Und es ward Quote

Im Wettgeschäft entscheiden die Quoten über Geld – viel Geld. Anbieter beschäftigen ein Heer von Arbeitskräften, um Wahrscheinlichkeiten vorherzusagen. Ein Blick hinter die Kulissen – als erster Teil unserer Serie über Sportwetten.

Mein Tipp?“, fragt Alex Donohue zurück. „Frankreich. Die Truppe ist extrem stark, ihre Spiele der letzten Monate haben sie fast alle gewonnen. Die sind meine Favoriten.“ Hätte er damit bei seinem Arbeitgeber vor Beginn der Fußball-EM ein Pfund gesetzt, was ihm als Angestelltem verboten ist, bekäme Donohue im Fall eines französischen Finalsiegs am 1. Juli neun Pfund zurück. Bei der Konkurrenz sahen die Quoten ähnlich aus. Der Favorit der Buchmacher war zu Turnierbeginn Spanien, dahinter kamen Deutschland und die Niederlande. Erst an vierter Stelle folgte die französische Mannschaft. Ist es dann nicht zu riskant, auf diese Truppe zu wetten?

„Es kommt drauf an“, beschwichtigt Alex Donohue schnell. Der Medienbeauftragte bei Ladbrokes, dem zweitgrößten Wettanbieter Großbritanniens und einem der größten international, ist überzeugt von der Fähigkeit einiger Wettspieler, immer wieder richtigzuliegen. „Wenn du dich auskennst und wirklich daran glaubst, dass deine Mannschaft gewinnt, warum dann nicht dein Geld darauf setzen?“ Schließlich bestünden auch die Buchmacher nur aus Menschen, die Vorhersagen über den Ausgang einer Veranstaltung treffen. „Allerdings“, gibt Donohue zu bedenken, „entstehen die Wettquoten ja nicht durch Zufall.“ Die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten ist ein komplizierter Prozess, in den so viel mathematisches Wissen wie Kenntnis der betreffenden Wettbewerbsdisziplin einfließt.

Die wichtigste Informationsquelle für die Konstruktion von Wettquoten sind Resultate in der Vergangenheit. Obwohl sich nicht logisch erschließen lässt, dass etwa das bisher erfolgreichste Rennpferd auch in der Zukunft siegreich sein wird, so gibt dies doch meist den besten Anhaltspunkt. „Beim Fußball schauen sich unsere Leute zum Beispiel zuerst an, wie die Heimmannschaft in den letzten Spielen im eigenen Stadion abgeschnitten hat und wie stark die Auswärtsmannschaft typischerweise auswärts spielt. Auf diese Art gibt es fast unendlich viele statistische Daten, die wir in unsere Schätzmodelle einspeisen“, erklärt Donohue. Je komplizierter die Wette, desto mehr Information ist nötig.

Grundsätzlich bestehe somit auch kein Unterschied zwischen Fußball-, Pferde- oder sogar Politikwetten. „Wenn wir Wetten für Wahlausgänge anbieten, sind Meinungsumfragen wahrscheinlich die wichtigsten Daten. Und dann kommen Informationen über die Kandidaten und Ausgänge in der Vergangenheit dazu.“ Immer zählt auch etwas „gut feeling“, Bauchgefühl. „Wie kannst du einschätzen, ob die Verletzung eines wichtigen Mittelfeldspielers den Spielausgang beeinträchtigt? Du musst dich in der entsprechenden Disziplin sehr gut auskennen. Aber du musst auch einfach ein gutes Gefühl für Trends haben.“ Insbesondere bei den beliebter werdenden Livewetten sei dies wichtig. Wenn etwa beim Fußball auch Wetten während des Spiels abgeschlossen werden, dann müssen die Quotenkonstrukteure den Überblick behalten, welcher Ausgang in jedem Moment der wahrscheinlichste bleibt. Statistiken helfen dann nicht immer weiter.

