Der alte Mann und der Wald

Vor fast 20 Jahren schloss sich der US-Millionär Douglas Tompkins, der einst das Modehaus Esprit führte, in Patago- niens Wildnis weg, kaufte Wald, Flüsse, Vulkane und stellte sie unter seinen Schutz. Wer so viel hat, hat Feinde.

Nun neigt er den Kopf zur linken Schulter, die Hände, als umfingen sie ein Kind, hebt er vor die Brust, und Douglas Tompkins, Millionär am Ende der Welt, knurrt leise: „Wer je ein Ameisenbärbaby in seinen Armen hielt, wird nichts als traurig.“ Ja, sagt der Mann, der 900.000 Hektar Land besitzt, Wälder, Flüsse, Seen, Berge, Vulkane, so groß wie halb Niederösterreich, ja, Trauer sei das Gefühl, das ihn bestimme. Auch Wut auf alles, was die Welt zerstöre.

Douglas Tompkins, Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, das Haar längst weiß, die Füße nackt, sitzt in seinem Büro am Fuß des Volcano Michinmahuida und schützt Natur, es ist Sommer auf der Südhalbkugel, Wind rüttelt am Haus in der patagonischen Wildnis, Chile. Keine Straße führt hierher, kein Pfad, nur der Weg übers Wasser. Wer zu Tompkins will, tut es am besten bei Flut. Dann reicht der Fiordo Reñihué fast vors Haus. Wer bei Ebbe anreist, hat die Stiefel bald voll mit schmierigen schwarzen Muscheln.

Hier, 42 Grad und 20 Minuten südlicher Breite, geschützt von Farn, der höher ist als ein Mensch, umbettet von riesigem Rhabarber, von Regenwald und 3000-jährigen Zypressen, ist Tompkins' Welt, hier lebt der Einsiedler seine Sommer seit 18 Jahren, seit – wie er es nennt – seinem Ausbruch ins wirkliche Leben. Das begann, als er, Herr über Tausende von Filialen in 60 Ländern der Erde, seinen Anteil am Modehaus Esprit verkaufte, das er zusammen mit der ersten Ehefrau besaß – für 125 oder 250 Millionen Dollar, je nach Quelle.

Wie viele waren es tatsächlich? Tompkins fährt sich übers bleiche Gesicht. „Genug, um Gutes zu tun.“

Frau und Firma entkommen, flog Tompkins 1990 in einer kleinen Cessna nach Patagonien, wo er oft schon gewesen war. Er war entzündet von der Wahrheit, das Leben verpasst zu haben, ein Jammerdasein, das sich darin erschöpft hatte, ständig mehr zu besitzen, Geld und Macht, und Dinge herzustellen, die niemand wirklich brauchte, neue Hemden im Frühjahr, neue Röcke im Herbst, neue Hosen im Winter, neue Blusen im Sommer.

Einem Schweizer, der nie in Südchile lebte, kaufte Tompkins eine Schaffarm ab und die Wälder, die sie umflossen, Reñihué in der zehnten Region, 17.000 Hektar für 700.000 Dollar. Tompkins zog in das alte schiefe Haus und lebte ohne elektrischen Strom, ohne Telefon, Wind zog durch die Hütte, Regen tropfte vom Gebälk. Den größten Teil seines Reichtums aber steckte er in eine Stiftung, die er Foundation for New Thinking nannte, Stiftung für Neues Denken, dann Foundation for Deep Ecology.

Müde sitzt der Mann auf einem hölzernen Stuhl und stottert Antworten. „Deep Ecology, einfach gesagt, meint Earth first, die Erde zuerst. Nicht der Mensch ist das Maß der Dinge, sondern alle Wesen, ob belebt oder unbelebt. Der Planet als Ganzes ist ein Lebewesen. Und der Mensch, ein Detail, ist zwar berechtigt, die Erde und was auf ihr ist, zu nutzen, damit er nicht hungert und nicht friert. Aber das ist bereits alles.“

