Die Villa des Senators Giusti

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3. November 1918, 15 Uhr: Waf-fenstreckung von Österreich-Ungarns gesamter bewaffneter Macht. Vor 90 Jahren: wie ein großer Krieg zu Ende geht.

Ein wenig außerhalb von Padua fristet eine der unzähligen Villen des Veneto ihr Dasein. Der Park ist mittlerweile viel berühmter als die in der grünen Pracht verstreuten Gebäude. Sie sind auch heute noch Privatbesitz, und es ist nicht leicht, den Zutritt zum ehemaligen Gästehaus des italienischen Oberkommandos im Ersten Weltkrieg zu bekommen. Das Haus verfällt, die Deckenbalken sind nicht mehr tragfähig, also können nur wenige Menschen gleichzeitig jenen Raum betreten, in dem am 3. November 1918 Österreich-Ungarn seine Niederlage beurkundete. In der Villa des Senators Conte Vettore Giusti del Giardino wurde Weltgeschichte unterschrieben.

Dabei hatte man im Frühjahr 1918 noch durchaus das Gefühl haben können, für Österreich-Ungarn wäre der Siegfrieden nur mehr eine Frage von Wochen. Italien hatte inder 12. Isonzoschlacht eine schwere Niederlage erlitten. Mit Russland und Rumänien konnten die Mittelmächte, Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich, Frieden schließen. Die Streiks, die im Jänner ausgebrochenwaren, ließen sich noch einmal gütlich beilegen. Aber alle denkbar halbherzigen Friedensbemühungen der verbündeten Kaiserreiche und vor allem die vom österreichischen Kaiser Karl versuchte Geheimdiplomatie waren gescheitert.Seit dem Dezember 1917führten auch die USAKrieg gegen die Habsburgermonarchie. Diek.u.k. Armee aber konnte zur Kriegführung derMittelmächte mittlerweile kaum mehr etwas beitragen. Sie litt nicht nur an Auszehrung, sondern hatte auch zunehmend mit Nationalitätenproblemen zu kämpfen. LatenteGegensätze schlugen durch. Rufe brandeten auf. Evviva Italia! ?ivijo Jugoslavija! Hoch die Slawen! Nachdem es schon im Februar 1918 bei der k.u.k. Kriegsmarine zu einem Matrosenaufstand gekommen war, der mit einiger Mühe niedergeschlagen werden konnte, gab es im April und Mai 1918 auch beim Landheer Meutereien. Den Eid auf den Kaiser nahmen bisweilen nicht einmal mehr Offiziere ernst, wie viel weniger die Soldaten. Nach der Niederschlagung der Meutereien amtierten die Standgerichte. Die Rädelsführer wurden erschossen. Und auch dabei wurde Hass gesät, denn die Exekutionskommandos setzten sich aus Angehörigen anderer Nationalitäten zusammen als die zu Exekutierenden. Das hatte zwar seine Logik, doch es förderte den Zerfall, und es ließ Zweifel darüber aufkommen, ob die Armee weiterhin einsetzbar war.

