Dass sich was dreht

Das Jo-Jo hat seinen schlichten Up-and-down-Kurs längst verlassen. Könner lassen Kreisel und Schnur in alle Richtungen tanzen. Auch heimische Topspieler bringen das Jo-Jo kunstvoll zum Zirkulieren und schicken es bei Wettkämpfen zum Rock'n'Roll.

Mit einem zentimeterkleinen Spielobjekt hält man die Welt in seinen Händen. Oder, genauer gesagt: an einerSchnur. „Eiffel-Tower“, „Jamaican Flag“, „Boomerang“ und „Buddha“ sind einige jener kosmopolitischen Akte, die sich aus der Trickkiste dieses Gegenstands zaubern lassen. Das klassische Jo-Jo – zwei Scheiben, Verbindungssteg plus Schnur – schlicht hinunterzuschnalzen und es wieder nach oben zu holen, sich in altbekannter Manier bloß auf das Auf und Ab zu beschränken kommt dem heutigen Variantenreichtum dieses Spiels nicht mehr nahe.

„Around the World“ oder „Mondial“ – auch mit einem einzigen vielsagenden Trick kann der Akteur mit der Schlaufe um seinen Finger heute sein Jo-Jo auf „Weltreise“ schicken. „Es gibt unzählige Tricks und Trickvariationen“, bestätigt Harald Klemm, zweifacher österreichischer Jo-Jo-Staatsmeister und Topspieler in Europa. „Man muss oft stundenlang feilen, wenn man einen neuen Trick erlernt.“ Tatsächlich lassen geübte Akteure wie Klemm die kleine Spindel hinter ihrem Rücken rotieren und können sie schwungvoll in alle Richtungen feuern und retour bringen. Während das Jo-Jo seine Runden um die eigene Achse zieht, bastelt ein Spindoktor mit dem oberen Teil der Schnur Luftbilder und -gebilde: So entstehen etwa der Eiffelturm oder ein Andreaskreuz wie auf der jamaikanischen Flagge.

Bei Tricks auf hohem Level wickeln die fingerfertigen Künstler ihr Spielgerät oft um mehrere Finger, bilden eine Schlaufe nach der anderen, sodass für den Zuseher ein verknotetes Konstrukt unvermeidbar scheint. Umso größer ist die Verblüffung, wenn der Spieler ruckzuck sein komplexes Netz auflöst und das noch immer zirkulierende Jo-Jo in seine Wurfhand zurückschnalzt.

Staatsmeister Klemm, der am Wienerwaldgymnasium in Purkersdorf Workshops für junge Jo-Jo-Interessierte anbietet, begann 1997, sich intensiv mit dem Geschicklichkeitsspiel zu beschäftigen. „Damals herrschte ein Jo-Jo-Boom“, erzählt der Niederösterreicher. Wie die warmen Semmeln seien die Jo-Jos damals verkauft worden, vor allem an der Schule zählte das Spiel zum Pausenprogramm. Drei Jahre später jedoch schloss Klemm sein taschengroßes Gerät in der Schublade weg. „Ich hab praktisch alles gekonnt. Die Tricks waren begrenzt, weil das Jo-Jo nur maximal 30Sekunden unten blieb.“ Doch Mitte der 2000er-Jahre kamen in den USA neue, „endlos drehende“ Jo-Jos auf den Markt – für Klemm der Anstoß, das weggesperrte Spiel wiederaufzunehmen. Aus Übersee bestellte er sich das neue, revolutionäre Objekt. Mittlerweile besitzt der Fotograf aus Wiener Neudorf über 50 Jo-Jos.

Bei Wettkämpfen messen sich Spieler in fünf verschiedenen Spiel-Divisions, von Single A (1A) bis 5A. Diese Kategorien sagen nichts über Qualität und Bonität des Jo-Jos, im Sinne von Drehfähigkeit und Rückkehrgarantie, aus. Sie bezeichnen vielmehr die Charakteristik der jeweiligen Disziplin. Double A etwa wird mit zwei Jo-Jos gespielt, je einem pro Hand. Bei Triple A sind ebenfalls zwei Jo-Jos im Spiel, nur stehen hier, anders als bei Double A, Schnurtricks mit dem runden Drehkörper im Mittelpunkt.

