Das Runde an Österreich.

Naturhistorisches Museum
Naturhistorisches Museum(c) Clemens Fabry
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Ich gehe gern den Wiener Ring entlang. Das führt zu keinem Ziel. Einen Augenblick zeigt sich die alte Macht. Die Erinnerungen, was da gewesen ist. Wie groß das gewesen ist. Wie töricht und doch. Wir gehen weiter. Oder zurück. Die Richtung ist ja nicht wichtig. In einem Kreis. Seit 150 Jahren.

Das Schönste an der Ringstraße ist ihr Schwung. Breite Straßen. Beeindruckende Boulevards. Lange Alleen. Davon gibt es viele. Die führen dann in aller Breite und in allem Pomp auf Triumphbögen und andere Bauten der Macht zu. Und. Stets ist der Abstand dorthin vor Augen. Stets das Ziel sichtbar. Auf der Ringstraße. Da geht es immer rund. Da eröffnet sich ein Ausblick, und in der Annäherung an das eine Ziel zeigt sich schon das nächste. Mählich ist das. Unhastig.Gedankenverloren. Ein bisschen.

Beim Spazieren über die Ringstraße. Da geht eine entlang und lässt hinter sich. Jedes Ziel schließt alle mit ein. Ein Kranz der Repräsentation ist das, den eine da entlangwandern kann. Die Bauten als Schatztruhen ihrer Bestimmung stehen von der Straße ein wenig zurück. Verschwinden hinter denBaumkronen. Das bürgerliche Selbstbewusstsein zeigt sich diskret.

Beim Gehen. Da, wo schon immer spaziert wurde. Auf dem Glacis und auf der Bastei. Da muss einer einfallen, was das für eine Baustelle gewesen sein muss. Was für eine Riesenbaustelle. Was für eine Veränderung. Ein Erlass des Kaisers im Dezember 1857, und im Mai 1865 wird feierlich eröffnet. Einfach so. Die Befestigungen werden abgetragen. Die Stadt wirdzur Großstadt. Das Mittelalter ist vorbei. Zumindest in der Stadtplanung ist das der Fall. Denn. Aus den versprochenen Veränderungen als Reaktion auf die Revolution 1848 war gerade noch die Übernahme der grundherrschaftlichen Rechte in die Bach'sche Verwaltungsreform übrig geblieben. Immerhin. Stadtplanung konnte nun beginnen. Aber. Die letzte Entscheidung blieb beim Kaiser. Die absolute Herrschaft zwang weiter zum Verlernen, wie entschieden wird. In jedem Fall musste gelernt werden, entschiedene Meinungen nicht auszusprechen. Für sich zu behalten. Es musste am Ende ja die Entscheidung des Kaisers in die Tat umgesetzt werden. Ausführung ist das. Befehlserfüllung. Das Denken in Hierarchien war erforderlich. Auch bei der Planung und Ausführung der Ringstraße war dieses militarisierte Vorgehen der Fall. Der Kaiser behielt sich die letzte Entscheidung vor. In allem und so auch für die Gestaltung dieses Städteplanungsprojekts. Die militärische Nutzung ist mitgedacht.

Beim Spazieren über die Ringstraße. Es fällt einer diese Person ein, die da in der Burgsaß und sich die Umgebung vollkommen umbaute. Sehr weit weg von dieser Ringstraße muss diese Person gedacht werden. Sehr weit weg von all denen, die da unten vorbeiwanderten.

Im Sylvesterpatent 1851 hatte der Kaiser sich zur einzigen Instanz der Monarchie erklärt. Alle Versprechungen von 1848 auf eine Verfassung waren zurückgenommen. 1854 war die Pressezensur noch einmal verdichtet worden. Körperliche Züchtigung war alsStrafe nun in der ganzen Monarchie wieder eingeführt. Der Kaiser regierte absolut. Die Verwaltung wurde zentralisiert. Deutsch war Amtssprache. Was konnte man da über die Politik wissen. Was konnte jemand über sein eigenes Schicksal durch diese Politik erfahren. Der Kaiser bestimmt die Außenpolitik. Er verdirbt es sich international mit allen anderen Nationen. Im Krimkrieg zögert er zu lange. Er hält nicht zum Zaren, der ihm in Ungarn 1849 geholfen hat. Aber er unterstützt auch nicht die Engländer, die Franzosen und die Goldene Pforte. Österreich wird nicht Mitglied im Deutschen Zollverein. Die Mitglieder des Zollvereins können Österreich nicht akzeptieren, weil sie die nicht deutschsprachigen Teile der Monarchie nicht einbinden wollen und die Monarchie wiederum diese Teile nicht abtrennen kann. In Ungarn gelingt es dem Kaiser durch eine Politik des Erzwingens von Übernationalität, sogar die konservativsten Kreise zu düpieren. Die PR-Reise durch Ungarn mit Sisi erntet so nur Feindseligkeiten und stärkt die Position der Monarchiegegner. Die Kaiserin muss diese Reise abbrechen. Die kleine Tochter des Kaiserpaars stirbt in Buda, während die Eltern in Ostungarn sind. Die Kaiserin kehrt nach Wien zurück. Beim Gehen über die Ringstraße. Ein wenig werdenwir da zu Touristen und Touristinnen der eigenen Geschichte. Da ist die Kaiserin Elisabeth. Sie muss da entlanggefahren sein. Aber. Die Sisi-Filme haben uns für die Wirklichkeiten der Geschichte in ihrer Verlogenheit wirklich ganz und gar verdorben. Das Anekdotische hat unseren Blick zurück besetzt. Auch das lässt sich an der Anlage der Ringstraße deuten. Es gibt kein Zentralereignis einer Gründung, wie es die Französische Revolution für Frankreich wäre. Das Österreichische sammelt sich nicht um ein Ereignis oder ein Dokument. Viele Geschichten undGschichterln schaffen eine Zugehörigkeit,die wir immer erst im letzten Augenblickmobilisieren können. Und diese Zugehörigkeit ist dann nie eine Zusammengehörigkeit. Dem entspricht diese Aufreihung der Orte des bürgerlichen Selbstbewusstseins am Ringbis heute.

