„Dös is ja Lamm, ka Schwein!“

„Ich heiße Achmed und bin aus Nazareth, Palästina.“ – Jetzt ist die Aufregung groß, laute Auflehnung die Folge. Reibers im Waldviertel: Jugendliche aus Österreich, Ungarn und Israel, jüdische wie palästinensische, auf der Suche nach Verständigung.

Dös is ja Lamm mit Semmelknödel, ka Schwein.“ Vergeblich ruft die Waldviertler Wirtin in der karierten Kleiderschürze diese wichtige Information den davonstürmenden Jugendlichen nach. Längst sind Ahmed und seine Schulkollegen aus Nazareth in der improvisierten Küche ihrer Herberge eingefallen. Laut knacken die Aludosen mit den tomatengetränkten weißen Bohnen. Lachend rühren die hungrigen Jugendlichen noch Pfeffer undSalz dazu. Sie warten bei 30 Grad Außentemperatur auf die Erwärmung der Heizplatte. Daneben, am großen Arbeitstisch, weinen drei ungarische Mädchen beim Zwiebelschneiden. Sie bereiten mit viel Paprikapulver einen echten körözöt (Liptauer) für den „ungarischen Kulturabend“ vor.

Es ist ein beschaulich ruhiger Sonntag in Reibers, einem kleinen Waldviertler Ort bei Waidhofen an der Thaya. Verstohlen blickt eine Pensionistin hinter dem bestickten Vorhang ihres Einfamilienhauses dem ungewohnten Treiben zu. Locker ziehen Grüppchen von bunt und leicht gekleideten Jugendlichen durch die verkehrsarme Hauptstraße. Ungewohnte Geräusche dringen an ihr Ohr: das Aufschlagen von Fußbällen, gedämpfte Trommelmusik und ein Gewirr an Sprachen: Deutsch in österreichischer und deutsch-nachbarlicher Färbung, dazu Ungarisch, Arabisch und Hebräisch. „Zum zweiten Mal sind wir schon in Reibers; Gerald Muthsam, einer unserer Trainer, ist hier zu Hause“, erzählt Evelyn Böhmer-Laufer, Psychoanalytikerin und Therapeutin aus Wien.

Seit nunmehr sechs Jahren frönt sie einem sehr zeitaufwendigen und seelisch fordernden Hobby: Sie gründete den Verein „4Peace – Zur Förderung der politischen Mündigkeit“. Über diesen Verein organisierte sie mit tatkräftiger Unterstützung ihres Mannes Ronaldo Böhmer und etlicher Freiwilliger das „peacecamp 2008: making peace-makers“:„Jüdisch-israelische und arabisch-
israelische Jugendliche sowie Jugendliche aus Ungarn und Österreich suchen Wege der Verständigung und derKonfliktbewältigung.“

33 Teenager aus vier unterschiedlichen Kulturen, die jüngste Teilnehmerin noch keine 14, die älteste 17 Jahre alt, sitzen in einem stickigen Klassenzimmer im zweireihigen Kreis. Silvio Gutkowski, Psychiater aus Argentinien, wohnhaft in Jerusalem, leitet die Großgruppe bei einer der ersten Vorstellungsrunden. „Ich bin der István, Pisti genannt, aus Budapest, Ungarn“; „mein Name ist Racheli, ich komme aus dem Kibbutz Yagur bei Haifa, Israel.“ Es ist ganz friedlich im Raum, die Neugier auf die Unbekannten macht ruhig und aufmerksam. Die Augen wandern zu jenen, die gerade sprechen. „Ich heiße Ahmed und bin aus Nazareth, Palästina.“ Jetzt ist die Aufregung groß. Mürrisch-laute Auflehnung ist die Folge: „Nazareth ist eine Stadt im Norden Israels, du bist israelischer Staatsbürger!“, hallt es im aufbrausenden Chor aus der Ecke, wo sich die israelisch-jüdischen Kinder zusammengesetzt haben.

