Ein Teddy namens Richard

Richard Strauss ging im Haus ihrer Eltern ein und aus. Heute ist es Christiane Schönborn-Buchheim selbst, die Hausmusikabende veranstaltet. Einmal im Monat wird ihre Wohnung zum Salon.

Im Salon erklingt Musik, Monat für Monat, klassische Kammermusik oder Lieder von Walter Jurmann oder Barockmusik oder Uraufführungen syrischer Komponierender. Der Kreis der Eingeladenen bekommt handgeschriebene Einladungen, auf jeder ein von der Gastgeberin selbst gezeichnetes Bild. „Das Zeichnen – in der Jugend bin ich dafür ausgelacht worden; lange habe ich keinen Bleistift angerührt, erst wieder, als ich 61 Jahre alt war. Ich hatte nie Unterricht.“ Die Eltern wollten, dass Christl die Akademie besucht, sie entscheidet sich dagegen und heiratet. „Das war ein Fehler – oder auch nicht, wie man es nimmt.“ Später finanziert das Malen die Stiftungstätigkeit, über die Christl Schönborn-Buchheim nur leise spricht: karitative Zwecke – Kinderheime, eine Wasserleitungsverlegung in der Ukraine hat sie finanziert.

Der Flügel steht unter einem Ölbild. Das Porträt des stattlichen Mannes zeigt Paul Kupelwieser. Selbstbewusstsein in Öl. Hier geht Geschichte auf: die Geschichte von Paul Kupelwieser, der gemeinsam mit Karl Wittgenstein in der Stahl- und Eisenindustrie reich geworden war. Kupelwieser, dessen Vater der Maler und Blechgeschirrerzeuger Leopold war, war Generaldirektor der Rotschild'schen Eisenwerke in Ternitz. Pauls Bruder Karl heiratet Berta Wittgenstein – auch das verband die beiden Familien, neben dem unbedingten Codex, einander das Vermögen zu erhalten und keinen Adelstitel anzunehmen. Während die Frauen der Familien hoch qualifizierte musikalische Assistenzdienste verrichten – Berta dirigiert für Johannes Brahms Proben mit dem Frauenchor –, haben die Männer der Kupelwiesers und Wittgensteins den Lebensplan, bis 50 Karriere gemacht zu haben, dann legt man das Geld gut an, entscheidet sich schnell zum Kauf, widmet sich nun ökologischen und kulturellen Zielen: Karl W. kaufte das Land um die Hochreith, forstete sie auf, erbaute Jugendstilarchitektur. Paul K. kaufte den Inselarchipel Brioni, erlöste die Inseln – gemeinsam mit dem Bakteriologen Robert Koch – von der Malaria, kultivierte sie zum Nobelresort, wo Erzherzog Franz Ferdinand und der österreichische Hochadel Erholung suchen.

„Ich bin 1928 geboren.“ Christl Schönborn-Buchheim hat in Brioni ihre Kindheit verbracht, ist dort spazieren gegangen, meistens mit der englischen „Missy“ oder der „Großmama“. Eine Frauenfamilie lebt auf Brioni, das die Brüder mit einander geborgtem Geld erworben haben. „Ich glaube, mein Urgroßvater hat nie das Geld zurückzahlen können, das ihm sein Bruder geborgt hat, um Brioni zu kaufen.“ Die Erinnerung bestätigt die Geschichte.

Der Großvater Leopold, „Loni“, trennt sich von der Großmutter und heiratet in Wiennoch einmal: „Er war für mich praktisch nicht existent.“ Drei Schwestern, Christls Mutter, Maria Anna, sowie Marie-Luise und Annelie erben Brioni, das nun von Lonis jüngerem Bruder, Carl Kupelwieser, verwaltet wird. Carl geht 1930 in den Tod – das Leben auf Brioni ist schwer geworden: Noch kommen die Gäste über den Sommer, aber im Winter braucht das Resort Geld von den Banken – Mussolinis Italien sperrt erst die Kredite und enteignet schließlich Brioni.

Familie auf getrennten Wegen

Die Wege der Familien trennen sich. „Man hat miteinander nicht verkehrt.“ Christl trifft erst in den letzten Jahren die Familie Carls, den vor Kurzem verstorbenen Forstmeister Hans Peter Kupelwieser aus Lunz am See, dessen Sohn der Künstler Hans ist.

