Bot versus Bot

Übung macht nicht nur Menschen zu Meistern. Auch Computerprogramme können durch Erfahrung immer schlauer werden – vor allem, wenn sie gegeneinander Spiele spielen.

Wer sich hin und wieder an Computerspielen versucht, ist bestimmt schon einmal gegen eine künstliche Intelligenz (KI) angetreten. Egal, ob es sich um die bunten Geister in „Pac-Man“, computergesteuerte Kämpfer in „Street Fighter“ oder gegnerische Aliens in einem Science-Fiction-Actionspiel wie„Gears of War“ handelt: Sie alle machen keine fix vorgegebenen Bewegungsabläufe, sondern reagieren auf unsere Handlungen.

Doch schon in den 1970er-Jahren konnte sich Mensch gegen Maschine messen. Der Schachcomputer war und ist ein sozial zwar eher abstrakter, aber spielerisch meist sehr kompetenter Kontrahent. 1974 fand die erste Schachcomputersoftware-WM statt, die World Computer Chess Championship, bei der Schachprogramme gegeneinander spielten. 23 Jahre haben die künstlichen Intelligenzen unter sich geübt, bis sie schließlich einen Weltmeister unter normalen Turnierbedingungen schlagen konnten: Garry Kasparov musste sich nach einem Turniersieg 1996 ein Jahr später seinem digitalen Herausforderer geschlagen geben: IBMs Deep Blue hat damit Geschichte geschrieben. Noch einmal 20 Jahre später interessiert der Mensch-gegen-Maschine-Kampf beim Schach allerdings kaum jemanden mehr: Mittlerweile besteht kein Zweifel daran, dass die Programme gewonnen haben.

Im vergangenen Frühjahr ist schließlich die letzte Bastion gefallen. Das wenige Jahre davor für künstliche Intelligenzen noch unbezwingbare asiatische Umzingelungsspiel „Go“ wurde ebenfalls von einer Software geknackt. Das von der Google-Tochter DeepMind entwickelte „Alpha Go“ schlug Lee Sedol, einen der besten „Go“-Spieler der Welt, in einem souveränen 3:1. Ausschlaggebend war, dass die Software nicht länger quantitativ und erst später analytisch vorgeht, sondern Spielstellungen auch visuell erfasst, allgemein Prioritäten setzt und sich dementsprechend nur mit relevanten Zugmöglichkeiten befasst. Wenn nun also Menschen keine würdigen Gegner mehr für die Maschinen sind, was kommt als Nächstes? Um Stephen Hawkings 2014 formulierter Sorge einer Unterwerfung der Menschheit durchkünstliche Intelligenzen entgegenzuwirken, sollte die Antwort lautet: Lasst sie ab sofort einfach gegeneinander spielen!

Auch in Computerspielen ist das Wachsen von künstlichen Intelligenzen in jüngster Zeit verstärkt Thema. Das geht über die Arbeit der Spielentwickler hinaus: So ist es möglich, ein bestimmtes Spiel mit einer externen KI zu füttern, die dann meist merkbar schlauer als das werksseitig installierte Computergehirn ist. DeepMind entwickelt seine künstlichen Intelligenzen bereits seit über sechs Jahren nicht nur bei „Go“, sondern auch mithilfe von Computerspielen weiter. Ihre jüngste Zusammenarbeit mit der Firma Blizzard Entertainment, die vor rund einer Woche bekannt gegeben wurde, macht es nun möglich, die smarte Software von DeepMind ins Strategiespielschwergewicht „Starcraft 2“ zu holen.

Schon in den 2010er-Jahren haben sich KI-Entwickler am originalen „Starcraft“ (1998) abgearbeitet, bis schließlich auch der Computer irgendwann stärker als der beste Spieler war. Teil 2 ist aber wesentlich komplexer und herausfordernder. Darüber hinaussind beide „Starcraft“-Spiele nicht rundenbasiert, sondern laufen in Echtzeit ab. Das bedeutet, dass man mit den eigenen Aktionen und Befehlen nicht auf sein Gegenüber warten muss. Es geht also nicht nur um Strategie und Taktik, sondern verstärkt auch um Geschwindigkeit. Das wäre grundsätzlich für einen schnellen Computer und eine schlaue künstliche Intelligenz kein Problem, jedoch verändert sich in jeder Sekunde die Spielsituation. Die Möglichkeiten sind nicht diskret, sondern fließend und müssen ständig neu berechnet werden.

Überraschungsattacken oder bestimmte Bewegungsmuster, die Profispieler über Jahre hinweg trainiert und perfektioniert haben, sind für KIs also nicht so einfach zu kopieren, vor allem, weil die Maschine nicht weiß, in welcher Situation welche Taktik die optimalste ist. Auch hier müssen sich künstliche Intelligenzen menschlichen Denkprozessen annähern. Stupides Abarbeiten von Möglichkeiten reicht nicht aus, Priorisieren und eine Annäherung an ein optimales Verhalten ersetzen den digitalen Trieb, fehlerfrei und perfekt zu berechnen. Dieser Paradigmenwechsel in der Forschung und die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz führten in den vergangenen zwei Jahren zudem zu einer anderen Bezeichnung. So versteht man unter dem Begriff Machine Learning nicht nur neue Ebenen der künstlichen Intelligenz, sondern beschreibt damit auch KIs, die visuell und intellektuell lernen, sich einem Problem wie ein Mensch oder menschliches Gehirn anzunähern.

Training durch kluge Fachidioten

Es wäre doch ein schönes und wohl plausibles Konzept, wenn man künstliche Intelligenzen stets innerhalb eines bestimmten Rahmens weiterentwickelt. Kluge Fachidioten könnten uns Menschen eine Menge Arbeit abnehmen oder bemerkenswerte Trainer sein, würden aber wohl nur selten auf die Idee kommen, sich über die Menschheit zu erheben. Experten bestätigen zudem, dass KIs nur dann gefährlich werden könnten, wenn sie über eine Motivation verfügen. Kommt diese im jeweiligen neuronalen Netz nicht vor, besteht für das Computerhirn kein Interesse oder kein Antrieb, etwas anderes zu tun als das, wofür es designt wurde.

Es ist erstaunlich, wie schnell sich der medial inszenierte Kampf Mensch gegen Maschine erschöpft hat, als klar wurde, dass uns der Computer sowohl bei Schach als auch bei „Go“ komplett überlegen war. Ein virulentes Problem oder gar eine Gefahr scheint sich für die Menschheit dadurch nicht ergeben zu haben. Es wäre absurd: Kein Mensch hat sich je ernsthaft darüber beschwert, dass ein Computer schneller rechnen kann als sie oder er. Bei Spielen ist unser Ego zwar schneller verletzt, weil wir auch Schönheit und Ästhetik in Spielen und Spielweisen erkennen – Zuschreibungen, die für Software und Algorithmen eher selten herangezogen werden. Doch auch wenn ein Computer zu einem effizienteren oder virtuoseren Ergebnis kommt, indem er menschliche Denkprozesse imitiert, wird das Original mit seiner Unberechenbarkeit schwer zu ersetzen sein. Künstliche Intelligenzen würden uns wohl erst dann wirklich Angst machen, würden sie eine allzu menschliche Fähigkeit lernen: zu scheitern und ihr Glück im Unperfekten zu finden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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