primär um Unterhaltung gehe.

Dass jedes Setting und jede Figur aber auch versteckte Botschaften liefern, wird freilich ausgeblendet. Denn letztlich ist auch Super Mario eine kindisch-stereotype Darstellung von Vorurteilen, die man landläufig von Italienern hat: Sie haben einen lustigen Akzent, sagen „Mamma mia!“ und essen unentwegt Spaghetti. Immerhin sieht man Super Mario in seinen Spielen selten essen.

Stichwort: Eigenverantwortung

Das Entziehen der eigenen Verantwortung konnte man kürzlich beim dystopischen Science-Fiction-Rollenspiel „Deus Ex: Mankind Divided“ sehen: Darin steuert man einen mit künstlichen Implantaten verstärkten Menschen, einen sogenannten Augmentierten. Diese Augmentierungen sind naturgemäß etwas, was sich nicht jeder leisten kann – sie sind also Gutverdienern und Privilegierten vorbehalten. Zwei Jahre zuvor wurden in der Spielewelt die sogenannten Augs gehackt, woraufhin diese die „normalen“, also nicht technisch-biologisch erweiterten, Menschen attackierten und töteten. Die seltsame Konsequenz im Spiel: Die augmentierten Menschen fühlen sich nun als Opfer einer rassistischen Verschwörung, obwohl sie den „Normalos“ körperlich und geistig überlegen sind. Außerdem war die Fremdsteuerung durch den Hack eine Tatsache im Spiel und nicht bloß eine vage rassistische Zuschreibung, die man Menschen bestimmter Herkunft macht.

„Deus Ex: Mankind Divided“ wurde diesbezüglich in Fachkreisen ausführlich analysiert und kritisiert, vor allem, weil politisch relevante Botschaften wie „Black Lives Matter“ im Spiel als „Augs Lives Matter“ umformuliert werden, dort aber bloß hohle Botschaften bleiben, die für PR missbraucht werden. Der Spielehersteller Eidos Montreal war mit den Vorwürfen weitgehend überfordert. Doch die Verantwortung bleibt. Denn obwohl man im Spiel viele Möglichkeiten hat, wie und mit welchen Mitteln man vorgeht: Das Setting und die Darstellung sind nicht gestaltbar.

Die Vorstöße von „Fifa 17“ und „Mafia III“ wirken auf den ersten Blick wie keine große Sache. Doch wenn im Jahr 2016 in Webforen fiebrig darüber diskutiert wird, ob und warum man schwarze Charaktere spielen will oder nicht, wird klar, wie virulent die Darstellung von gesellschaftlicher Vielfalt ist. Falls Sie gern Computerspiele spielen, fragen Sie sich: Wie viele Titel können Sie aufzählen, bei denen der Protagonist eine Frau oder eine Figur ist, die nicht weiß ist? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

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