Wenn der Fleischer flucht

„Expedition Europa“: von der ziganisch-pakistanischen Liebe.

Pakistaner schließen in Großbritannien Scheinehen mit osteuropäischen Romni – bei der Nachricht merkte ich auf. Haben nicht sowohl Pakistaner als auch Roma ihre Wurzeln im Norden des indischen Subkontinents, sind ihre Sprachen, Urdu und Romanes, nicht verwandt? Die Hochzeiten gründen wohl eher auf Liebe zu einer EU-Aufenthaltserlaubnis, und doch ging ich dieser Familienzusammenführung nach.

In Schottland leben kaum Roma, nur im Glasgower Stadtteil Govanhill haben sich 3500 angesiedelt. Seit Stahlbaron Dixon die Straßen der hübschen Arbeitersiedlung nach seinen Töchtern benannte, zogen Hochland-Schotten, Donegal-Iren, Ostjuden und Punjabis durch. 40 Prozent der 15.000 Einwohner gehören ethnischen Minderheiten an. Ich sah ein Plakat auf Slowakisch: „In Schottland haben Arbeiter das Recht, nicht ausgebeutet zu werden.“

Und doch hörte ich dauernd von „Sklaverei“. In den Erzählungen der Osteuropäer kamen Pakistaner als ausbeuterische Freier, Vermieter, Arbeitgeber vor. Sie seien berechnend, gierig, hart. Wenn Roma in den Autowaschanlagen von Pollokshields Trinkgeld annehmen, zieht ihnen der pakistanische Chef 100 Pfund ab. Weil das Jugendamt einigen Familien die Kinder wegnahm, misstrauen die Roma den Behörden. Ein Slowake wollte auspacken. M. portionierte Fleisch für einen pakistanischen Großfleischer, 25 Pfund für zwölf Stunden täglich. Ich war dabei, als ihn die Kontaktfrau anrief. Plötzlich sah sie mich an: „Er hat aufgelegt. Im Hintergrund habe ich den pakistanischen Chef schreien gehört.“ M. ging nie mehr ans Telefon.

13 Häuserreihen, 53 Sprachen

In den 13 unsanierten Häuserreihen werden 53 Sprachen gesprochen, wohl deswegen wanderte ich mit wachsendem Genuss durch Gavonhill. Die leichenblassen Schotten in den Pubs bezeichneten die Roma als „Flüchtlinge“. Mindestens 50 Organisationen stehen den Minderheiten bei. Interessierte Zuwanderer können fast kostenlos Senioren-Joga belegen, Arabisch oder irisches Gälisch. Ein Holländer führt einen Laden für slowakische Lebensmittel. Der fanatische Sprachenlerner verkaufte rumänischen Romakindern auf Rumänisch Süßzeug: „Rumänen haben denselben Geschmack wie Slowaken.“ Urdu hat er umsonst gelernt, Pakistaner kaufen in ihren Läden.

Beim Arbeitsstrich in der Allison Street sah ich eine Gruppe vernachlässigter Romabuben, wie sie einer Predigt lauschten. Der Pastor hatte Flanellklappen auf den Ohren. Als rhetorische Allzweckwaffe gebrauchte er die Wendung „nur dass“. Er schmeichelte mir: „Der Herr liebt jeden, auch Katholiken. Nur dass nicht jeder den Herrn liebt.“ Das quirlige Straßenleben machte mich ganz euphorisch. Als ich eine slowakische Romni vor Kindern fluchen sah, hörte ich mich plötzlich selber predigen: „Fluchen Sie nicht, der Herr hört das!“ Die Arme erstarrte andächtig: „Ja, das ist wahr, der Herr hört alles.“ Ich fragte auch Pakistaner, warum sie die versprengten Brüder schlecht behandeln. Ein Geldwechsler in Taliban-Mode gab mir überraschend recht: „Es werden aber auch andere ausgebeutet.“ Sein rasierter Chef eilte herbei und fuhr mich an: „Haben Sie was mit der Religion?“ – „Keineswegs.“ – „Wir sind ALLE Brüder.“ Er sagte dies so scharf, dass ich lieber ging.

Scheinehen werden weiter geschlossen, erzählte mir der tschechische Rom Gabor, 50. Ihm selbst sei derlei angeboten worden, „vor sieben Jahren, für 37.000 Pfund. Nur machen es die depperten Zigeuner aus Pavlovce jetzt schon für 5000.“ Die Verwandtschaft mit den Roma sei den Pakistanern einfach noch nicht bekannt. „Ich saß mit Pakistanern im Englischkurs, das Englisch hat keiner kapiert, aber untereinander konnten wir uns verständigen.“ Seither spreche er manchmal Romanes mit ihnen: „Der Chef war gleich angenehmer zu mir.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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