Seit Monaten wurde nur mehr gerechnet. Die Produktionsziffern der Rüstungsindustrie wiesen steil nach unten. Wo es ging,wurden Ersatzstoffe eingesetzt. Für die Truppen im Front- und frontnahen Bereich sollte es im April 283 Gramm Mehl (Brot) pro Tag geben. Die Soldaten in der Etappe mussten sich mit 180 Gramm Mehl begnügen. Doch auch das war eine theoretische Menge und bestand häufig aus Maismehl, das sich kaumzu Brot backen ließ. Den Kampftruppenwurden im Frühjahr 1918 noch 200 Gramm Fleisch pro Woche zugestanden; die Truppen im Hinterland bekamen die Hälfte. Sie waren aber insgesamt besser versorgt als die Zivilbevölkerung. Mitte Juni wurde dieMehlquote für die österreichische Reichshälfte der Habsburgermonarchie auf 82,5 Gramm täglich herabgesetzt. Was noch an Lebensmitteln eingespart werden konnte, sollte derArmee in Italien zugeführt werden, die zu ihrer – was man nichtwusste – letzten Offensive angetreten war. Derösterreichische Kaiserwar im späten Frühjahr 1918 nicht nur ermuntert, sondern von derDeutschen Obersten Heeresleitung regelrecht gedrängt worden, in Italien wieder offensiv zu werden, um damit zu verhindern, dass womöglich italienische Truppen von der ruhigen österreichischen Front abgezogen und an die deutsche Westfront verschoben würden. Also wurden Angriffsvorbereitungen getroffen, Ersatztruppen in Marsch gesetzt, Waffen und Versorgungsgüter transportiert. Schließlich wurde um den Preis der Verschärfung der Situation des Hinterlandes den Kampftruppen alles an Lebensmitteln gegeben, was noch vorhanden war, um sie zu kräftigen und „aufzupäppeln“. Die Hauptsorge der Führung schien sich aber auf die Ausbeutung des eroberten Gebietes zu beziehen. Für alle größeren Orte, die man zu erreichen hoffte, wurden vorsorglich Ortskommandanten ernannt. Es gab sogar schon einen Gouverneur von Treviso. Eigene Beutekommandos wurden gebildet, und man wartete nur auf den Angriffsbeginn.

Mitte Juni begann die Offensive. Nach 72 Stunden war klar, dass sie gescheitert war. Die „Junischlacht in Venetien“ schien zwar angesichts des enormen Einsatzes an Kriegsmitteln eine Materialschlacht gewesen zu sein, doch die Gesamtverluste der k.u.k Armee von mehr als 140.000 Mann, darunter rund 11.600 Tote, machten deutlich, dass es weit mehr gewesen war: Die k.u.k. Armee brachte sich selbst um! Daher musste es mehr als erstaunen, dass das Armeeoberkommando schon Ende Juli die Vorbereitungeiner nächsten Offensive befahl. Da widersprach sogar ein so angesehener und loyaler Offizier wie der Kommandant der 6. Armee, Generaloberst Fürst Schönburg-Hartenstein. Er weigerte sich ganz einfach und hatte jeden Grund dazu. Die Junischlacht in Venetien war ja nicht nur einfach gescheitert, sie hatte schwerwiegende Folgen, denn jetzt war klar, dass die geschlagene Armee kein Hindernis bei der Neuordnung der Länder des Habsburgerreichs sein würde.

Noch während sich die Offensive am Piave immer mehr zum Fiasko entwickelte, musste man abseits der Front den Eindruck gewinnen, dass es den Menschen schon völlig egal war, was da in Italien vor sich ging. Polen, Tschechen, Ungarn, Südslawen undnicht zuletzt auch die Deutschen Österreichshielten sich an jene vage Formulierung, die der amerikanische Präsident Wilson in seiner Jännerbotschaft an den Kongress alsPunkt 10 genannt hatte, wonach die Völker Österreich-Ungarns über ihre Zukunft selbst entscheiden sollten. Das wurde als Selbstbestimmungsrecht verstanden und zu Recht als Signal, dass die Amerikaner und natürlich auch die übrigen Feindmächte der Auflösung Österreich-Ungarns nichts in denWeg legen würden. Alle weiteren Signale undEnunziationen des Frühjahrs und Sommers1918 bekräftigten das. Gemeinsam wollte man gegen die „Tyrannei der Habsburger“ vorgehen.

In Österreich forderten mittlerweile auch schon die an ihren Eid gebundenen und mit Masse kaisertreuen Offiziere der obersten und mittleren Führungsebene ein sofortiges Ende des Kriegs. Der Generalstabschef der gesamten bewaffneten Macht, Arz, sollte zurücktreten und sich kein anderer Offizier bereitfinden, dessen Stellung einzunehmen; das sollte den Kaiser friedensbereit machen, hieß es. Doch Generaloberst von Arz hatte nach der Junioffensive dem Kaiser ohnedies dreimal seinen Rücktritt angeboten; ihm war jedoch das Ausharren in der Funktion befohlen worden. Das Standrecht wurde auf weite Gebiete der Monarchie ausgeweitet. Die Armee im Feld ihrerseits wurde immer unverhohlener beschuldigt, den Krieg zu verlängern. Jetzt galten verstärkt pazifistische Parolen, so wie sie gelegentlich vor dem Krieg angeklungen waren: Man sollte den Krieg bestreiken.

