Als die Signora Bachmann kam

Acht Häuser in Rom sind „Bachmann-Häuser“, an acht verschiedenen Adressen lebte Ingeborg Bachmann im Lauf von 20 Jahren. Eine Spurensuche.

Ingeborg Bachmann wohnte in Italien zuerst auf Ischia, dann in Neapel und schließlich in Rom – ihrer Stadt. Acht Häuser in Rom sind „Bachmann-Häuser“, an acht verschiedenen Adressen lebte Ingeborg Bachmann im Lauf von 20 Jahren. Eine Spurensuche mit dem Ziel, das Terrain für eine Casa di Ingeborg Bachmann zu sondieren, für einen Begegnungsort mit der österreichischen Literatur in Rom.


Am Campo dei Fiori. „Dies ist der Moment, an dem wir einer Geschichte, die für uns bis heute ungeklärt ist, einen Sinn geben“, ruft die Philosophin Maria Mantello mit fester Stimme über den Campo dei Fiori. Die Professoressa trägt ihr Haar tiefschwarz, dazu ein elegantes Etuikleid in kräftigen Farben. Maria Mantello ist die Präsidentin der Nationalen Vereinigung des Freien Denkens im Namen Giordano Brunos. „Das Recht auf die Würde des Einzelnen besteht in der Bekräftigung und in der öffentlichen Bewahrung der Komplexität jedes Individuums“, sagt Maria Mantello und verweist auf den in dunkler Kutte als Statue hinter ihr stehenden Giordano Bruno. „Brunos formidable Häresie bedeutet Wahlfreiheit. Deshalb müssen wir Häretiker sein.“ Im Sinne Giordano Brunos war auch Ingeborg Bachmann Häretikerin, sie, die ihr Leben immer frei wählen wollte, Ingeborg Bachmann, die schrieb: „Ich sah auf dem Campo dei Fiori, dass Giordano Bruno noch immer verbrannt wird. Jeden Sonnabend tragen die Männer den Abfall, der geblieben ist, nachdem alles verfeilscht wurde, vor seinen Augen zusammen und zünden den Haufen an. Wieder steigt Rauch auf, und die Flammen drehen sich durch die Luft.“

Ginevra Bompiani.
Gleich neben dem lauten Campo dei Fiori liegt still und aristokratisch die Piazza Farnese, dominiert vom Palazzo, der französisches Staatsgebiet ist. An der Piazza Farnese hat der Nottetempo Verlag seinen Sitz. Verlagsleiterin ist Ginevra Bompiani: „Ich habe Ingeborg Bachmann auf einem Fest von Inge Feltrinelli kennengelernt, in einem großen Landhaus, außerhalb von Mailand.“ Auf dem Fest waren die wichtigsten Intellektuellen Italiens versammelt. Nach dem Fest trafen sich Ginevra Bompiani und Ingeborg Bachmann auch öfter in Rom. Ginevra Bompiani erinnert sich an einen merkwürdigen Moment des Festes: „Furio Colombo las aus den Händen, einfach so, aus Scherz, er las meine Hand und die von Ingeborg Bachmann. Mir sagte er die Zukunft einer Intellektuellen voraus, Ingeborg dagegen prophezeite er eine Zukunft als Hausfrau.“

Ginevra Bompianis Ehemann, der Philosoph Giorgio Agamben, schrieb das Vorwort für die italienische Ausgabe von Ingeborg Bachmanns „Was ich in Rom sah und hörte“: „Ich hörte, dass es in der Welt mehr Zeit als Verstand gibt, aber dass uns die Augen zum Sehen gegeben sind.“


Via Giulia 66.
Von der Piazza Farnese ist rasch die Via Giulia erreicht. In der Renaissance wurde sie vom Papst Julius dem Zweiten, daher Via Giulia, als ideale Straße nach den Regeln des Goldenen Schnitts angelegt. Auf Via Giulia Nummer 66 befindet sich die letzte Wohnung von Ingeborg Bachmann. Paul Hlinka, ein österreichischer Priester, studierte zwischen 1971 und 1976 am Collegium Germanicum, dem Priesterseminar für Studenten aus deutschsprachigen Ländern. Als Bachmann in die Via Giulia übersiedelte, bat sie ihn und einige weitere Priesteranwärter um Hilfe beim Auspacken der Bücher.