Einst eröffnete er Filiale um Filiale

Damit, Douglas Tompkins, verbieten Sie die Häufung von Ware, von Geld und Macht, Sie verbieten Luxus und Kunst? – Tompkins fährt die Unterlippe aus, verschränkt die Arme über dem löchrigen Hemd. „Wie weit haben wir es denn gebracht mit unserer bisherigen Sicht? Tag für Tag sterben 134 Tiere und Pflanzen aus, jeden Tag wird eine Fläche von 1000 Fußballfeldern verbaut. Der Computer ist das wichtigste Werkzeug der Erdzerstörung, der Globalisierung, der Beschleunigung und also des Untergangs.“

Da draußen stehen zwei Ihrer Flugzeuge, vor Ihnen steht ein Computer, neben Ihnen ein Satellitentelefon. – Tompkins kennt den Vorwurf längst. Der Kapitalismus, sagt er, sei ein Apparat, eine grausame Maschine, ständig mehr, immer schneller, ewig größer. Lange genug habe er sich ihrer bedient. Doch schlagen könne er den Teufel nur mit dessen eigener Rute, mit Geld und Management.

Dann schweigt er und sieht zum Fenster, eine blühende Fuchsie dahinter, so hoch wie das Haus. „Life is a miracle“ liegt auf dem Tisch, daneben „Concept of nature“, daneben „Flores de Primavera“.

Auffällig, vielleicht sonderbar war Douglas Tompkins, Sohn einer Innenarchitektin und eines Kunsthändlers, geboren am 10. März 1943 im ländlichen Millbrook, New York, schon früh. Mit zwölf entdeckte er in den Bergen von Shuwangunk das Klettern, konnte an wenig anderes mehr denken. Mit 17 brach er die Schule ab, wollte nur klettern, Ski und Kajak fahren. 1960 reiste er zum ersten Mal nach Chile und verpasste die Aufnahme ins olympische Team der US-amerikanischen Skifahrer knapp. In den Bergen von Nevada lernte er ein Mädchen kennen, Susie, man heiratete sofort, zog, wie es Mode war, nach Kalifornien, Tompkins war 19, bald Vater zweier Töchter, Hippie und schwerelos. Er gründete eine Kletterschule, dann die entsprechende Ausrüstungsfirma The North Face, schließlich, zusammen mit seiner Frau, das Bekleidungsunternehmen Esprit. Er bestimmte dessen Philosophie, entschied über Design und Marketing, raste von Erdteil zu Erdteil und eröffnete Laden um Laden und setzte jährlich bald eine Milliarde Dollar um, hielt sich Freunde mit klingenden Namen, Coppola, Fonda, Turner.

Doch einmal im Jahr schloss Tompkins sich in die Wildnis weg, wochenlang, Russland, Kanada, Patagonien, er schlief in Wäldern, war unerreichbar und glücklicher als sonst. Eines Tages, 1985, las er eine Statistik, die behauptete, die Menge Kleider, die ein Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika besitze, habe sich im Lauf von 30 Jahren verfünffacht – Tompkins' Bekehrung.

„Jedes überflüssige Stück Textil hat, zur Bewässerung der Baumwollfelder, unnötig Wasser verbraucht. Die Spinnmaschinen, dieWebmaschinen sind aus Stahl, Stahl entsteht bei Hitze, Hitze entsteht durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl, Uran. Gifte kommen frei, Kohlendioxid, Radioaktivität und anderes. Und bevor die Kleider zum Verkauf anstehen, reisen sie um die Welt, diesel- oder kerosingetrieben. Ein Irrsinn.“

Sie schämen sich? – Tompkins legt die Hände ins Genick. „Ob ich mich schäme?“ Er schweigt und sieht zur Decke. Nein, sagt er endlich, er schäme sich für nichts, vielmehr sei er froh, die Abkehr, wenn auch spät,geschafft zu haben. „Das Geld, das ich besitze, und die Macht, die ich habe, sind nun auf der richtigen Seite.“

Tompkins verkaufte die Kunst, die er im Lauf der Jahre gesammelt hatte, er baute, bekümmert um jede Nuance, sein Haus im Süden Chiles um, deckte es mit Schindeln aus Holz. Die Schafzüchter, die er beschäftigte, hielt er an, Äpfel, Beeren, Bienen und einheimische Bäume zu züchten. Und wo er einen Nachbarn fand, der sein Land hergab, kaufte Tompkins für gutes Geld. Zäune, Hütten befahl er zu entfernen, er forstete, wo nötig, auf, überließ dann den Wald sich selber.

