Der Kampf um die Schätze

Seit zehn Jahren läuft „Geocaching“, eine weltweite GPS-Schatzsuche. Das Land Niederösterreich will sich das Spiel als Tourismuswerbung zunutze machen – und stößt damit auf heftigen Widerstand.

Es ist einer dieser Konflikte, die entstehen, wenn die etablierte Öffentlichkeit – etwa, wie in diesem Fall, ein Bundesland – auf eine nur lose im Internet organisierte, pluralistische Community trifft: Beschimpfungen in Onlineforen, Verhalten, das an Cybermobbing grenzt, und sogar der Aufruf zur Sabotage von Installationen in der realen Welt sind derzeit an der Tagesordnung.

Der Grund: Das Land Niederösterreich versucht derzeit, den innovativ-spielerischen Zeitvertreib Geocaching als Werbeträger für seine Landschaften und Sehenswürdigkeiten einzuspannen – und das kommt bei den traditionalistischen Anhängern dieses Hobbys gar nicht gut an. Viele alteingesessene Geocacher lehnen die Einmischung in ihr Spiel ab: Das Suchen und Finden von Verstecken im Rahmen von GPS-Schnitzeljagden sollte Sache einzelner Personen bleiben und nicht dem schnöden Kommerz unterworfen werden, argumentieren sie bei angeregten Diskussionen im Internet.

Bei Geocaching – an dieser Stelle wurde das Konzept zum ersten Mal vor zwei Jahren vorgestellt – geht es darum, kleine „Schätze“ irgendwo im öffentlichen Raum zu verstecken: in einem Wald, auf einem Berggipfel oder auch mitten in der Stadt – zum Beispiel in Wien, in einer kleinen Nische auf dem Heldenplatz. Bei den Schätzen, den „Caches“, handelt es sich meistens um kleine Plastikboxen, die den Inhalt vor Wind und Wetter schützen sollten. In ihnen findet sich üblicherweise ein Logbuch samt Stift, in dem sich jeder Finder verewigen kann, sowie einige kleine Tauschgegenstände wie Überraschungseierfiguren, Würfel oder Sticker. Jeder Spieler, der einen dieser Schätze findet, nimmt sich einen Tauschgegenstand heraus, legt einen anderen hinein, trägt sich im Logbuch ein und versteckt den Cache wieder, wo er ihn vorgefunden hat, damit er auch künftigen Findern wieder zur Verfügung steht.

Ausgetauscht werden die Standorte der Caches über mehrere Plattformen im Internet, vor allem über geocaching.com. Hat jemand einen neuen Schatz versteckt, registriert er online dessen Koordinaten nach dem satellitengestützten Navigationssystem GPS. Jeder andere Benutzer dieser Plattform kann sich dann diese Koordinaten auf sein GPS-Gerät laden und sich auf Schatzsuche begeben. Manche Cache-Leger verschlüsseln die Fundorte auch noch, indem sie mit den Koordinaten sogenannter „Multicaches“ etwa nur auf eine Gedenktafel verweisen, deren Inschrift dann ihrerseits wieder auf Koordinaten umgerechnet werden muss, die dann zum eigentlichen Versteck führen – oder wiederum zu einem weiteren Hinweis.

Entstanden ist Geocaching vor ziemlich genau zehn Jahren, als der damalige US-Präsident Bill Clinton verfügte, die künstliche Verzerrung der GPS-Signale abzustellen. War es bis dahin nur dem Militär möglich, eine bis auf wenige Meter genaue Navigation per GPS-Signal durchzuführen, konnte das ab dem 2.Mai 2000 jeder mit einem entsprechenden Empfängergerät. Schon am 3.Mai versteckte der Amerikaner Dave Ulmer den ersten Cache (damals noch als „Stash“ bezeichnet) in Oregon. Drei Tage später wurde er zum ersten Mal gefunden. Seither hat sich Geocaching als Hobby von Hunderttausenden Menschen in der ganzen Welt ausgebreitet – in den letzten Jahren noch einmal verstärkt durch die integrierte GPS-Funktionalität zahlreicher Smartphones.