Die letzten Marschformationen wurden für den Abtransport an die Front bereit gemacht. Die Desertionen nahmen abermals zu. Am 14. September 1918 schickte Kaiser Karl eine Friedensnote an die Alliierten. Da er bei Kaiser Wilhelm wohl angeregt hatte, einen gleichen Schritt zu tun, der das aber ablehnte, sah sich der österreichische Kaiser berechtigt, zum ersten Mal offen einen eigenständigen Entschluss zu fassen. Wien schickte eine Note „An Alle“ ab. Da die in erster Linie von den USA erwartete Reaktion auf das österreichische Friedensersuchen ausblieb und Präsident Wilson schließlich nur ausrichten ließ, über den österreichischen Wunsch nach Frieden könne erst nachdem Einlangen eines Waffenstillstandsersuchens des Deutschen Reichs gesprochen werden, blieb der Alleingang Kaiser Karls ergebnislos. Die Habsburgermonarchie wollte Frieden, doch vorderhand fand sich niemand, der das akzeptieren wollte.

Anfang Oktober 1918 wurden drei Waffenstillstandskommissionen gebildet, eine für die Balkanfront, eine für die Kriegsmarine und eine für die noch ruhige Italienfront. Letztere wurde unter das Kommando von General Viktor Weber von Webenau gestellt. Dass General Weber nicht Italienisch konnte, spielte offenbar keine Rolle. Nur: Der General schien ohnedies noch nicht gebraucht zu werden. Er quartierte sich mit seinen Offizieren in Trient ein. Dorthin wurde ihnen vom Armeeoberkommando der österreichische Entwurf eines Waffenstillstandsvertrags zugeschickt. – Unbestritten sei, so meinteman im kaiserlichenHauptquartier, dass sichdie österreichisch-ungarischen Truppen aus allen besetzten Gebietenin Italien, Serbien undMontenegro zurückziehen müssten. Auch dieFlotte würde sich aufihre Häfen an der adriatischen Ostküste zurückzuziehen haben. Doch das war nicht die einzige Illusion. Man träumte davon, dass die Alliierten dem österreichischen Räumungsplan für Venetien zustimmen und den abziehenden Truppen acht Monate Zeit geben würden. Aber Reich, Armee und Flotte würden weiterhin existieren. Dann kam der erste Schock.

Am 24. Oktober begannen die Alliierten ihre letzte Offensive. Dabei ging es zumindest den Italienern zunächst gar nicht um eine weitere Schlacht. Sie hätten die k.u.k. Armee lieber ausgehungert, als nochmals offensiv zu werden. Doch schließlich siegte das Argument der verbündeten Franzosen und Briten, dass man bei den absehbaren Friedensverhandlungen den Standpunkt Italiens wohl besser zur Geltung bringen könnte, wenn man noch auf einen letzten militärischen Erfolg hinzuweisen vermochte. Die Begeisterung der italienischen Armeeführung hielt sich dennoch in Grenzen. Es war schließlich der italienische Ministerpräsident Orlando, der den Angriff befahl.

Die k.u.k. Heeresleitung hatte natürlich mitbekommen, dass eine Offensive bevorstand. Auch Kaiser Karl war informiert. Der hatte noch am 23. Oktober im Weg des päpstlichen Nuntius in Wien Papst Bene-
dikt XV. dazu zu bewegen versucht, bei den Italienern vorstellig zu werden: Sie sollten ihre Offensive aus Gründen der Menschlichkeit unterlassen. Ein deutlicheres und hilfloseres Signal konnte es eigentlich nicht geben. Am Piave trommelte die italienische Artillerie stundenlang auf die österreichischen Stellungen. Nach einem Tag wichen die k.u.k. Truppen zurück. Die abrückenden Truppen zerschnitten die Telefonleitungen, sodass die Verbindungen zusammenbrachen. Innerhalb von Stunden breitete sich Chaos aus. Truppen, die noch zur Abwehr eingesetzt werden sollten, wurden umdirigiert, um gegen jene eingesetzt zu werden, die „nach Hause“ wollten. Magazine und Depots gingen in Flammen auf. Brücken wurden gesprengt. Ging eine Truppe auf die nachdrängenden Italiener, Franzosen und Briten zu, wurde gemutmaßt, dass sie nur deshalb nach Westen marschierte, um sich gefangen nehmen zu lassen und dem Irrsinn zu entgehen.

