Emmy und die eiserne Zeit

Die Briefe meines Großvaters an meine Großmutter.

Damals, im Oktober 1915, schrieb mein Großvater seiner Frau Emma, die er englandfreundlich, wie viele damals, Emmy nannte, einen Brief aus Königshofen bei Straßburg. Die sorgfältige Absenderadresse auf dem sehr kleinen Briefumschlag lautet: Kanonier Rehse, Reserve Fußartillerie 10 u Batterie, 12. Reservearmeekorps, 23. Division, III. Armee / Westen. Das Paar war seit vier Jahren verheiratet und hatte bereits drei Töchter. Um die und die kleine Firma kümmerte sich die junge Frau nach besten Kräften, und davon, man ahnt es, schreibt sie ihm, die anders als er seine Briefe aufgehoben hat.

Außer der herzlichen Anrede und Abschiedsformel wird viel vom Essen geschrieben, er hat Fresspakete bekommen mit Butter, frischem Speck und Fisch und freut sich sehr darüber, weil ihm die ungesalzene Butter, die man dort kaufen kann, nicht schmeckt (er gibt allerdings zu, sie auch noch nicht probiert zu haben). Mutter Dürr in der Kantine habe ihm versprochen, ihm den Fisch warm zu machen. Aber das Essen in der Kantine sei nicht zu vergleichen mit dem ihren, und die Fotos aus jenen Jahren zeigen, dass ihm ihr Essen zu Hause sehr geschmeckt haben muss, denn er war zeitlebens das, was die deutsche Sprache „beleibt“ nennt. Auch solle sie nicht glauben, dass bei ihm dort alles so warm und sauber sei wie bei ihnen zu Hause. Was ihm fehlt, ist eine Kiste Zigarren, die möge man ihm doch bitte schicken.

Von seinem sogenannten Soldatenleben darf er ihr leider nichts berichten, es ist nicht erlaubt, aber dann schreibt er doch, dass seine Stube zwar für 20 Mann ausgelegt ist, sie aber nur noch 12 sind und davon die meisten krank oder untauglich. Der Dienst werde immer etwas mehr, die freie Zeit immer etwas weniger: Dennoch habe er sich beim Schneider einen neuen Waffenrock bestellt, der allerdings 50 Mark kosten werde. Aber wenn er mal ausgehe, wolle er wenigstens ordentlich aussehen.

„So ist es, wenn der Vater fehlt“

Er habe auch Besuch von seinen Eltern gehabt, die Mutter habe ihm ein schönes Stück geräucherten Schinken mitgebracht,dabei hatte er noch den frischen Speck, den seine Emmy ihm geschickt hatte. Und er habe mit seinem Vater einige Glas Bier getrunken. Und mit Freunden war er vor Tagen im Kino gewesen, er schreibt aber leider nicht, was er gesehen hat.

Der unausgebildete Landsturm, vor einem halben Jahr eingetreten, sei vor Tagen „vom Felde zurück, hatte sehr gute Erfolge gehabt und keine Toten und Verwundeten“. Ein bisschen mehr wird er schon gewusst haben.

Oft sind die Gedanken natürlich bei den Seinen zu Hause, seine Frau solle sich nur ja keine Sorgen machen, sie solle nicht so viel „mit Kind und Kegel herumlaufen“, sie möge sich „pflegen“ – ob er wohl eine Vorstellung davon hatte, wie das aussehen könnte für die Frau mit den kleinen Kindern? Ohne ihn geht es offenbar zu Hause drunter und drüber: „Also Annemarie (das ist meine Mutter) ist aus dem Kinderbett gefallen. Sage mir doch bloß mal, wie ist das möglich. Natürlich wieder sehr wild geworden. So ist es, wenn der Vater fehlt.“ Höchste Zeit, dass er wieder nach Hause kam, und ehe die großen Schlachten um Verdun und an der Somme ausbrachen, war er tatsächlich wieder bei den Seinen.

Allerdings ohne seine goldene Uhrkette; die hatte er eingetauscht gegen eine aus Eisen, mit zwei Schmuckgliedern: Auf der einen steht „Gold zur Wehr, Eisen zur Ehr“, auf der anderen „Aus eiserner Zeit“. Ich hab sie noch, er schenkte sie mir, mehr als einen Krieg später. Er hatte sie selbst getragen, auch in den Jahren, in denen er mit Zigarre in der Linken und französischem Rotwein in der Rechten in seinem Sessel mir gegenüber saß und auf den „Säufer“ Winston Churchill schimpfte. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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