So kam im Lauf der Jahre ein Reich zusammen, dies- und jenseits der Anden, in Chile und in Argentinien, rund 900.000 Hektar, verteilt auf zwölf Projekte zur Rettung der Welt. Tompkins war zum größten Privatgrundbesitzer auf Erden geworden.

Wer so viel hat, hat Feinde. Chiles Linke entdeckte in Tompkins' Länderei die jüngste Spielart des Yankee-Imperialismus. Die Rechte, der Wirtschaft verlobt, ahnte im Aussteiger, der zwar besitzt, aber nicht nutzt, nur Böses. Gerüchte gingen um, Tompkins sei in Wahrheit ein Posten der nordamerikanischen CIA, in Chiles Süden gekommen, um sich die Vorräte an Süßwasser zu sichern, Tompkins sei hier, um in Patagonien Atommüll zu vergraben, das Geld der Mafia zu waschen, Gold zu suchen, Bisons zu züchten, einen zweiten zionistischen Staat zu gründen.

„Ich will“, sagt Tompkins, „dieses Land nicht für mich. Wozu soll ein Mensch so viel Land besitzen?“ Das Tompkinsche Kalkül sieht vor, in einem ersten Schritt Land zu kaufen, um es, solange noch heil, vor seiner Zerstörung zu schützen, vor Abholzung, Überweidung, Überbauung, Erosion. Oder Tompkins kauft Land, das bereits verwüstet ist, um es zu renaturieren, er bestückt es mit einheimischen Bäumen, die seine Helfer in eigenen Baumschulen ziehen. Ist die Gefahr gebannt, überantwortet er das gerettete Land, wo immer möglich, dem Staat, Chile oder Argentinien – unter der Bedingung, dass der Staat es zum Nationalpark ausruft, in dem, was ist und wächst, nicht angerührt werden darf.

Doch der Staat verschmähte Tompkins' Gaben bisher. Weder Chile noch Argentinien, Länder an der Schwelle zur Industrienation, ließen sich auf den Handel ein. Zweimal nur fand man zusammen, 2004 in Argentinien, als Tompkins seine Estancia Monte León, 62.000 Hektar am Atlantik, dem Staatüberschrieb, Seeelefanten darauf, Seelöwen, Pinguine, und 2005 in Chile, als er 87.000 Hektar Urwald der Republik verehrte, die ihrerseits mehr als das Doppelte dazugab, Militärgelände, und das Ganze zum Parque Nacional Corcovado erklärte.

Douglas, Sie schämen sich für nichts. Worauf sind Sie stolz? – „Stolz bin ich auf meine Fähigkeit, traurig zu sein“, sagt er leise und bricht ab. Wind rüttelt am Haus, Holz schlägt auf Holz, irgendwo bellt ein Hund. „Wer denkt, wird traurig.“

Sind Sie demnach, was den Zustand der Erde angeht, Pessimist? „Ich bin nicht optimistisch“, sagt er und beginnt zu grinsen, „aber ich könnte mich ja irren – hoffentlich.“

1994 heiratete Douglas Tompkins Kristine McDivitt, die Geschäftsführerin und Mitbesitzerin der Ausrüstungsfirma Patagonia Incorporated. Die Frau, eine Kalifornierin, gab ihre Stelle auf und wechselte in die chilenische Einöde zu ihrem Mann. Sechs Jahre später verkaufte sie die Anteile an Patagonia und gründete eine eigene Stiftung, Patagonia Land Trust.

