Verstehen Sie Bahnhof?

Hochhausfieber und kein Ende: Jetzt ist Salzburg dran. Nächst dem Bahnhof will man dem Hochhauszeitgeist Jahre nach seinem Beginn nachhecheln. Über Investorenwillkür und Planungskulturlosigkeit: Versuch einer Aufklärung.

Das Hochhausfieber in Österreich begann mit der Wiederaufbau-Euphorie. In Salzburg stand anfangs kein Wohn- und Bürohochhaus, sondern das 59 Meter hohe Hotel Europa. Mitte der 1990er-Jahre schien sein Abriss besiegelt. Der Gemeinderat, der 40 Jahre zuvor die Errichtung beschlossen hatte, wollte sich im Jahre 1995 mit großer Mehrheit des mutmaßlichen „Schandflecks“ entledigen. Der Eigentümer, die „Wiener Städtische Versicherung“, rechnete sich eine doppelte Ausnutzung der Liegenschaft aus, forcierte 1996 ein Doppelhochhaus (Architekt Robert Wimmer), danach eine dichte, achtgeschoßige, im Stadtbild weniger auffallende Blockrandbebauung. Die Abbruchbewilligung wegen angeblich unsanierbarer Gebäudestatik hatte der Eigentümer in der Tasche. Gefallen sind allerdings die Neubebauungspläne, der Hotelsolitär blieb problemlos stehen. Das Bundesdenkmalamt hatte – spät, aber doch –die Qualitäten des facettenreichen Symbols des Wiederaufbaus erkannt, verweigerte aberwegen der mutmaßlich unsanierbaren Statik den Denkmalschutz. Die feingliedrige, nach Plänen von Josef Becvar entstandene Architektur wurde 2002 mit Außendämmung, Vergrößerung des Dachaufbaus und mäßig elegantem Liftanbau leider nicht sehr respektvoll saniert.

Als das Hotelprojekt in den 1950er-Jahren eine Hochhausdebatte auslöste, bestand ein zentraler Kritikpunkt in der Beeinträchtigung der Blickachse Maria Plain/Altstadt. Ein aktuelles Hochhausprojekt steht nun – gut 100 Meter stadteinwärts – kurz vor der Einreichung. An der Ecke Rainerstraße/Saint-Julien-Straße würde es – im „Schatten“ des Hotels Europa, so die Befürworter – den Blick von Maria Plain nicht stören. Die Kufsteiner Baugesellschaft Hans Bodner als Eigentümer der einstigen „ÖBB-Gründe“ willden 59-Meter-Hotelturm mit der Geschäftszeile „Perron“ anstelle des Bahndamms ab Herbst 2013 realisieren.

Das Projekt wäre indiskutabel, hielte sich die Stadtplanung an die Ergebnisse des von ihr durchgeführten Expertenworkshops „Bahnhof & Umgebung“ vom Juni 2002. Damals bestand Konsens zwischen Stadt und Investoren, dass als Argument für ein Hochhaus der wirtschaftliche Wettbewerbsvorteil und die Exklusivität bei Adresse und Ausblick nicht reichen, sondern nur eine inhaltlich besondere Bedeutung. Anstelle einer „inhaltlichen Begründung“ für ein Hochhaus – damals war die Übersiedlung der städtischen Bibliothek in die Rainerstraße im Gespräch – wird der Bauplatz kommerziell ausgereizt.

Diesen Prozess starteten 1999/2001 die Studien von Kadawittfeldarchitektur: Die Planer rückten mehrere Hochhäuser möglichst weit an die Ränder der ÖBB-Grundstücke an Rainer- und Lastenstraße beiderseits des Bahnhofs, damit sie sich am wenigsten gegenseitig störten. Gemeinsam mit dem Hotel Europa sollten drei neue Hochhäuser den Bahnhof in einem unregelmäßigen Viereck einfassen. Ob diese Hochhausgruppe konzeptuell schlüssig ist, sei dahingestellt, zumindest war ein Entwurfsansatz erkennbar.

Das „Schatten-Argument“

Im Herbst 2002 erklärte Stadtrat Johann Padutsch, dass ein Hochhaus an der Rainerstraße möglich sei, „weil es im Schatten des Hotels Europa“ stünde: An der Lastenstraße seien Hochhäuser kritischer. Das Vierer-Hochhauskonzept starb: Das „Schatten-Argument“, kombiniert mit den überzogenen Kubaturforderungen der ÖBB, legitimiert städtebaulich das Hochhaus nicht, trotzdem forcierte es die Stadtplanung.