Die Via Giulia verläuft parallel zum Tiber, das ist das aristokratische Zentrum von Rom. Der Palazzo Sacchetti ist dunkel und wirkt abweisend. Ingeborg Bachmann lebte in einer geräumigen Wohnung, wie in einer Festung. „Sie hat sich mit uns hingesetzt und uns gesagt, wo sie welche Bücher haben will“, erinnert sich Paul Hlinka. Eine Regalwand war voll mit sämtlichen Suhrkamp Taschenbüchern, bunt, in allen Farben des Regenbogens. Suhrkamp war seit „Malina“ Ingeborg Bachmanns Verlag. Die Schriftstellerin erzählte von ihren Reisen. „Mich hat sehr beeindruckt, dass sie drei Tage Berlin erlebt hat wie ein normaler Mensch drei Monate“, meint Paul Hlinka, „es hatte alles eine Bedeutung. Das Einsteigen in die Straßenbahn war verbunden mit einem besonderen Erleben. Mir ist vorgekommen, sie lebt drei Tage, und dann muss sie drei Wochen lang schreiben. Ich habe wirklich gespürt, wie sehr der Umgang mit Sprache ihr Leben ist.“

Ingeborg Bachmanns Wohnung befand sich im obersten Stockwerk des Palazzo Sacchetti auf zwei Etagen. Oben war der eigentliche Wohnbereich: Wohnzimmer, Arbeitszimmer mit Bibliothek, Schlafzimmer, Küche und Bad. Im unteren Eingangsbereich standen weiße Kästen und Bücherstellagen, ein Biedermeiertisch und Stühle.

In der kaum enden wollenden, mit Fresken ausgekleideten Zimmerflucht des Piano Nobile wohnt heute die Marchesa Giovanna Sacchetti: „Etwa 120 oder 130 Quadratmeter hatte die Wohnung von Ingeborg Bachmann, mehr nicht.“ Die Marchesa Sacchetti ist die Frau von Giulio Sacchetti, der 30 Jahre lang Governatore im Vatikan war und 2010 starb. Die Familie Sacchetti spielte schon in Dantes „Divina Commedia“ eine Rolle. „Mein Mann ist hier geboren“, erzählt Giovanna Sacchetti, „dieses Haus gehört der Familie seit Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Familie kam aus Florenz, und Kardinal Giulio Sacchetti kaufte den Palazzo. Erbaut hat ihn der Architekt Antonio da Sangallo für sich selbst.“ Giulio Sacchetti, Jahrgang 1926 wie Bachmann, vermietete die Wohnung an die Österreicherin. „Wir haben keinen Mietvertrag, im Archiv wurde nichts gefunden“, sagt Giovanna Sacchetti. Wie findet die Marchesa die Idee einer „Casa di Bachmann“ in Rom? „Ich denke, das ist eine ausgezeichnete Idee. Die Bachmann weckt großes Interesse.“


Via Bocca di Leone 60.
„Sie war eine sehr eigenwillige Person. Manchmal hat sie ausgesehen wie ein 20-jähriges Mädchen, und dann war sie wieder sehr herb. Sie war sehr, sehr schüchtern, sehr introvertiert.“ Pauline Bolzoni war Sekretärin im österreichischen Kulturinstitut in Rom und lernte Ingeborg Bachmann durch ihren Beruf kennen. Zu der Zeit war Bachmann im Verzug mit ihrem Roman „Malina“, weil sie sich das Schlüsselbein gebrochen hatte. Verzweifelt rief die Dichterin Walter Zettl an, den legendär-feinsinnigen Kulturattaché, ob er jemanden wisse, der ihr beim Tippen des Manuskripts behilflich sein könnte. Pauline Bolzoni fuhr zu Ingeborg Bachmann in die Via Bocca di Leone 60. „Das war eine sehr schöne Wohnung mit einer Riesenterrasse mit Palmen. Mir hat eine Bedienerin aufgemacht, mit schwarzem Kleid und weißem Schürzerl.“

Im Empfangsraum mit zwei roten Sofas und dunklen Bücherwänden sollte Bolzoni warten, bis die Signora Bachmann komme. Nach fast zwei Stunden teilte die Angestellte mit, Signora Bachmann habe gesagt, Pauline solle nach Haus fahren und in weiteren zwei Stunden wiederkommen. „Da hab ich mir gedacht, jetzt weiß ich nicht, aber weil ich es versprochen habe, bin ich nach zwei Stunden wieder hin, und dann kam ich jeden Tag zu ihr, und sie hat mir diktiert, dieses ,Malina‘.“