Die Erinnerungen enthüllen und verbergen Geschichte. Erinnerung steht Geschichte gegenüber: Man hält das Geld in der Familie zusammen, verschwägert sich, lebt wohltätig. Söhne, die nicht den Ansprüchen genügen, wählen den Tod. Die ungeduldete Beziehung zur einer Frau ist ein Familien-Ausschließungsgrund. Als Ludwig Wittgenstein jenen Handel mit den Nazi-Anwälten macht, der mit dem immensen Vermögen der Wittgensteins den sogenannten Mischlingsstatus und damit das nackte Leben der Familie Wittgenstein erkauft, rettet er auch die Familie Kupelwieser, in der von den Nazis als jüdisch klassifizierte Familienmitglieder seit dem „Umbruch“, dem „Anschluss“, nicht mehr ihres Lebens sicher sind. „Großmama hat auch gemalt, die Mutter meiner Mutter, eine geborene Hiller. Sie war jüdisch.Kupelwiesers waren Forstleute aus Südtirol und nicht jüdisch.“

Neben dem Gemälde des Paul Kupelwieser steht im Salon die Büste Manfred Mautner-Markhofs. Christl Schönborn-Buchheims Mutter, Maria Anna Kupelwieser, heiratet den Industriellen und Präsidenten des Wiener Konzerthauses – in Brioni. „Meine Mutter ist in Brioni aufgewachsen und hatte immer sehr Heimweh danach. Sie hat eine italienische Schule besucht und niemals deutsche Orthografie gelernt.“

Christl, Tochter des Konzerthauspräsidenten, verfolgt das Wiener Konzertleben aus der Einser-Loge, vorne links. „Wir sind pausenlos ins Konzert geführt worden. Bei meinen Eltern waren Musikabende mit den Philharmonikern und vielen anderen. Der spektakulärste Gast war Richard Strauss, der immer Karten mit meinem Vater gespielt und dabei meine Mutter irrsinnig nervös gemacht hat, weil die beiden immer um so viel Geld gespielt haben. Ich hab vier Teddybären gehabt, und den größten habe ich Richard getauft, denn unser Hauptgespiele war der Enkel von Richard Strauss, der hat auch Richard geheißen.“ Vor zwei Jahren hat Christl Schönborn-Buchheim den Inhalt des Schreibtisches ihrer Mutter der Nationalbibliothek übergeben – einen Briefschatz der Musikszene von Hindemith bis von Einem.

„Mein Vater ist ein sehr jovialer Mensch gewesen, meine Mutter war hochmusikalisch, hatte Klavier an der Akademie in München studiert. Mein Vater hat sozusagen den Rahmen gegeben – es war ein fantastisches Zusammenspiel, sagen wir so.“ Als der Vater Präsident des Konzerthauses ist, soll die Mutter immer neben ihm bei den Konzerten sitzen, um ihm ihre Anmerkungen zu sagen. „Wir haben einen Walzer gehabt, der nur in unserer Familie gespielt wurde und nur nach Gehör weitergegeben wurde. Meine Mutter war die erste, die unseren Walzer aufgeschrieben hat, dieses Original ist leider weg.“ Richard Strauss hat ihn gesetzt, Gottfried von Einem ebenso – und seine Version des Kupelwieser-Walzers an die Universal-Edition übergeben. In den 1980er-Jahren war der Walzer die Titelmelodie der Improvisations-Fernsehsoap „Die liebe Familie“. – Die Jugend ist karg, aber nobel. „Wir hatten einen Hauslehrer für alle vier Klassen der Volksschule. Ich wollte nie etwas lernen; die Führerscheinprüfung, die Jagdprüfung und die Dolmetschprüfung für Englisch, das waren die einzigen Prüfungen, die ich gemacht habe.“ Von 1942 an wohnt die Familie in Simmering, vorher in der Brauerei St. Georg in Floridsdorf. Als das Wohnhaus in Simmering im Jahr 1945 abbrennt, verbrennen auch die Bilder des Malers Leopold Kupelwieser. Christl zieht mit Mutter und Schwester in die Steiermark, die Südseite vom Grimming hatte ihr Vater gepachtet. Auf der Ennstalstraße, damals noch eine Staubstraße, sieht sie einen nicht enden wollenden Flüchtlingsstrom von Menschen von Ungarn heraufziehen: „Zuerst sind jene mit Autos gekommen, dann jene mit Pferdefuhrwerken, dann mit Ochsengespannen, am Schlusszu Fuß und dann diese armseligen Soldaten. Kinder wurden geboren auf der Straße.“ Die Weltgeschichte zieht vorbei.