Über Kreuz mit Chiles Mächtigen

2004 schuf Tompkins, dessen Reich nun vom Pazifik bis zur argentinischen Grenze reichte und Chile, dieses schmale Band, in zwei Teile schnitt, die Fundación Pumalín, das größte Naturschutzgebiet eines Privaten, 290.000 Hektar weit, größer als Vorarlberg, darauf 260verschiedene Arten von Bäumen, Büschen, Gräsern, Farnen, 42 verschiedene Säugetiere, 71 Vogelarten, 91 Seen und 23 Flüsse. Douglas Tompkins ließ zehn Hütten bauen, alle aus einheimischen Stoffen, ein Café, einen kleinen Campingplatz, die Hinweisschilder – kein einziges auf Englisch – sind aus Holz, die Toiletten haben kein Schloss, aber einen hölzernen Riegel, die Seife liegt auf einem flachen Stein, gefunden am Ufer des Fiordo Reñihué. Kein Ding in Tompkins' Park ist ohne Grund an seinem Ort. In Chile beschäftigt er 140 Menschen, in Argentinien 120, Bauern, Imker, Bootsführer, Sekretärinnen, Wissenschaftler, Wäscherinnen.

Was rettet die Welt? – Er sieht zur Uhr, zum Fenster, stemmt das linke Knie gegen die Kante des Tischs, dann das rechte. „Wachstum ist Krebs“, sagt Tompkins und sucht nach Worten. Ewiges Wachstum sei Irrtum, sagt er, unendliches Wachstum auf endlichem Raum sei Untergang, der Kapitalismus, dieses Weltsystem, nicht erneuerbar, ein Auslaufmodell. Der Kapitalismus verdaue sich selber. „Marx“, krächzt er, „Marx hatte recht.“

Und was kommt danach? – „Ich weiß es nicht. Die Zukunft, vielleicht, ist ein Gewebe aus kleinen, dezentralen Einheiten, wirtschaftlich, politisch, kulturell. Das Lokale ist dann wichtig, nicht mehr das Globale, das Allgemeine, nicht mehr das Besondere. Die Menschen nach uns wissen von vielem ein bisschen – nicht wie heute, wo sie von so wenig vieles begreifen.“ Tompkins schaut auf die Uhr. „In einer halben Stunde“, sagt er, „brechen wir auf.“

Wie viel Geld ist noch in Ihrer Kasse? – Er schweigt. – Hassen Sie die Frage? – „Geld ist Blut im System, Geld an sich hat keinen Wert.“ – Ist das Ihre Antwort? – „Ja.“

Seit anderthalb Jahren, schon wieder, liegt Tompkins mit den Mächtigen Chiles übers Kreuz. Die planen den Fortbau der Carretera Austral, der stolzen Schotterpiste, die Diktator Augusto Pinochet vor Jahrzehnten befahl. Noch hat die Straße Tompkins' Park nicht erreicht. Doch der Einsiedler weiß, dass er sie nicht verhindern kann, nur verzögern, ihre Linie vielleicht verlegen. Die Regierung in Santiago, und mit ihr die mächtige Bauindustrie, hat vor, die Piste mitten durch Tompkins' Wald zu führen, eine Schneise zu schlagen von hundert Meter Breite, hinweg über reißende Flüsse, quer durch Hügel aus Granit. Tompkins und seine Streiter halten dagegen, die Idee sei hirnlos, letztlich gehe es darum, den nationalen Mythos einer Straße von Peru bis Feuerland zu härten, 4300 Kilometer, und, viel schlimmer, der Industrialisierung Patagoniens das Tor zu öffnen.

In Tompkins' Parque Pumalín steht ein Viertel der chilenischen Zypressen, die noch geblieben sind, mächtige lotrechte Bäume, die 3000 Jahre alt werden. Im kalten chilenischen Dschungel, wo während neun Monaten im Jahr Regen fällt, wo oft Nebel dampft oder Schnee liegt, findet sich eine seltene Kollektion von Tieren und Pflanzen: Südchile, begrenzt von Pazifik und Anden, ist eine biogeografische Insel.

Die Carretera Austral, wenn überhaupt, sei nicht durch den Wald zu führen, wehrte Tompkins ab, sondern der Küste entlang, wo die wenigen Menschen lebten, denen sie vielleicht nütze. Und an einigen Stellen, um von einer Seite des Fjords auf die andere zu kommen, lägen schließlich Fähren bereit, mehr als genug. Ohnehin, brauste Tompkins auf, sei diese Carretera eine Straße der Besoffenen. Worauf Mitglieder der Christlichdemokratischen Regierungspartei in Santiago flugs verlangten, Tompkins' Visum sei zu prüfen, allenfalls habe der Mann das Land zu verlassen – wegen Beleidigung.