Gelegentlich fiel den sich zurückziehenden Soldaten eine Zeitung in die Hand. Sie erfuhren von der Bildung nationaler Regierungen und von der sukzessiven Auflösung der Monarchie, für die sie ja noch immer im Feld standen. Was sie zunächst nicht wussten,war, dass sich Kaiser Karlam 27. Oktober endlichzum Handeln entschlossen hatte. Er wollte unverzüglich einen Waffenstillstand abschließen.Man sollte es allerdingsvor den Deutschen solange wie möglich geheim halten. Doch dasGerücht machte die Runde. Die Deutschen wurden misstrauisch undfragten nach. Der k.u.k. Minister des Äußern, Graf Andrassy, beruhigte sie – doch er sprach nicht die Wahrheit. Österreich-Ungarn hatte Stunden vorher um den Abschluss eines sofortigen Waffenstillstands gebeten. Andrassy hatte in der Folge allen Unmut auf sich zu nehmen, der ihm – freilich fast ausschließlich von deutsch-österreichischer Seite – entgegenbrandete. Auch die österreichischen Sozialdemokraten fanden es unerhört, dass der Außenminister ohne Wissen (und Zustimmung) der Deutschen gehandelt hatte, und sie taten genau das, was der deutsche Botschafter ihnen nahelegte: Sie demonstrierten zugunsten des Bündnisses – und erhielten gleichzeitig die Versicherung, Berlin würde dem Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich sicherlich kein Hindernis entgegensetzen.

Mittlerweile versuchte die Trientiner Waffenstillstandskommission, die italienischen Linien zu überschreiten. Zwei Tage hindurch wurden sie von den Italienern abgewiesen. Dann funktionierte es endlich. Die Österreicher wurden in die Villa des Senators Giusti gebracht. Nun hieß es warten. Endlich, am Vormittag des 1. November, wurden die vom Alliierten Obersten Kriegsrat in Paris ausgearbeiteten Bedingungen übergeben. Und schlagartig erwiesen sich alle Hoffnungen, die wer immer noch in Österreich gehegt haben mochte, als Illusion. Die Alliierten verlangten eine mehr oder weniger bedingungslose Kapitulation. General Weber wollte sich verständlicherweise mit dem Armeeoberkommando in Verbindung setzen. Das war leichter gesagt als getan, denn er hatte keine Telefon- und auch keine Fernschreibleitung zur Verfügung. Ein Offizier seiner Kommission musste von Padua nach Trient fahren. Dort wurde dann die verschlüsselte Meldung mittels eines Hughes-Schreibers losgeschickt, über Pola nach Budapest, weiter zur Station auf dem Wiener Laaerberg und schließlich mit dem Auto nach Baden bei Wien, wo der Text dechiffriert wurde. Alles zusammen 12 Stunden. Im Armeeoberkommando war man geschockt. Der Kaiser wurde informiert und gleichzeitig auch festgestellt, dass die im umgekehrten Weg geschickten Nachrichten den General Weber nicht erreicht hatten.

Die wichtigste Information war wohl die gewesen, dass man sich in Padua nicht mehr groß um die österreichisch-ungarische Kriegsmarine kümmern musste, denn Kaiser Karl hatte die Flotte der Einfachheit halber dem soeben ausgerufenen südslawischen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben übergeben. Die Italiener dürften das wohl mitbekommen haben, denn sie versenkten noch in der Nacht zum 1. November das Flotten-Flaggenschiff „Viribus Unitis“, nachdem sie die Besatzung gewarnt und sehr wohl gesagt bekommen hatten, dass das Schlachtschiff seit einigen Stunden nicht mehr der Stolz der k.u.k. Kriegsmarine, sondern das Flaggenschiff des neuen jugoslawischen Staates war. Die „Viribus“ sank.