Am 2. November 1970 starb der Schriftsteller Johannes Urzidil, ein Mitglied des Prager Kreises, plötzlich im österreichischen Kulturinstitut, am nächsten Tag hätte er eine Lesung gehabt. Ingeborg Bachmann hatte bei einem früheren Rom-Besuch Freundschaft mit dem Intellektuellen geschlossen. Kulturinstitutsdirektor Walter Zettl bat Pauline Bolzoni, Ingeborg Bachmann die Nachricht vom Tod Urzidils zu überbringen: „Und ich bin dort den ganzen Nachmittag gesessen und hab mir gedacht, wie sag ich der das?“, erinnert sie sich. „Ich war ja erst 23. Sie war eh immer so eigenartig, wortkarg und konnte sehr schroff sein. Bevor ich nach Hause gegangen bin, um acht am Abend, hab ich gesagt: Ich muss Ihnen leider eine sehr traurige Mitteilung machen, die Dichterlesung ist abgesagt worden, weil Johannes Urzidil heute im Institut gestorben ist. Dann ist sie verschwunden. Ich hab sie in dieser Wohnung zu suchen begonnen, es war November, kalt, und da ist sie wie eine Tote auf dieser Terrasse gelegen mit ausgebreitetem Arm und hat in den Himmel geschaut.“

Auf einer kleinen Reiseschreibmaschine von Ingeborg Bachmann tippte Pauline Bolzoni „Malina“. Bachmann diktierte, teilweise aus Manuskripten. „Das war immer so abgehakt, sie wollte mich bezahlen, und ich habe gesagt, für was bezahlen Sie mich, ich bin doch stundenlang hier gesessen und habe überhaupt nichts geschrieben. Sie wollte mir viel mehr geben. Dann hat sie wieder einen Brief an ihren Bruder diktiert, ich glaube, der hat damals in Afrika gelebt.“ An der Fassade der Via Bocca di Leone 60 weist eine Gedenktafel aus Travertin darauf hin, dass von 1966 bis 1971 Ingeborg Bachmann in dem Haus arbeitete und wohnte. Rom ist stolz auf sie.


Mauro Gala.
Das Haus, in welchem Ingeborg Bachmann am längsten lebte, ist ein farbenfrohes Wohnhaus, in warmem Rot-gelb. Es liegt nahe der Via Condotti und der Spanischen Treppe. Seit Dezember 2011 befindet sich das Haute-Couture-Atelier von Mauro Gala in den Räumen im ersten Stock, welche Bachmann bewohnte. Der Römer Mauro Gala führte 20 Jahre lang sein Modeatelier in der Via Gregoriana, bevor jenes Haus in ein Hotel verwandelt wurde und er mit seinen Hochzeits- und Abendkleiderkollektionen in die Via Bocca di Leone zog. Mauro Gala: „Ich bin Römer, ich bin in Rom geboren, das ist meine Zone, und jetzt ist es auch mein Arbeitsplatz. Ich finde, das ist ein sehr glückliches Haus, heiter und glücklich.“


Via de Notaris 1F.
„Wir sitzen vor einem römischen Makler, der die Wohnung einer Baronesse vermietet und zu verstehen gibt, die Baronessa könnte als Mieter einen amerikanischen Diplomaten vielleicht vorziehen, Dottore, sagt sie entgeistert wie eine Königstochter, die nicht erkannt worden ist, und zögert, senta, sagt sie, siamo scrittori (hören Sie, wir sind Schriftsteller), und wir bekommen die Wohnung; Terrasse mit Blick über Rom.“ Das berichtet Max Frisch in seinem Roman „Montauk“ über seine Wohnungssuche gemeinsam mit Ingeborg Bachmann.

Die Wohnung, von der die Rede ist, befindet sich in der Via de Notaris 1F und liegt etwa 300 Meter entfernt vom österreichischen Kulturinstitut in Parioli, einer großbürgerlichen Gegend. Die Straße befindet sich in der Nähe der Galleria d'Arte Moderna. „Ich denke, dass diese Wohnung mehr nach dem Geschmack von Max Frisch war“, sagt der Architekt Massimo Iannucelli, „die Bachmann, glaube ich, mochte die Wohnung, wenn überhaupt, nur oberflächlich.“ Massimo Iannucelli sammelt alle Informationen zu den Bachmann-Wohnungen in Rom. Sein erklärtes Ziel ist es, die Pläne aller Wohnungen von Ingeborg Bachmann zu bekommen. „Bachmann und Frisch wohnten zuerst gemeinsam in der Via Giulia, im Haus mit den Nummern 101/102. Den Eigentümer der Wohnung, wo Ingeborg Bachmann gewohnt hat, habe ich gefunden, aber er war noch ein Kind, als sie dort wohnte.“

In der Via de Notaris im Penthouse mit Blick über Rom kam es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Paar – und zu Gewalt. Eine kurze Zeit verbrachte es in der Via Margutta. „Ingeborg Bachmanns Häuser sind die schönsten Häuser des Zentrums von Rom“, sagt Massimo Iannucelli, „sie hat sofort verstanden, in welche Umgebung sie eintrat. In dieser Umgebung hatte sie es leicht, mit kultivierten Menschen in Kontakt zu treten.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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