„Wir sind zu viele Seelen auf dieser Welt“, spricht Tompkins in den Morgen. – Sie reden von der Überbevölkerung der Erde? – „Niemand weiß, wie die Unlösbarkeit auf anständige, würdige Weise zu lösen ist, sozial gerecht.“ Tatsache und pervers sei es, sagt er, dass in den Ländern, wo die Menschen ständig weniger würden, die Menschen ständig mehr verbrauchten. Bevölkerungsabnahme allein vermöge nichts, wenn nicht auch der Konsum abnehme. „Die Menschheit ist pleite.“ Er schaut auf die Uhr.

Eine letzte Frage, Douglas: Was treibt Sie an? – Tompkins drückt sich aus dem Stuhl, zieht das Hemd straff, schlüpft in alte Schuhe, wiederholt die Frage, wiederholt sie wieder. „Liebe“, sagt er. Er klappt den Laptop zu. Auf dem Deckel, so groß wie das Gerät, klebt Empörung: Patagonia chilena ¡sin represas!, Keine Staumauern in Chiles Patagonien!

Wie man noch schneller reich wird

Auch gegen die Energiebarone ficht Tompkins seinen Kampf, im Bund mit 20 anderen Vereinen. Südlich von Pumalín sollen fünf Kraftwerke entstehen, Staumauern aus Eisenund Beton, die Ausbeuter sind zur Hauptsache Fremde, Briten, Schweizer und Spanier, 5910 Hektar Wald und Wiese würden überflutet, und der Strom, der in der Hauptstadt dringend benötigt wird, soll in einer 2200 Meter langen Leitung nordwärts fließen, der längsten Hochspannungsleitung der Welt, gehalten von 70 Meter hohen Masten, die, stehend auf einer Trasse von 150 Meter Breite, zwölf Naturreservate entstellten.

„Fünf Minuten“, sagt Tompkins und rennt ins Wohnzimmer, die auch Küche ist, eine Köchin steht am Holzherd und wäscht Salat aus Tompkins' Garten, afrikanische Statuen lehnen an der Wand. Endlich kommt er wieder, eine Tasche am Arm, er redet in ein Funkgerät, lauscht, redet. Dann trabt er aus dem Haus, hinüber zur Graspiste, zwei Männer stehen neben der Cessna, CC-PYG, zwei Angestellte, die Gärtner, Baumwärter, Bootsführer, Pistenwart, Schlosser, Dachdecker sind, Tompkins wirft die Tasche in die Maschine, setzt sich ans Steuer und legt sich den Sitzgurt an, prüft die Geräte.

„Bisschen wird es schon rütteln“, sagt er. Er löst die Bremse, zieht die Maschine hoch und lenkt sie hinaus in den Fjord, Urwald links, Urwald rechts, Tompkins' Welt, Wind zerrt an den Flügeln, und Tompkins, plötzlich heiter, lächelt und fliegt.

„Wenn Sie noch Fragen haben, dann jetzt. Nachher ist es zu spät.“ – Wer sind Sie? – „Das müssen Sie selber herausfinden.“ – Ist das Ihre Antwort? – „Ja.“ Plötzlich legt er die Maschine zur Seite, fliegt eine Schlaufe, drückt die Cessna in die Tiefe. Tompkins schweigt und schaut aus dem seitlichen Fenster. – Douglas, alles in Ordnung? – „Ein Lachsfarm da unten, die ich noch nie gesehen habe.“

Er lächelt nicht mehr. Hochindustrielle Massentierhaltung, bricht es aus dem Mann, werde hier betrieben, oft von norwegischen Eignern, die ans andere Ende der Erde reisten, um all das zu tun, was sie zu Hause nicht dürften, aber hier, in Patagonien, fühlten die Europäer sich frei zu tun, was sie wollten, sie verschmutzten und verdreckten hemmungslos, sagt Tompkins am Steuer seiner Cessna. „Norwegen“, schreit er, „produziert im Jahr ungefähr die gleiche Menge Mastlachs wie Chile. In Norwegen verfüttert man den Tieren jedes Jahr 800 Kilogramm Antibiotika, in Chile aber 133 Tonnen, wahrscheinlich noch mehr.“