„Bei uns arbeiten hunderte Mitarbeiter an der Erstellung der Wettquoten. Leute mit sehr gutem mathematischen Training“, sagt Donohue, als wolle er zeigen, dass Wettspieler Ladbrokes eigentlich das Geld nicht aus der Tasche ziehen könnten. Eine paar Mal pro Jahr passiert es aber. So etwa heuer, am 2.Juni, beim „Epsom Derby“, einem der wichtigsten Pferderennen der Saison, bei dem im Hauptrennen Favorit „Camelot“ gewann. Für die Buchmacher ein Verlustgeschäft. Ein Sieg des am höchsten gehandelten Wettbewerbers ist in vielen Fällen ungünstig für die Wettanbieter. Denn meistens tippen viele Spieler auf das Resultat mit den konservativsten Quoten. Tritt dieser Fall wirklich ein, muss viel Geld ausgezahlt werden.

Anders im Fußball. Hier setzen Spieler häufig mit patriotischen Hintergedanken. Ein englischer Scherz bringt das Phänomen auf den Punkt: „Wer freut sich in England, wenn die ,Three Lions‘ (die englische Fußballnationalmannschaft, Anm.) wieder verlieren?“ – „Nur die Buchmacher.“ „Das ist tatsächlich wahr“, lächelt Alex Donohue. Auf einen englischen Turniersieg bei der aktuellen Europameisterschaft haben wieder traditionell viele heimische Wettspieler getippt, obwohl Kenner der Mannschaft kaum Chancen einräumen. Genauso sei es mit Irland, wo viele britische Wettanbieter ihren zweitgrößten Markt unterhalten. Sollten diese beiden Mannschaften besonders erfolgreich im Turnier abschneiden, würde dies für die meisten britischen Buchmacher wohl ein teures Geschäft.

Dabei sind Buchmacher ohnehin „extrem risikoavers“, wie es in einer ökonometrischen Studie des University College Dublin heißt. Relativ bekommen Favoriten meist bessere Quoten als die Underdogs. Angenommen, ein Buchmacher schätzt etwa die Wahrscheinlichkeit eines irischen Siegs bei der Europameisterschaft auf 0,75 Prozent, müsste die Gewinnquote rund 133:1 betragen. Die tatsächliche Quote wäre dann etwas geringer.

Buchmachertechnik „Dutch Book“

Vor dem ersten Spiel der irischen Mannschaft am 10. Juni bot Ladbrokes zum Beispiel eine Quote von 100:1 an. Viele Konkurrenten lagen noch darunter. Womöglich lag also ihre tatsächlich geschätzte Wahrscheinlichkeit noch niedriger. Der Princeton-Ökonom Hyun-Son Shyn erklärt dies damit, dass sich ein Buchmacher bei unwahrscheinlicheren Einsätzen einem höheren Verlust ausgesetzt sieht. Um sich dagegen abzusichern, hebt er den Preis für das unwahrscheinlichere Resultat etwas an, senkt also die Quote.

Der Studie zufolge fällt zudem bei Pferderennen auf, dass Gewinnmargen der Wettanbieter höher sind, je mehr Pferde starten. Dies könnte auf sogenannte „Dutch Books“ hinweisen, eine Technik, die es Buchmachern ermöglicht, sich unabhängig vom Ausgang der Veranstaltung einen Gewinn zu sichern: Denn je komplexer eine Veranstaltung ist, desto mehr unterschiedliche Resultate sind möglich, was auch die Errechnung von Wahrscheinlichkeiten komplizierter macht. Ein „Dutch Book“ ist eine Konstruktion der Wettquoten, die unter Ausnutzung irrationaler Präferenzen von Wettspielern versichert, dass der Buchmacher bei keinem Resultat einen Verlust machen kann. Ob dies in der Praxis vorkommt, kann Alex Donohue nicht bestätigen. Aber auch verneinen kann er es nicht.

Wo er sich aber sicher ist: Hieße das EM- Finale England gegen Irland, würden Ladbrokes und auch die anderen Anbieter wohl mit einem Verlust aussteigen. Deswegen tippt er selbst auf Frankreich. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2012)

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