„Was will das Weib?“

Die Hure: eine „befreite Frau“. Die Frauenbewegung: eine Ansammlung unbefriedigter, „von der Frauennatur emanzipierter Weiber“. Andererseits: der Phallus als Sitz der männlichen Seele. Frauenbilder und Männlichkeitsfantasien des Fin de Siècle: Wie vergangen ist die Vergangenheit?

Es gab ein großes Thema im Kultur-und Geistesleben des Wiener Fin de Siècle: den Geschlechterkampf. Die Hintergründe sind vielschichtig. Zum einen rückten die neuen medizinischen Erkenntnisse von Körper und Seele bislang verschwiegene sexuelle und erotische Probleme in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Zum anderen aber sorgte eine an Bedeutung zunehmende Frauenbewegung für die wachsende Verunsicherung des in patriarchalen Mustern festsitzenden Mannes. (Eine Situation, wie sie übrigens, abgeschwächt und anders gelagert, auch heute zu beobachten ist. Männerängste treiben auch gegenwärtig bisweilen seltsame Blüten.)

Die Frauenbilder, wie sie damals von Künstlern und Literaten geschaffen wurden, versuchten das Weibliche, das plötzlich aus seinem Schatten herausgetreten war, in verschiedenen Variationen zu bannen, zu erklären, festzuschreiben. Als dämonische, entfesselte, bedrohliche Weiblichkeit oder als infantile, zarte Jungfräulichkeit, als mythisch verklärtes Sinnbild von Lust oder als keusche und reine Unschuld. Sie alle fallen auf durch eine mehr oder weniger deutliche Misogynie, sie dienen der Aufspaltung und damit Schwächung des Frauenbildes, gleichzeitig aber sind sie auch Strategien zur Befreiung von Angst. Im Grunde jedoch legen diese Manifestationen männlicher Fantasien ebenso Zeugnis ab von der allgemeinen Ratlosigkeit wie die Analysen von Seelenforschern und Psychiatern, die das „Rätsel Weib“ lösen wollten, sich dabei allerdings mehr und mehr in diesem großen Rätsel verirrten. Den Mut, seine diesbezügliche Unsicherheit zuzugeben, hatte allerdings nur Sigmund Freud, wenn er vom „dunklen Kontinent“ spricht und weiter meint: „Die große Frage, die nie beantwortet ist und die ich trotz meiner 30-jährigen Erforschung der weiblichen Seele noch nicht habe beantworten können, ist: Was will das Weib?“ Dieses freimütige Bekenntnis hinderte ihn jedoch nicht daran, in seinen Theorien der Frau nicht nur einen entsprechenden Beitrag zur Kultur abzusprechen, sondern sie auch auf ihre sexuell-reproduktive Existenz zu beschränken. Weshalb er Frauen, die „männliche Ziele“ verfolgten wie etwa eine unabhängige Lebensweise oder den Besuch einer Universität, eine gewisse Abartigkeit bescheinigte, einen Männlichkeitskomplex, Unreife oder Penisneid.

Eine ähnliche Sicht vertrat vor ihm der Nervenarzt Richard von Krafft-Ebing, der in seiner „Psychopathia sexualis“ (1886) versuchte, eine Liste aller pathologischen Erscheinungen des Sexuallebens aufzustellen, und damit die „sexuelle Frage“ überhaupt erst in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit brachte. Auch für ihn ist „eine socialen und sittlichen Interessen dienende sexuale Stellung des Weibes nur als Ehefrau denkbar“.

Und dann kam ein junger Student namens Otto Weininger, der in seiner philosophischen Dissertation mit dem Titel „Geschlecht und Charakter“, im Mai 1903 als Buch erschienen, behauptete, das „Rätsel Weib“ gelöst zu haben, indem er die Frau kurzerhand zum „Nichts“ erklärt: „Das Weib ist nichts, und darum, nur darum kann es alles werden . . . Das Weib mag alles scheinen und alles verleugnen, aber es ist nie irgendetwas in Wahrheit.“ Worauf die verunsicherte Männerwelt mit einem Seufzer der Erleichterung reagierte – nicht nur August Strindberg, der in einem euphorischen Brief an Weininger von seiner „Verehrung“, seinem „Dank“ und seiner „Erlösung“ sprach, endlich „das Frauenproblem gelöst zu sehen“.

