Terrorist von Druckers Gnaden

Erstaunlich, was eine fremde Schrift so alles auslösen kann. 182 Seiten auf Arabisch oder: Wie al-Qaida nach Thüringen kam. Eine Selbsterfahrung.

Al-Qaida in Jena, in Thüringen,nicht weit von Weimar, wo einst die Crème de la Crème aller deutschen Dichter und Denker gelebt hat? Goethe, Schiller und Herder, um nur einige zu nennen. Klingt das nicht fremd? Bis jetzt wissen wir von Jena, dass es der Ort war (oder noch ist?), wo sich eine andere Terrorzelle, eine andere Killerbande etabliert hat: der Nationalsozialistische Untergrund, kurz NSU. Dass es dort al-Qaida geben könnte, ist für uns neu. Selbst wenn wir annehmen, dass al-Qaida noch eine Dummheit zu ihren vorherigen Dummheiten hinzufügt und ausgerechnet in Deutschland eine neue Zelle gründet, würde sie dies doch nicht in einer kleinen Stadt wie Jena tun. Jena verfügt über keine bedeutenden Anlagen, die sich als Ziel eignen, weder militärische noch Nuklearanlagen, geschweige denn ein World Trade Center. Aber langsam! Warum glauben wir beispielsweise nicht, dass al-Qaida vom NSU lernen möchte, hier quasi Deutschkurse nimmt, unter dem Motto „Wie morde ich zehn Jahre lang ungestört“? Oder vielleicht hat al-Qaida die Zeiss-Fabrik entdeckt. Dort werden nicht nur Linsen fürKameras produziert, sondern auch Zoomlinsen für Panzer. Ein großer Teil dieser Panzer geht nach Saudi-Arabien. Und wie wir wissen, hat al-Qaida gewisse Meinungsverschiedenheiten mit Saudi-Arabien.

Doch die Sache hat einen Haken: Ein bedeutender Teil dieser Panzer geht nach Katar, und ob wir wollen oder nicht, dieses winzige Emirat, diese Möchtegern-Großmacht, ist ein Verbündeter von al-Qaida. Wenn nicht sogar ihr Sponsor. Allein der Sender, der dem dortigen Ministerpräsidenten gehört, ist das Sprachrohr von al-Qaida. Er hatte als Erster die Copyrights der aufgezeichneten Sprachnachrichten vom Ex-Superverbrecher Osama Bin Laden und von seinem noch lebenden Mordgefährten Aiman Al Dhawahiri. Infolgedessen wäre es unrealistisch, dass Zeiss zur Zielscheibe von al-Qaida wird. Bleibt uns also nur das Wort „Paradies“, das an Jena hängt. Wäre es möglich, dass al-Qaida in Jenas gleichnamigem Park eine Alternative für ihr von Mördern bereits überfülltes Paradies gefunden hat? Aber im Grunde weiß ich das alles nicht, verehrte Leser, wichtig ist, dass ich zur Sache komme und mit der Geschichte anfange.

Im vergangenen Halbjahr war ich Stipendiat als „Writer in Residence“ in der Villa Rosenthal zu Jena. Wer die Villa nicht kennt: Sie gehörte dem jüdischen Ehepaar Eduard und Clara Rosenthal. Das Haus im gründerzeitlichen Stil wurde 1891 gebaut und schnell zu einem kulturellen Treffpunkt. Die juristischenund wissenschaftlichen Leistungen Eduard Rosenthals (er war der Vater der Thüringer Verfassung von 1921) sowie das soziale und gesellschaftliche Engagement gemeinsam mitseiner Ehefrau Clara verschafften dem Ehepaar große Anerkennung. Nach dem Tod von Eduard wohnte die Witwe allein in der Villa, mindestens bis ins Jahr 1933, als der zweite Bürgermeister von Jena, ein Nazi, dort einzog. Er unternahm frühzeitig alle Versuche, um „den arischen Boden“ (die Villa) von „derJüdin“ zu säubern. Es gibt viele Geschichten, Protokolle aus der Zeit, die für Spekulationen sorgen könnten. Tatsache ist: Frau Rosenthal wurde in ihrer Villa eines Tages tot aufgefunden. In den offiziellen Akten sprach man von Freitod durch eine Überdosis von Tabletten. Ebenso Fakt ist, dass danach der zweite „arische“ Bürgermeister allein mit seiner Familie dort wohnte.