Harald Klemm, der bereits an drei Europameisterschaften teilnahm, spezialisiert sich auf die klassische 1A-Disziplin sowie 4A, auch Off-String genannt. Beim Off-String bewegt sich das Jo-Jo – wie das ähnliche Diabolo – freilaufend, ist also nicht mit der Achse verbunden. Schwingen, in die Luft werfen und fangen – in dieser Disziplin geht es rund.

Bei der wohl spektakulärsten Jo-Jo-Disziplin namens 5A (Freehand) hängt an einem Ende der Schnur das Jo-Jo, am anderen ein Gegengewicht, oft in Form eines kleinen Gummiballs. Multitasking beschreibt wohl am besten diese Spielart, bei der das Tempo und die Gleichzeitigkeit der gesteuerten Prozesse den Zuseher verblüffen. Während das Jo-Jo am Faden tanzt, lässt der Akteur den Gummiball am anderen Schnurende in der Luft kreisen. Zudem zeigen Big Player dabei Ganzkörpereinsatz, wickeln bei ihrer 5A-Darbietung mithilfe des Gegengewichts die Schnur über Schulter oder Oberschenkel, um sie gleich darauf elegant zu entwirren.

Bei Großevents wie Welt- und Europameisterschaften haben die Teilnehmer in ihrer Disziplin gerade einmal drei Minuten Zeit, um eine Bewertungsjury von ihrer Performance zu überzeugen. Dabei achten die Judges auf den Flow der Darbietung, sprich darauf, wie fließend und harmonisch die Protagonisten ihr Jo-Jo auf der Schnur tänzeln lassen und selbst den Takt zur ausgewählten Musik halten. Des Weiteren rücken bei Contests freilich die gezeigten Tricks, deren Schwierigkeitsgrad und technische Ausführung ins Scheinwerferlicht. Auch der Showcharakter spielt eine Rolle. Bei der diesjährigen Europameisterschaft in Prag ließen rund 200 Teilnehmer in den fünf Disziplinen ihr Jo-Jo um die Wette rotieren – und das, passend zum Showaspekt, auf einer Theaterbühne. „Das war schon eine spezielle Location“, erzählt Klemm. Immerhin lockten die Akteure innerhalb von zwei Tagen 800 Besucher zu ihren Jo-Jo-Akten.

Aus dem Dornröschenschlaf geholt

EM-Erfahrung hat auch Phillip Skokan schon gesammelt. Das Jo-Jo bezeichnet der 27-jährige Wiener als „Ventil für kreativen Output“ und „Entspannungstool“. Ein paar Tricks habe er dermaßen perfektioniert, dass er sie „fast blind“ spielen kann. Ähnlich wie Klemm begann Skokan mit 18 Jahren Jo-Jo zu spielen. Im Internet sah er Tricks, wurde neugierig und fing zu trainieren an. Der globale Trickaustausch via YouTube und anderen Social-Media-Plattformen gab dem guten alten Jo-Jo, dessen Wurzeln bis ins antike Griechenland führen, einen kräftigen Impuls. Tricks erfinden und ins Web stellen – das holte, so wie andere schwindende Spielformen, auch die Jo-Jo-Community aus ihrem Dornröschenschlaf.

„Du musst hart trainieren und darfst dir keinen Fehler erlauben“, so Skokan, der sich auf die Disziplinen 1A und 5A mit Gegengewicht konzentriert, das hohe Niveau bei internationalen Wettkämpfen. Die größte Dichte an Topspielern im Jo-Jo weisen Japan, China und Singapur sowie die USA auf. In Europa stellen Tschechien und Polen die meisten Spieler. Der wichtigste internationale Jo-Jo-Event steigt in Orlando, Florida, bei den alljährlichen Weltmeisterschaften. Dorthin wollen es auch Phillip Skokan und Harald Klemm einmal schaffen. Doch dafür müssen sie tief in die Trickkiste greifen – oder besser: in den endlosen Weiten des Jo-Jo-Universums einen noch unentdeckten Planeten zum Rotieren bringen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2012)

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