Den Sensationserfolg des Buches – es erlebte 25 Auflagen innerhalb von 20 Jahren und wurde von jedem, der in intellektuellen und Künstlerkreisen ernst genommen sein wollte, gelesen – hat der Autor selbst allerdings nicht mehr erlebt, denn er hat sich mit 23 Jahren selbst getötet. Er sei im „Feuerbrand seines Geistes“ getötet worden, meinte Karl Kraus, der sich Weininger in vielen Aspekten geistesverwandt fühlte. „Ein Frauenverehrer stimmt den Argumenten ihrer Frauenverachtung mit Begeisterung zu“, schrieb er an Weininger. Allerdings war diese Feststellung verkehrt herum gemeint. Denn Kraus teilte die negative Beurteilung, die Weininger der Frau als rein sinnlichem Sexualwesen entgegenbrachte, keinesfalls, vielmehr waren für ihn im Gegenteil ihre Sinnlichkeit und Sexualität Grundlage einer besonderen Hochschätzung, weshalb er auch die Hure als die „befreite Frau“ feierte, womit er gegen die bürgerliche Doppelmoral protestierte.

Eine einseitige Festlegung der Frau auf ihr Geschlecht ist allerdings auch bei ihm festzustellen, auf die Frauenbewegung, in der er eine Ansammlung von hysterischen, unbefriedigten, „von der Frauennatur emanzipierten Weibern“ sah, war er demnach gar nicht gut zu sprechen. Mit der prominenten Frühfeministin Rosa Mayreder stand er geradezu auf Kriegsfuß. Sie hat in ihrem Essayband „Zur Kritik der Weiblichkeit“ (1905) allerdings die vielleicht einzig wirklich treffende und geistvolle Kritik auf Weiningers epochales Machwerk verfasst. Zu seiner Behauptung, der Mann habe die Seele, welche der Frau fehle, fragt sie trocken, „bei welchem Grade der Männlichkeit die Seele denn anfange“, und meint weiter, Weininger binde die Seele an das primäre männliche Geschlechtsorgan und erhebe damit „wider Willen den Phallus zum Träger der Seele“.

Vor diesem misogynen Hintergrund muss „das Weibliche“, wie es von Künstlern und Literaten in zahlreichen Abwandlungen gestaltet wurde, verstanden werden. Der dämonischen, bedrohlich wirkenden Frau hat sich etwa Leopold von Sacher-Masoch gewidmet, seine Wanda, die „Venus im Pelz“, ist die Domina, die Despotin, die den Mann zum Liebessklaven erniedrigt. Wedekinds „Lulu“ hingegen wird in „Erdgeist“ und in der „Büchse der Pandora“ zum Verderben einer ganzen Reihe von Männern. Sie ist „Schlange“, „süßes Tier“, „Teufelchen“, „Eva“, „Bestie“, das Kindweib, das ungerührt über Männerleichen geht. Sie ist undomestiziert und amoralisch, begehrenswert und verboten zugleich, sie ist die ungezähmte Natur, und sie verkörpert in ihrer positiv zu verstehenden Schamlosigkeit Freiheit von bürgerlicher Moral.

Auch Hermann Bahr hat die Furcht vor dem Weiblichen in zahlreichen Romanen und Theaterstücken thematisiert, und er spricht „von dem ewigen Fluche, den das Weib über den Mann bringt“, der es allerdings „als ein Elementares niemals zu begreifen vermag“. Und in Oskar Kokoschkas sadomasochistischem Drama „Mörder, Hoffnung der Frauen“ verletzt eine Frau in roten Kleidern und mit offenem, gelbem Haar den Mann mit einem Messer, bis er sich auf sie legt und damit an Stärke gewinnt. „Wer säugt mich mit Blut? Ich fraß dein Blut, ich verzehre deinen tropfenden Leib.“