Die Umgangssprache im peacecamp ist Englisch, die Sprachkenntnis für diese Altersgruppe schon beachtlich. Daher misslingt auch der Versuch, Ahmeds Wortwahl umzudeuten: „Er hat klar gesagt, er ist aus Palestine und nicht I am Palestinian, legt Eli noch nach. „Ihr müsst auch unseren Standpunkt akzeptieren und unsere Gefühle respektieren“, mischt sich Maysaa, die begleitende Lehrerin aus Nazareth, ein. „Wir fühlen uns als Palästinenser.“ Die Friedenscamp-erfahrene Böhmer-Laufer versucht zu vermitteln und schlägt vor, Ahmed solle doch leicht umformulieren, um klarzustellen, dass er im israelischen Staat lebe und eine palästinensische Identität habe. Ahmed und seine Freunde beraten den Vorschlag – und lehnen ab. Sie werden in der Folge auch bei ihrer grafisch gestalteten Geschichtspräsentation den Staat Israel immer wieder in Anführungszeichen setzen. „Ich empfinde das sehr bedrohlich“, meldet sich Racheli mit Knödel im Hals zu Wort, „es klingt alles so, als wären wir Israelis nur vorübergehend da.“ Die jugendliche Leichtigkeit ist wie weggeblasen. Der Nahost-Konflikt ist gleichsam mit dem warmen Sommerdunst in die Atmosphäre des Klassenzimmers von Reibers eingedrungen.

„Ich verstehe nicht, warum ihr so stur seid“, wundert sich der 15-jährige István (Pisti), „in Transsilvanien leben auch viele Ungarn, die bekennen sich sowohl zum rumänischen Staat als auch zu ihrer ungarischen Identität.“ Auch die Jüngste in der Gruppe, die blonde Laura aus Kärnten, versucht auf gut Österreichisch zu besänftigen. „Wenn ihr eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung wollt, müsst ihr ja Israel auch akzeptieren.“ Die Luft wird immer dicker. Nur die professionelle Leitung des Psychiaters verhindert, dass der gruppendynamische Sog die Gemüter noch mehr hochschaukelt. Doch Pisti, der Budapester Moderator, lässt nichtlocker: „Wenn die Namen der Staaten so emotional belastet sind, vielleicht sollte man Israel und Palästina einfach umbenennen, um zu ei- ner Lösung zu finden.“

„Als ich in meinerSchule in Budapest nach Kandidaten für das Friedenscamp suchte, fragten mich die Kinder meistens: Was sollen wir dort? Was haben wir mit diesem Konflikt zu tun?“, erzählt die Englischlehrerin Szilvia Kneusel-Dukay, die schon zum dritten Mal dabei ist. Doch kaum hatten die Kinder aus Nahost hier ihre so unterschiedlichen Geschichtsbilder präsentiert, erkannten die Mitteleuropäer vergleichbare Konflikte: Laura und die deutsche Lehrerin, Barbara Goesch, die in Kärnten gelebt und gearbeitet hat, brachten Beispiele aus der slowenisch-kärntnerischen Perspektive.

„Da wir offen sagen, dass diese zehn Tage keine herkömmlichen Ferien sind, sondern gedankliche Vorbereitung und Mitarbeit beinhalten, war der Andrang der Schüler anfänglich nicht so groß“, klagt Sonja Haberbusch, Lehrerin an der AHS Stubenbastei in Wien. – Ein gemeinsamer Ausflug zur nahe gelegenen, nunmehr unsichtbaren österreichisch-tschechischen Grenze zeigte große Wirkung. „Wir haben diese ehemalige Todesgrenze ohne jegliche Kontrolle überschritten“, berichtet Böhmer-Laufer, „und wir ließen uns von einer dort lebenden Zeitzeugin erzählen, wie der Alltag an dieser Grenze war und wie sehr all das jeden Menschen in der Region geprägt hat.“

Im Gasthof Boden lassen sich die beiden Lehrerinnen aus Nazareth, der für das Christentum so bedeutenden Stadt mit rund 65.000 Einwohnern, darunter 68,7 Prozent Moslems und 31,3 Prozent Christen, den Lammbraten mit Saft schmecken. „Unsere Kinder sind dieses Essen nicht gewöhnt, es ist zu mild“, lacht Nazira, die Physiklehrerin, die schon zum zweiten Mal beim peacecamp mitmacht. Bis zum nachmittäglichen Programmpunkt „singing & dancing 4peace“haben sich die Diskutanten aus der Großgruppe zur Erholung zurückgezogen: Einige israelische Mädchen tratschen in einer riesigen Hängematte, die arabischen Burschen spielen Fußball im Hof der Schule. Nur die österreichischen und ungarischen Jugendlichen mischen sich unter die Araber und Israeli. „Erst in den letzten zwei Jahren merke ich eine stärkere Politisierung der Jugend“, zeigt sich Böhmer-Laufer überrascht. Wie ist sie in den Folgetagen mit den anfänglichen Spannungen umgegangen? „Wie geplant, wurden die heiklen Themen in kleinen Arbeitskreisen besprochen. Und viele haben verstanden, dass es keine objektive, einheitliche ,Geschichte‘ gibt, sondern nur ,Geschichten‘, weil der Standort auch den Standpunkt bestimmt.“