In der Abgeschiedenheit der Jagdhütte ordnet Christl, der Teenager, die von ihrem Taschengeld gekauften Kunstpostkarten zu einer Kartothek. Ihr selbst geschaffenes Lehrmaterial wird die Mädchenschule in der Boerhaavegasse bekommen. Danach, im Nachkriegs-Wien, kommen die Sorgen einer Mädchenjugend: „Wenn man immer mit der Taillekämpft, gibt es nur eine Sorte von Kleid, die man tragen kann, das ist eines, das keinen Gürtel hat. Ich bin also mit dem einen Kleid, das ich immer anhatte, mit dem Hut meiner Mutter, der wie eine Semmel ausgeschaut hat, und mit Handschuhen von meinem Schwiegervater ins Konzert gegangen.“

Eine frühe kurze Ehe, zwei Kinder werden geboren – Christls Tochter erzählt später, wie die Mutter sie auf die ersten Bälle begleitet hat, strickend im Hintergrund sich haltend. „Ich habe meinen ersten Mann fünf Mal gesehen, er hat eine reiche Frau gesucht und mir einen Heiratsantrag gemacht. Dann ist er mit einem riesigen Rosenstrauß in die Schule gekommen. Ich hab mich wahnsinnig geniert. Ich habe ihm gesagt, er soll am Abend zu meinen Eltern nach Hause kommen, und die waren mit ihm einverstanden. Ich wollte eigentlich jemand ganz anderen heiraten, aber den hat man mir nicht erlaubt.“ Eine zweite glücklich-kurze Ehe mit einer Kindheitsbekanntschaft, eine lange Krankheit des Ehemannes. „Er war verwitwet und ich schon lang allein. Wir haben beide sehr schwierige Leben hinter uns gehabt, und da findet man sich halt irgendwie. Es kommt alles, wie es kommen muss.“

Das Mädchen mit zu dicker Taille

Das Leben ist Kulturgeschichte, Geschichte. Die Gastgeberin zeichnet nicht nur, sie schreibt auch. Eine Geschichte heißt „Das Konzert oder Die Einser-Loge“. Sie handelt von dem Mädchen mit zu dicker Taille, das im immer selben Kleid mit dem Semmelhütchen und den Männerhandschuhen in der ersten Reihe sitzen muss. „Ich weiß nicht, wie die Geschichte weitergeht.“ Die erste Reihe vermeidend, kommentiert Christl bei ihren Hausmusikabenden aus ihrem hohen Lehnsessel von der Rückwand des Salons dankend, höflich distanziert: „Ein Abend voller Missverständnisse“, bemerkt sie, nachdem Gottfried Wagner zu Gast gewesen ist. Da stellt sie sich in die Reihe der Salonieren Wiens, von Lilly Lieser in der Argentinierstraße bis zu Grete Wiesenthal oder Berta Zuckerkandl. Die Vergangenheit ist noch nicht zu Ende, wenn wir aufmerksam die Gegenwart beobachten.

Die Hausmusikabende beginnen mit dem jungen Sänger Thomas Weinhappel; er hat als Erster gebeten, ob er nicht einmal einen Liederabend bei Christl geben dürfe. Durch Thomas Weinhappel lernt sie Michael Haneke kennen. In Hanekes Film „L'Amour“ über das lange Leiden und Sterben in einer Ehe spiegelt sich Gender-verkehrend Christls zweite Ehe.

Fünf Jahre nach dem Tod des Ehemannes öffnet sich der Salon. „Weinhappel hat seine Kollegen gebracht, und jetzt hat es sich eingebürgert, dass so ein Abend einmal im Monat stattfindet. Die Absicht ist, jungen Künstlern und Künstlerinnen zu helfen. Ich liebe junge Leute.“ Wer auftritt, muss eine Jury überzeugen, die die Hausfrau und Gastgeberin berät. Wer auftritt, hat den Salon als Vorhof zur Öffentlichkeit bestanden. ■


„Erinnerung an Brioni – Das Reich des Paul Kupelwieser“ ist der Titel einer Diskussion im Wien Museum am Karlsplatz, an der auch Christiane Schönborn-Buchheim teilnimmt: am 25. Februar, Beginn 18.30 Uhr. Eine Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Österreichische Riviera“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2014)

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