In den Werken der Salonmaler wird die Femme fatale zu einem der häufigsten Motive der Jahrhundertwende. Gustav Klimt, „der größte erotische Maler seiner Epoche“ (Nike Wagner), der die Frau zum Hauptthema seines Werkes gemacht hat, malt Frauen mit Schwertern und Schlangen, er malt eine kämpferisch blickende Pallas Athene, aber auch die biblische Judith, ein schwarzhaariges, halb nacktes Elementargeschöpf, in der zweiten Fassung mit krallenartigen Fingern, das den Kopf des erschlagenen Mannes an seinen Leib presst. Aber Klimt malt auch die zarte, ätherische Kindfrau, er malt Schwangere und Mütter, ornamentalisiert, eingefügt in vegetabilische Grundmuster, wie erstarrt in einer Pracht aus Farbe und Gold. Er stilisiert die Gattinnen seiner Auftraggeber zu makellosen Schönheiten, gehüllt in kostbare Gewänder und ausgestattet mit auffallendem Haar, das erotische Attraktivität ausstrahlt. Dass es sich hier um einen ständig wiederkehrenden Frauentyp ohne eigentliche Individualität handelt, ist allerdings bereits Berta Zuckerkandl aufgefallen: „Alles Individuell-Charakteristische fällt ab, nur das rein Typische, der sublimierte Extrakt bleibt in vollster Stilreinheit zurück.“

Auch Egon Schiele bevorzugt die Frau als Bildmotiv. Doch während Klimt als Maler der Hochfinanz galt, ist für Schiele die proletarische Frau interessant. Er ist besessen davon, Sexualität darzustellen, allerdings wirken seine halb bekleideten Akte aggressiv und obszön, er malt die Frau als triebhaftes Geschöpf ohne Scham. Bei Alfred Kubin ist die Frau als mörderisches, bedrohliches Wesen ebenfalls ein häufiges Motiv: dominant, verführerisch, zerstörerisch.

Unter den Literaten hat sich Peter Altenberg als besonderer Frauenversteher gefühlt. Er besang das junge, sexuell unerweckte Mädchen, die schlanke, androgyn wirkende Frau, „zarte, edelgliedrige, gebrechliche Geschöpfe“ mit „ einer anmutigen Seele, kindlich leicht beschwingt“, in denen er „Prinzessinnen für bessere, zartere Welten“ erblickte, die vor den „Sexual- Pranken“ der Bestie Mann zu schützen seien. Die reife, erfahrene Frau fand er nicht so anbetungswürdig, in deren Nähe fühlte er sich eher unbehaglich, ihr gegenüber wahrte er eine gewisse Distanz. Der „Femme fragile“ gegenüber konnte sich der Mann in der beschützenden, dominanten Rolle erleben, als Bruder, befreit vom Fluch der tabuisierten Sexualität.

Auch die Utopie der reinen, hohen Geschwisterliebe, von Dichtern wie Robert Musil und Thomas Mann thematisiert, erklärt die Frau zum geschlechtslosen Engel, bevor sie – so wie etwa bei Georg Trakl – durch den Inzest zum Dämon wird. Den Frauentyp des anspruchslosen „süßen Mädels“ wiederum hat Arthur Schnitzler geschaffen, die jugendliche Geliebte aus der Vorstadt, die den „jungen Herrn“ vor dem Bordell bewahrt, bevor er eine Frau des eigenen Standes heiratet. „Süße Mädel“ bevölkern seine Theaterstücke, aber es gibt sie auch in der Realität, Dienstboten, Näherinnen, Stubenmädchen, die sich für eine kurze Zeit ihres Lebens „etwas Besseres“ geangelt haben.

Und wie haben Frauen auf diese Typisierungen reagiert, auf diese Bilder, die ihnen ungefragt übergestülpt wurden? Denn natürlich gab es auch damals Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, die sich gegen diese Vereinnahmungen gewehrt haben. Es gab eine Gina Kaus, die erfolgreiche Romane und Erzählungen schrieb, eine Lina Loos, die nicht nur Schauspielerin, sondern ebenfalls schriftstellerisch tätig war, eine Eugenie Schwarzwald, die sich um eine fortschrittliche Mädchenerziehung verdient gemacht hat, den Salon der Journalistin Berta Zuckerkandl, in dem sich Männer ihre künstlerischen Inspirationen holten – und es gab die Frauenbewegung.

Aber das Aufbegehren dieser Frauen, ihre Emanzipations- und Artikulationsversuche, stießen meist auf sehr hartnäckigen, zum Teil auch gehässigen Widerstand. Eine treffende Analyse zu diesen Vereinnahmungen hat Rosa Mayreder geliefert: „Man wird erst wissen, was die Frauen sind, wenn ihnen nicht mehr vorgeschrieben wird, wie sie sein sollen.“ Ihr eigenes, aus eigenen Erfahrungen, eigenen Erlebnissen gestaltetes Bild begannen Frauen verstärkt erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einen bislang hauptsächlich männlich orientierten Kunst- und Literaturbereich einzubringen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2013)

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