Die ehemalige Zentrale der Macht. Die Burg. In der Burg. Da sitzt heute unser demokratischer Repräsentant. Obwohl. Die ungeheure Machtansammlung von einmal. Zu fühlen ist das und hat ja im Jubel auf dem Heldenplatz im Jahr 1938 böse Nachahmung gefunden.

Über die Ringstraße. Da geht eine auch die erlogenen Motive dieser anekdotischen Österreichkonstruktion entlang. Und da finden wir alles für den Wiederaufbau 1955 erlogen. So musste zum Beispiel bei der Reise 1856 in Italien der berühmte Ball aus dem Sisi-Film „Die junge Kaiserin“ in der Wirklichkeit abgesagt werden. Die Mailänderinnen hatten sich geweigert, mit österreichischen Offizieren zu tanzen. Und nichts ist es mit den filmischen Triumphen der Österreicher da. Und doch. Die Bilder sind Bestandteil der Erinnerung, und es wäre hilfreich, ein Museum der falschen Erinnerungen an der Ringstraße zu haben und die Propaganda von der Wirklichkeit trennen zu lernen.

Denn. Der Erlass 1857. Die Wirtschaft warnach zwei guten Jahren von der internationalen Börsenkrise 1857 erschüttert. Die Staatsfinanzen sind weiter total zerrüttet. DieBürokratie, die auf die gesamte Monarchie ausgedehnt wird. Das Heer, das die Monarchie zusammenhalten muss. Die Kriege, die den Erhalt der Monarchie bewerkstelligensollen. Das alles kostete ungeheuer viel Geld. Der Bürger erfuhr von all dem vor allem durch die Geldentwertungen und die Steuern. Statt durch Zeitungen Information über die Politik und den Zustand des Staats zu erhalten, musste der Bürger von den finanziellen Lasten auf diesen Zustand der absoluten Herrschaft schließen. Und die Lasten waren groß. Die Lasten waren so groß, dass auch durchaus reaktionäre Kreise nach einer konstitutionellen Kontrolle der Regierungsausgaben verlangten. Und erinnern wir uns, das allgemeine Wahlrecht der Männer wird es erst 1907 geben.

In diesem Augenblick. 1857. In diesemAugenblick ebnet der Kaiser die mittelalterlichen Befestigungen ein und gibt dem Großbürgertum einen Ort der Selbstdarstellung. Das Ringstraßenpalais wird zum Symbol des neuen Aufstiegs. Die Ringstraße beschreibt die Erweiterung der Gesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um das Bürgertum. In der Innenstadt der Kaiser, die Kirche und die Aristokratie. Auf der Ringstraße die neue Macht der Industrialisierung, der Banken und des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts.

War der Kaiser je zu Besuch in einer Wohnung in einem der Ringstraßenpalais? Es ist schwer vorzustellen. Aber vielleicht liegen die verkitschten Altersbilder Franz Josephs dazwischen. 1857 war der Kaiser noch jung und frisch und ungebeugt von seiner christlichen Bestimmung und Richtigkeit überzeugt. Der junge Kaiser ist beseelt davon, dass die Geschichte selbst die Richtigkeit seiner Entscheidungen nachweisen wird. 1857 fühlt er sich darin auch noch immer bestätigt. Bis zur Eröffnung der Ringstraße. Da wird der Kaiser in Solferino den Krieg kennengelernt haben. Italien wird verloren sein. Die Geschichte wird den Nachweis der Richtigkeit nicht erbracht haben. Im Gegenteil.

Die Ringstraße. 1857 kann der Kaiserdie politische Bedrängnis Österreichs in Europa noch uminterpretieren. Der Kaiser kann noch sicher sein, den richtigen Weg zu gehen. Die Gründung der Ringstraße. Die wird aus der Überzeugung des Kaisers, alles richtig zu machen, zu so einer Handbewegung. Die Probleme. Von den Problemen haben ja nur der Kaiser und ein sehr kleiner innerer Kreis Kenntnis. Die Gründung der Ringstraße sagt nun: „Da, nehmt das da.“ In so einer Gestehingebreitet erscheint das. Vom Balkon aus diese Handbewegung, und es wird der weite Abstand des Gatters der Burg zur gegenüberliegenden Straßenseite bedeutsam. Da stehen zwei Prinzipien einander gegenüber. Und heute. Die Baumwipfelmildern das ab.

Ich gehe gern auf dem Ring. Das führt zu keinem Ziel. Die Ringstraße führt an vielen Zielen vorbei und dann immer zu sich zurück. Irgendwann kommt eine unter der drohenden Bronze über dem Kriegsministerium vorbei. Einen Augenblick zeigt sich die alte Macht. Die Gewalt wirft sich im dunklen Doppeladler und den Insignien des Kriegsüber die Ringstraße. Der symphonischeKitsch der Macht will sich andrängen. Die Erinnerungen, was da gewesen ist. Wie groß das gewesen ist. Wie töricht und doch. Wir gehen weiter. Oder zurück. Die Richtung ist ja nicht wichtig. In einem Kreis. ■

Der Beitrag von Marlene Streeruwitz erscheint auch in dem Band „1865 - 2015: 150 Jahre Wiener Ringstraße. 13 Betrachtungen" diese Woche im Metroverlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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