Einen wirklichen Gewinn gibt es beim Geocaching nicht: Es geht bei dem Spiel vor allem um die Lust am Suchen, um die Freude an der Bewegung im Freien und unter Fortgeschrittenen auch um den Spaß am Rätseln. Die Schatzsuche im Einzelnen – das oft stundenlange Suchen nach ausgefeilten Verstecken, für die ihre Erschaffer ausgehöhlte Baumstämme, Dachvorsprünge oder Hohlräume in Baudenkmälern requiriert haben – spricht ebenso wie das folgende Registrieren der Funde im Internet den Jäger-und-Sammler-Trieb im Menschen an – kurz, ein durchaus kurzweiliges Hobby für jeden mit GPS-Gerät und Internetverbindung. In Österreich haben inzwischen mehr als 30.000 Menschen schon einmal nach solchen Schätzen gesucht.

Kein Wunder, dass früher oder später auch findige Touristiker auf das Potenzial von Geocaching aufmerksam werden mussten: Flugs einige Caches an den schönsten Orten der Region versteckt, auf den einschlägigen Plattformen registriert, und schon lockt man einige zusätzliche Touristen an. In Niederösterreich kam dieser Plan von der Niederösterreich-Werbung, erklärt deren Sprecherin Karin Weihs: „Wir wollen mit unserer Geocaching-Initiative gezielt eine jüngere Zielgruppe ansprechen.“ Unter dem Motto „Wanderbare Schätze, wunderbare Plätze“ bewirbt das Land seine eigene Cache-Serie, die bisher Verstecke in Klosterneuburg, den Ötschergräben, am Hochbärneck, in Sprögnitz, Aggstein und Dürnstein umfasst.

„Vergewaltigung des Hobbys“

Seit 1.Mai sind diese Caches nun der Öffentlichkeit zugänglich – sechs von fast 14.000, die in ganz Österreich versteckt sind. Im Gegensatz zu der Mehrheit davon sind die (recht einfach zugänglichen) Caches, die die NÖ-Werbung ausgelegt hat, aber höchst umstritten unter Viel-Cachern, die sich online über die Cacher-Plattformen und das Forum tafari.at austauschen.

Und dort brodelt jetzt die Volksseele: Was dem Land denn überhaupt einfiele, eigene Verstecke zu begründen – es sei unzulässig, Caches mit kommerziellem Hintergrund zu legen! „Unser geliebtes Hobby wird an die Öffentlichkeit gezerrt und quasi vergewaltigt. Der Anfang vom Ende des Geocachens“, schreibt ein aufgeregter User, andernorts rufen einige sogar zur Zerstörung der Verstecke auf. Wer jemals Teil einer eingefleischten Spiele-Community war, deren Hobby plötzlich von vermeintlich unbedarften Neulingen gestürmt wird, kann eine gewisse Entrüstung vielleicht noch nachvollziehen.

Der aggressive Ton, mit dem einige Geocacher jetzt aber den Kampf gegen die „kommerzielle Verunreinigung“ ihrer Beschäftigung „durch die Firma Niederösterreich“ proklamieren, überrascht dann aber doch: Schließlich verdankt das Hobby seine weltweite Verbreitung – auf der ganzen Welt liegen rund eine Million Caches verborgen, täglich werden es mehr – nicht zuletzt dem kommerziellen Erfolg des Betreibers von geocaching.com, dem US-Softwareunternehmen Groundspeak.

Selbiges verdient seit zehn Jahren nämlich recht gut an der Vermarktung von Premium-Accounts auf seiner Website (die prinzipiell frei, dann aber eben nur eingeschränkt zugänglich ist), speziellen Softwarehilfen zur Schatzsuche und Merchandisingartikeln für Geocacher. Dass Geocaching also ein idealistisches Hobby für jedermann, bar jeder wirtschaftlicher Implikation, sei, war also von Anfang mehr Illusion als Realität. Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack, der das Potenzial hat, so manchem Neuling, der durch die Aktion des Landes zum Geocaching gekommen wäre, von Anfang an die Freude an diesem Hobby zu verderben. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.