54 Karten in Großer Koalition

Wenn Kanzler König rufen: über Tarock und Politik.

Wilhelm Molterer und Alfred Gusenbauer einmal als Gegenspieler, dann als Partner vereint. Dieses Szenario wird wohl der letzte große gemeinsame Auftritt der abgetretenen Regierungsspitze sein. Medial haben ja beide bereits von diesem „privaten Termin“ gesprochen, wenn sie die Bürde der Regierungsarbeit los geworden sind. Dann, so die Aussagen, wird man endlich Zeit für eine gemeinsame Tarockpartie finden: jenes Spiel zu viert, bei dem in wechselnder Zusammensetzung zwei gegen zwei, einer gegen drei, manchmal auch jeder gegen jeden spielt.

Für das Spiel selbst würde ein derartiges Scheinwerferlicht eine belebende Wirkung haben. Tarock, das Spiel der Politiker und Journalisten, hat in der jüngeren Generation an Stellenwert eingebüßt. Normalerweise verbindet Tarock und trennt nicht, obwohl die Kabarettistin Lore Krainer dies vor Kurzem anders interpretierte: Sie treffe sich mit drei Freunden zum Tarock, nach mehreren Stunden scheidet man in Feindschaft. Es vergehen 14 Tage, die Tarocksucht steigt, und plötzlich sind die Spieler wieder Freunde – denn die bevorstehende Kartenrunde verbindet.

Eine Galionsfigur wie seinerzeit Bundeskanzler Julius Raab – mit seiner Virginia beim Tarockspiel – fehlt. Obwohl sich genug Politiker dem Spiel mit 54 Karten (es geht ums sogenannte Königrufen) verschrieben haben. Aber sind Politiker noch Galionsfiguren? Tarock ist vor allem in der Volkspartei heimisch: Wolfgang Schüssel ist ein Tarockierer, Andreas Khol ein eifriger Spieler, aus der neuen ÖVP-Regierungsriege Reinhold Mitterlehner.

Der Schnapser Benya

Der neue Generalsekretär Fritz Kaltenegger deklarierte sich als lernwillig: Derzeit spiele er nur das Zwanziger-Rufen, das Königrufen werde er noch lernen. Und unter den früheren ÖVP-Politikern finden sich Namen wie Alfons Gorbach, Herbert Kohlmaier, Jörg Mauthe, Erhard Busek, Kurt Bergmann oder Maria Schaumayer (deren erklärtes Lieblingsspiel ist aber Bridge). Gerhard Hirschmann, früher in der ersten Riege der Steirer-ÖVP, ist ein Tarockspieler, der Steirer Herwig Hösele, vor fünf Jahren Bundesratsvorsitzender, ebenfalls.

Wenn er mit Politikern Tarock spielt, dann großkoalitionär, sagt Josef Kalina, bis vergangenen Juni SPÖ-Bundesgeschäftsführer. Tatsächlich kann auch er auf Anhieb keine Tarockspieler aus der roten Reichshälfte nennen. Zumindest keine aktiven Politiker. Verkehrsminister und Präsidentschaftskandidat Streicher spielt Tarock. Der eingefleischte „Schnapser“ Rudolf Benya hat hin und wieder zu den Tarockkarten gegriffen, unter anderem gemeinsam mit dem SPÖ-Gewerkschafter Rudolf Nürnberger. Aber auch – und er ist höchst aktiv – der oberösterreichische SPÖ-Chef Erich Haider.

Zur roten Reichshälfte zählen freilich auch der ehemalige Austria-Tabak-Chef Beppo Mauhart und Siegfried Sellitsch (Wiener Städtische Versicherung), der ehemalige Kreisky-Mitarbeiter Robert Sedlacek, Koautor mehrerer Tarockbücher, im schwarzen Raiffeisen-Lager der Chef selbst, Christian Konrad, oder der Oberösterreicher Ludwig Scharinger. Und auch in kirchlichen Kreisen wird – obwohl im 14. Jahrhundert von der Kirche verboten – tarockiert: Die Bischöfe Johann Weber und Kurt Krenn haben oft und oft tarockiert, der evangelische Bischof Michael Bünker widmete in seinem neuen Buch ein Kapitel der „christlichen Botschaft des Tarock“. „Beim Königrufen enthüllt sich die religiöse und christliche Tiefendimension des Tarock am klarsten“, so Bünker. Caritas-Präsident Franz Küberl stellt sich stets am vierten Adventsonntag in Graz bei einem großen Tarocktreffen, bei dem die Gewinne einem Caritas-Projekt zukommen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2008)

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