Das Einander-zuhören-Können war der große Gewinn dieses Projektes: „Wir haben uns von den arabischen Teilnehmern erzählen lassen, was es bedeutet, ein Araber israelischer Nationalität und palästinensischer Identität zu sein. Auch wie der palästinensische Kampf um einen eigenen, autonomen Staat das Zusammenleben von Juden und Arabern in Israel prägt und zugleich erschwert“, fasst Evelyn Böhmer-Laufer zusammen. Die Lehrer ließen eine Gruppe von Teenagern über „Wege aus dem arabisch-israelischen Konflikt“ verhandeln. Andere Arbeitsgruppen gingen der „Einstellung zu Minderheiten“, dem „Spannungsfeld zwischen nationaler und gemeinsamer Identität von Nationen und Staaten“ oder Fragen wie „Xenophobie und Rassismus“ nach.

Böhmer-Laufer erhält nur begrenzte finanzielle Unterstützung: Hauptsponsoren sind die Karl-Kahane-Stiftung, der Zukunftsfonds der Republik, das Land Niederösterreich, die Stadt Wien sowie einige private Spender. Sie und ihre Kollegen waren sich nicht immer sicher, ob sie die 14- bis 17-Jährigen mit dem anspruchsvollen Programm nicht ein wenig überforderten. Doch Ausgleich brachte die persönliche Annäherung in den abendlichen Stunden über die mitgebrachten Familienstammbäume und Fotoalben. Zur Auflockerung trugen die humorvollen „Kulturabende“ mit ihren musikalischen und kulinarischen Schmankerln bei. Herausforderung für den Teamgeist gab es bei diversen Aktivitäten in der Natur. Dabei wurden die Jugendlichen vor schwierige „Mission-Impossible-Aufgaben“ gestellt, die erst durch das Zusammenlegen von Kräften und Ressourcen lösbar wurden. Auch mit Spiel und Tanz gelang es, vieles aufzubrechen. „Mit der Körperlichkeit, mit dem Liegen am Boden und der lockeren Kleidung hatten unsere Mädchen anfänglich Probleme“, gesteht Nazira, „das war ungewohnt, aber sie haben es überwunden. Die von drei Tanz- und Musikpädagoginnen geleiteten Workshops führten zurshow4peace, die bei den Abschlussfeiern in Reibers und später im Dschungel Wien (im MuseumsQuartier) gezeigt wurde.

„Du hast Deine Ängste und Vorurteile abgelegt, um mit Teenagern aus vier verschiedenen Kulturkreisen zu kooperieren; Du hast mit ihnen Deinen Schlafraum, Deinen Esstisch ebenso geteilt wie Dein Essen, Deine Tradition und Deine Gewohnheiten. Du hast Deine Gedanken und Gefühle mit ihnen geteilt. Du hast Deine Reifeprüfung als ,Botschafter des Friedens‘ abgelegt. Das Team des peacecamps, 12. Juli 2008.“ So heißt es in der Urkunde, die 33 Kinder zum Abschluss erhalten haben. „Wie gut und angenehm ist es, wenn Brüder beieinander sitzen? (Hine ma tow u'ma na'im, schewet achim bejachad).“ So lautet ein uraltes hebräisches Lied, das man im peacecamp angetimmt hat. Es lässt sich schön schunkeln zu dieser einfachen Melodie. Nazira aus Nazareth war bei Szilvia aus Budapest eingehakt. Laura aus Kärnten riss Eli aus dem Kibbutz hin und her. Aber wohin nehmen Ahmed und Racheli die neuen Erfahrungen mit? Nach Palästina – oder nach Israel? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2008)

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