Das Gebiet um den Hauptbahnhof nimmt im sinnvollen Leitbild einer „Stadt der kurzen Wege“ eine zentrale Rolle mit Verdichtungs- und Entwicklungspotenzial ein. Für das schmale Restgrundstück am Bahndamm sah die Stadtplanung ursprünglich eine Geschoßflächenzahl (GFZ) von 2,0 vor. Diese war deutlich höher als – zum Vergleich – die für Salzburg ziemlich dichte Verbauung des Stadtwerkeareals in Lehen, aber dem Standort am hochrangigen Verknüpfungspunkt angemessen. Für die ÖBB-Immobilien war sie aber viel zu wenig. Sie behaupteten im Juni 2002, dass die Geschäfts- und Bürozeile erst ab der GFZ von 5,0 (15.000 Quadratmeter auf 3000 Quadratmeter Grund) wirtschaftlich realisierbar sei. Die Stadt akzeptierte dies, verschenkte zusätzlich die eineinhalbfache Dichte und ermöglichte so die extrem hohe GFZ 5,0, rund das Dreifache des Stadtwerkeareals. Den fünfgeschoßigen Riegel sollte ein zwölfgeschoßiger „Hochpunkt“ von 43 Metern überragen. Im September 2012 machte der Gestaltungsbeirat der Stadt – Eleganz war sein Hauptargument – daraus 59 Meter. So wuchsen die rechtskräftig14.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche auf 15.600. Der Aufstockungseifer mag – bei ausschließlicher Betrachtung der Proportionen zwischen lagernder Geschäftszeile und Vertikale des Hochhauses – nachvollziehbar sein, ist aber städtebaulich unverantwortlich.

Im Laufe der Jahre war die Hochhausplanung zum renommierten Salzburger Architekturbüro „Halle 1“ gewechselt, die Grundsatzproblematik blieb gleich. Der Gestaltungsbeirat hat seit seiner Etablierung in der Stadt 1984 Wichtiges zur Baukultur beigetragen, in diesem Fall versagt er kläglich. Seit Ende 2012 widmet er sich nur mehr der Detaillierung der Glasfassaden: Vorsitzender Peter Riepl fordert einen „sehr transparenten Baukörper“ mit einem „guten Blick auf die Stadt. Vice versa soll's natürlich so sein, dass das Haus aufgrund der hohen Transparenz weniger Massivität darstellt, sondern in seiner Erscheinung filigraner und zarter ist“. Der Hotelturm wird sich dadurch optisch nicht auflösen. So wird er als „neues Entrée“ zum Bahnhofsviertel angepriesen: Er würde „das alte Hotel Europa städtebaulich besser einbinden“, argumentiert Riepl. Das Gegenteil ist der Fall: Die bestehende städtebauliche Konstellation wird durch das neue Hotelturmprojekt massiv beeinträchtigt, es konterkariert die solitäre Position des Hotels Europa und dessen Funktion als Entrée. Der freiräumlichen Großzügigkeit beim Hotel Europa steht bedrängte Enge beim Hochhaus am Bahndamm gegenüber.

Salzburgs Stadtlandschaft verfügt über eine besondere Topografie mit einem vielfältigen Sicht- und Beziehungsnetz: Die meisten Plätze besitzen zwei besondere Qualitäten, analysiert der Stadthistoriker Gerhard Plasser in einer umfassenden wissenschaftlichen Arbeit: Neben den Platzwänden als Begrenzungen des Blicks eröffnen sich – als zweite Perspektive – Sichtbeziehungen zu Stadtbergen und Gebirge. Die wichtige Sichtachse Bahnhofsvorplatz–Rainerstraße wurde von den Architekten und in den Blickachsenstudien nicht beachtet, hier schiebt sich das Bodner-Hochhaus abermassig vor die Silhouette des Untersbergs. Padutschs „Schattentheorie“ ist das einzige, allerdings sehr bescheidene Pro-Argument, funktioniert aber bestenfalls in eine Richtung. Im Blick vom Festungsberg verschattet der Neubau das Hotel Europa, beide Hochhäuser verschneiden sich willkürlich.

Salzburg will dem Hochhauszeitgeist Jahre nach seinem Beginn nachhecheln und eine heterogene Skyline, wie sie etwa den Linzer Bahnhof prägt, schaffen. Dieser seit Jahrzehnten verstärkt kursierenden internationalen „Mode“ widersetzt sich etwa Helsinki mit bemerkenswerter Konsequenz. In der finnischen 600.000-Einwohner-Metropole ist es seit Jahrzehnten unmöglich, dass sich kommerzielle Hochhausprojekte in die Skyline einschreiben.

