Treffer: Hier gomm Se nich nei!

Vor etwas mehr als 50 Jahren ist's geschehen; am 1. Mai 1966, um esgenau zu sagen. Dass dies auch der internationale Festtag der Arbeiterbewegung ist, hat hier nicht viel zu bedeuten. Der in Hamburg geborene Klampfenkünstler, der schon lange im Osten Berlins lebte, war nicht gerade in euphorischer Stimmung.

Er wusste, dass eine aus Übersee angereiste Sängerin im Kabarett „Die Distel“ein Konzert geben sollte, rechnete aber nicht damit, dort eingelassen zu werden, und hatte sich daher keine Eintrittskarte besorgt. Denn zu sehr hatte er mit kecken Liedern und aufmüpfigen Wortmeldungen die Speckschicht der herrschenden Bürokratie verstört.

Umso erstaunter war er, als am frühenNachmittag die Glocke an seiner Wohnungstür klingelte. Noch mehr Überraschung: Als er die Tür öffnete, erblickte er die Folksängerin und Bürgerrechtlerin, diegerade vom Soundcheck im Veranstaltungslokal gekommen war, um ihm einen Besuch abzustatten. Wäre er ein schlechter Dichter, hätte er in seiner Autobiografie von der „Rose aus der Distel“ geschwärmt. So aber nennt er sie „die singende Venus aus Amerika“. Gut, es gab Sprachprobleme. Sie beherrschte kein Wort Deutsch, er nur holprig Englisch. Aber nach der Gitarre musste man nicht lange suchen. Manspielte einander sogleich Lieder vor und war wechselseitig begeistert. Der Liederat „genoss das Interesse der Schönen wie einen Kuss in die Seele“.

Beim Abschied sagte die Sängerin statt„Goodbye“ ein „Let's go together!“, gab ihm ein Billett fürs Konzert, und man ging gemeinsam zum Lokal. Dort begannen die erwarteten Troubles. Der Deutsche wurde von kontrollierenden Staatsbütteln abgewiesen, und als er auf den Besitz einer Karte hinwies, wurde ihm gesagt: „Drozdem gomm Se hier nich nei!“Nun aber drehte die Sängerin auf: Wenn ihr Begleiter nicht in den Saal komme, werde sie nicht auftreten. So einen Skandal wollte sich die Staatsmacht nicht leisten, der Deutsche durfte eintreten. Und hören, dass die Sängerin bei der Ansage des Liedes „Oh Freedom“ erklärte, sie widme den Song ihrem Freund, den sie vor dem Konzert besucht hatte. Dabei scheiterte der Moderator bei der Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche. ■


Wer traf wen? Wen protegierte die Sängerin zu Beginn der Folk- und Protestsong-Bewegung in den USA? Was widerfuhr dem deutschen Sänger 1976?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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