Noch einmal dreht er über die neue Farm, kann nicht fassen, was er sieht, will es sehen. Farbstoffe gäben sie den Lachsen zu fressen, damit ihr Fleisch rosa werde, Fungizide, Pestizide, Desinfektionsmittel, um noch schneller reich zu werden. Und dabei gehöre der Lachs gar nicht hierher. Der Lachs, dieses fremde Raubtier, habe mittlerweile die patagonischen Flüsse erobert und fresse sie kahl. „Eine Lachsmast“, schreit Tompkins, „macht so viel Scheiße wie eine Stadt von 65.000 Menschen.“ – Und die fließt ins Meer? – „Wohin sonst!“

Norwegens Kronprinz zu Besuch

Er zieht die Maschine hoch und fliegt hinaus aufs offene Meer, Richtung Puerto Varas, eine Stunde weit. Tompkins schweigt, mag nicht reden. Irgendwann sagt er: „Diese Trauer, die ich meine, wirst du nie mehr los.“

Er redet ins Funkgerät, lauscht, redet, drückt Knöpfe und Tasten, setzt die Cessna auf die Piste des Flugplatzes La Paloma und lenkt sie zu einem dunkelgrünen Hangar, Tompkins' Maschinenpark. Männer warten und rennen, helfen ihrem Herrn aus der Maschine, bringen seine Tasche zum Nissan SE 3.5 Pathfinder, einem hochrädrigen Gefährt, an dessen Stoßstange Naturschutz leuchtet: Keine Staumauern in Chiles Patagonien!

Douglas Tompkins, mürrisch und bleich, braust los, hinauf nach Puerto Varas ins Hauptquartier seiner Verzweiflung. Dort, in drei verschiedenen Grün, die er sich mischen ließ, steht eine alte Villa aus Holz, wohl das schönste Haus im Ort, Calle Klenner 299, sisalbelegte Böden. Tompkins, wie es sein Gebot ist, zieht die Schuhe aus, er grüßt die und den, die Telefonistin, die Sekretärin, den Wissenschaftler aus Deutschland, und entwischt ins obere Stockwerk.

Draußen rast Polizei und sperrt alle Wege, schwarze Wagen mit geschwärzten Fenstern,dahinter, es stand in allen Zeitungen, der Kronprinz aus Norwegen, Haakon Magnus, unterwegs in Patagonien, um seinen Landsleuten das Lob zu singen, den Lachsmästern aus Bergen und Kristiansund, drüben im Hotel Meliá Patagonia, 20 Schritte neben Tompkins' Zentrale – ein Affront.

Schließlich zieht man los zum Protest und stellt sich, von drei Polizisten bewacht, vor das Hotel, der Deutsche, die Sekretärin, einige Fischer vom Stamm der Mapuche, 15 Menschen, ein Spruchband im Wind: Lachs für die Welt, Gift für das Meer.

Einer schlägt die Trommel, jemand schreit Parolen. Ein dicker Norweger aus dem Tross des Prinzen fragt, was los sei, der Deutsche erklärt, der Norweger lächelt, verschwindet im Hotel.

Dann verstummt die Trommel, keiner schreit mehr, 15 Menschen und ein Spruchband, niemand schaut hin, eine Stunde vorbei. Bis der Mann aus Deutschland zum Handy greift und Douglas Tompkins, den Chef, aus der tompkinsgrünen Villa befiehlt. Im alten Hemd eilt Tompkins herbei, schüchtern, lustlos, die Hände in den Hosentaschen, und stellt sich neben die Seinen. Kaum ist er da, rennen chilenische Journalisten an, strecken ihm Elektronik ins Gesicht, Tompkins gibt sich Mühe, beginnt zu reden, gutes Spanisch, krächzend zwar und müde, eine halbe Stunde lang, ein Spuk.

Endlich zieht er sich zurück, fliegt, als es noch hell ist, hinaus aufs Meer und hinein in den Fiordo Reñihué, setzt die Cessna neben seinen Bau. Douglas Tompkins stellt den Computer an und trinkt Tee, Millionär und Eremit, bis der Generator aussetzt, im Sommer um 23.30 Uhr, im Winter eine Stunde früher. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2008)

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