Versinnbildlicht das Hotel Europa die Wiederaufbau-Euphorie, so haben Entwicklungen der 1970er-Jahre wie Ölschock oder Öffnung des Parteienspektrums – die Salzburger Bürgerliste war österreichweit Vorreiter – zur Reflexion dieser Wachstumsdogmen geführt. Wird das Bodner-Hochhaus – mit mehr oder weniger perfekt detaillierter Fassade – realisiert, so schreiben sich Investorenwillkür und Planungskulturlosigkeit, forciert von einem Stadtrat der Bürgerliste, in Salzburgs Skyline. Weniger störend als das Hochhaus wäre selbst der Kompromiss, die genehmigte Baumasse des Hotels auf das Büro- und Geschäftshaus aufzuteilen.

Im März 2012 präsentierte Planungsstadtrat Johann Padutsch neue „Visionen zu einem urbanen Stadtviertel“. Acht zwischen 30 und 42 Meter hohe Häuser sollen nördlich der Zyla-Türme und der Gebietskrankenkasse gruppiert werden. Gemeinsam mit den Resten respektive Realisierungen der Kadawittfeldarchitektur-Hochhaus-Idee von 2001 entsteht eine desperat-heterogene Kombination. Hochhausversionen als aneinandergereihte Bauparzellenverwertungen sind das Gegenteil einer zukunftsträchtigen Vision. Bei so sensiblen Stadtentwicklungsentscheidungen muss ein städtebaulicher Wettbewerb die Grundlage einer breiten Diskussion bilden. Das Cluster-Projekt von 2012 im Norden war hingegen ein Direktauftrag. Mit dem Hotel Europa als Entrée bildet es – im Gegensatz zum Bodner-Hochhaus – eine ungleich diskussionswürdigere Konzeption. Der Anspruch ist groß, soll doch das neue Viertel die Itzlinger Vorstadt, in der Science City und HTL angesiedelt sind, mit dem Andräviertel verbinden.

Wenn Pappeln verschwinden

Hohes Verantwortungsgefühl ist nötig für den Baubestand und das künftig neu zu Bauende. Neben der Angemessenheit der Gebäude in der Skyline müssen Bebauungsdichte, Nutzungsmix und die Gestaltung einer attraktiven Erdgeschoßzone gegeben sein. Das vernachlässigte Bahnhofsquartier und seine Bewohner haben zeitgemäße Architektur, die attraktive öffentliche Räume bildet, verdient. Die gebaute Realität schaut anders aus: In den vergangenen Jahren wurden die „Postgründe“ nördlich des Bahnhofsvorplatzes bebaut. Der städtische Planungsausschuss kommentierte im Jänner 2003 das Siegerprojekt von Kofler Architects optimistisch: Es hat „als einziges Projekt die bestehenden hohen Pappeln am Bauplatz belassen und damit einen halböffentlichen Grünraum geschaffen, der den Stadtteil aufwertet. Die Durchlässigkeit wird über hochwertige öffentliche Räume gesichert.“

Die Pappeln sind längst gefällt, unwirtliche (Verkehrs-)Flächen prägen den Abstand zwischen solitär-hermetischen Bauten. Das höchste Gebäude, die Gebietskrankenkassen-Zentrale, ist als öffentliches Dienstleistungsunternehmen ein Gewinn, im Gebäudekomplex mit dem Hotel trägt hingegen die introvertierte Shoppingmall nichts zum öffentlichen Raum bei. Im Zuge des Symposiums „Verstehen Sie Bahnhof?“ 2002 wurde ein für ein urbanes Quartier notwendiger Wohnungsanteil im Nutzungsmix der Häuser gefordert. Schließlich wurden auch Wohnungen gebaut, allerdings konzentriert direkt an den Gleisen. In der Cluster-Konzeption im Norden sollen Wohnungen mit attraktivem Ausblick ab dem vierten Obergeschoß und alternative Arbeits- und Büroflächen – so Padutsch – integriert werden, hoffentlich keine reine Ankündigung. Die Forderungen nach einem intelligenten Nutzungsmix aus Büro-, Geschäfts- und Wohnflächen des Symposiums bleiben aufrecht. Besonderes Augenmerk muss auf den öffentlichen Raum gelegt werden in einem Stadtteil wie Itzling, der große Defizite besitzt. Hier muss – anstelle solitärer, hermetischer Gebäude – endlich ein lebendiges Quartier entstehen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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