Um die Villa vor dem Verfall zu schützen, hat man eine Stiftung gegründet. Seit 2009 vergibt „Jena Kultur“ alle zwei Jahre vier Stipendien für sechs Monate. Zwei bildende Künstler, zwei Literaten. Ich hatte das Glück, ab Juli 2013 dort zu weilen. Und was hat das mit al-Qaida zu tun?

Die Geschichte ist Folgende: Obwohl die Villa und das Hauptbüro von „Jena Kultur“ weit auseinanderliegen, ist der Computer im Büro der Villa mit dem Computer von „Jena Kultur“ verbunden. Jede Bewegung, Drucken im Besonderen, wird im Hauptbüro registriert, wenn man das Druckprogramm in der Villa nicht umstellt. Und so geschah es. Woher sollte ich wissen, dass das Ausdrucken von 182 Seiten auf Arabisch Alarm bei „Jena Kultur“ auslösen könnte?

Im Volksbad, wo sich das Hauptbüro befindet, sah eine Frau diese Seiten, und die arabische Schrift ließ sie mutmaßen, es handle sich um Schriften von al-Qaida! Jemand von al-Qaida hat „Jena Kultur“ infiltriert! Ja, die Frau war überzeugt, deshalb schlug sie bei allen möglichen offiziellen Stellen Alarm. Vielleicht dachte sie, dass al-Qaida das ihrem Büro gegenüberliegende Gebäude, den imposanten Rundbau, den Intershop, das höchste Gebäude von Jena, in die Luft jagen wollte, als handle es ich um das World Trade Center.

Als Erstes schickte man die Leiterin von „Jena Kultur“ (Frau Doktor Soundso) nach Hause. Na klar: Die Chefin muss zuerst vor dem vermeintlichen al-Qaida-Anschlag gerettet werden, und die einfachen Werktätigen sollen durchhalten! Erstaunlich, was eine fremde Schrift bei einem Menschen so alles auslösen kann. Und wahrscheinlich nicht nur in Jena, sondern überall in der westlichen Welt, wo ein arabisches Buch oder eine arabische Zeitung die Menschen hinter den unlesbaren Zeichen Attentate und Terror fürchten lässt. Ich weiß nicht, wieweit die Frau danach enttäuscht war, als man ihr nach langen Ermittlungen (allerdings schneller als bei der Ermittlung gegen den NSU) mitteilte, dassderjenige, der diese große Zahl von Papier auf Arabisch ausgedruckt hat, ein Schriftsteller war, der als Stipendiat von „Jena Kultur“ in der Villa Rosenthal wohnte. Sicherlich dachte sie bis dahin, dass sie die größte Entdeckung ihres Lebens gemacht habe: Jena ist nicht mehr die Heimat des NSU. Jena ist die Heimat von al-Qaida!

Sicherlich dachte sie, dass alsbald TV-Kameras und Agenturen der ganzen Welt nach Jena geschickt würden. Dass der verdächtige al-Qaida-Mann, nach dem Polizei und Sicherheitsbehörden fahnden sollten, letztlich ihr Stipendiat war, damit hatte sie nicht gerechnet.

Was mich betrifft, und da ich Optimist von Natur aus bin, so sage ich: Das ganze Geschehen war nicht ungut. Am Ende weiß die Frau jetzt, dass nicht alles, was Arabisch ist, mit al-Qaida zu tun hat und dass es arabische Literatur und Schriftsteller wie mich gibt. Und ich machte auch eine große Entdeckung: So sieht das Paradies Jena aus. ■

Geboren 1956 im irakischen Basra. Als Andersdenkender inhaftiert und gefoltert, flüchtete 1980 nach Deutschland. Schreibt für die arabische Zeitung „Al-Hayat“. Romane: u.a. „Jussifs Gesichter“, „Engel des Südens“ (alle bei Hanser). Kommendes Frühjahr erscheint, gleichfalls bei Hanser, „Bagdad Marlboro, ein Roman für Bradley Manning“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2014)

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