Der italienische Verhandlungsführer in der Villa Giusti, der stellvertretende Generalstabschef Pietro Badoglio, hatte den Österreichern mitgeteilt, dass er bis Mitternacht des 3. November eine Antwort erwartete. Andernfalls würde es keinen Waffenstillstand geben. Es hieß also handeln. Kaiser Karl wollte den Waffenstillstand, doch er wollte auch andere in die Verantwortung einbinden. Es fand sich niemand. Also musste er wieder selbst entscheiden. Und so gab er nach längerem Zögern am 3. November um ein Uhr früh den Befehl, den Vertrag über die Waffenstreckung von Österreich-Ungarnsgesamter bewaffneter Macht zu unterschreiben. Gleich darauf legte er den Oberbefehl über die k.u.k. Truppen nieder. Jetzt kam abermals Hektik auf. Um nicht wiederum den komplizierten zwölfstündigen Weg zu nehmen, wurde General Weber mittels Radiodepesche ermächtigt zu unterschreiben. Zwei Bestimmungen hatte derösterreichische Delegationsleiter allerdings nur unter Protest zu akzeptieren: Die k.u.k. Armeesollte auf 20 Divisionenverkleinert werden; daswürde – hieß es – dieEhre der Armee verletzen. Außerdem verlangten die Allliierten für ihre Truppen volle Bewegungsfreiheit innerhalb Österreich-Ungarns und konnten somit das Deutsche Reich auch vom Süden her angreifen. Österreich-Ungarn protestierte – und musste es hinnehmen. Um 15 Uhr wurde das Dokument unterschrieben.

Helle Aufregung gab es freilich, da Italien den Bestimmungen etwas verspätet, aber doch noch rechtzeitig eine Präzisierung hinsichtlich des Inkrafttretens des Vertrages angefügt hatte: Der Waffenstillstand sollte erst 24 Stunden nach seiner Annahme in Kraft treten. General Weber ließ das unverzüglich nach Baden durchgeben. Doch das Armeeoberkommando hatte den k.u.k. Truppen in Italien und auf dem Balkan die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen befohlen. Jetzt wurde abermals hin- und hergeschrieben und die Rücknahme der Frist gefordert. Pietro Badoglio kannte jedoch kein Mitleid: Da die Österreicher ihren Gegnern die Chance boten, einen nicht absehbar gewesenen Triumph zu feiern, sollte das auch genützt werden. Wieder musste sich General Weber fügen. Italiener und Briten marschierten vor, während die k.u.k. Truppen glaubten, es herrsche bereits Waffenruhe. Mehr als300.000 Soldaten gerieten in Gefangenschaft.

Eines war unbestritten: Der Krieg ging zu Ende. Aus allen Richtungen strömten Soldaten zurück und suchten sich in ihren neuen Heimatländern zurechtzufinden. Dass es das Reich nicht mehr gab, war ihnen wohl bewusst, doch eine amtliche Mitteilung fehlte, denn anders als bei der Auflösung des römisch-deutschen Reichs, 1806, hatte der Kaiser diesmal darauf verzichtet, das Ende des Reichs zu verkünden. Oder hatte er bloß darauf vergessen? So wie er auch vergaß, jenen zu danken, die in seinem Namen und letztlich auch für ihn einen Weltkrieg durchlitten hatten. Auch die Republik Deutschösterreich fand kein Wort des öffentlichen Danks – doch das ist schon wieder eine andere Geschichte.

In der Villa des Senators Giusti wurde der Raum, in dem der Waffenstillstand unterzeichnet worden war, belassen wie er war. Nur in den Tisch des Ecksalons wurde eine Messingplatte eingelassen, die in herzhaft verkürzter Form auf den Gedächtnisort hinweist: „Die Bevollmächtigten der Streitkräfte Italiens und Österreich-Ungarns unterzeichneten am 3. November 1918 an diesem Tisch den Waffenstillstand, der mit dem Sieg der italienischen Waffen das Ende des Weltkriegs 1915–1918 einleitete.“ Se non è vero, è ben' trovato. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2008)

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