Uns bleibt immer Wörgl!

Krisenzeit: wie 1932 eine Tiroler Kleinstadt mit Alternativgeld reüssierte.

Sollte die Wirtschaftsrezession in eine Depression münden, lohnt die Referenz auf Wörgl. Wörgl, „eine kleine nette Stadt im Tirolischen in einer weiten Talsohle gelegen“, wie Ezra Pound im Canto LXXXIV schreibt, wird von Avantgarde-Ökonomen wiederentdeckt.

Warum taucht Wörgl in Ezra Pounds „Cantos“ auf? – Pound, Titan der Poetik des 20. Jahrhunderts, sondierte parallel zu seinem künstlerischen Werk eine gerechte, dem Menschen dienende Wirtschaftsordnung. Tragischerweise verrannte er sich dabei in Mussolinis Faschismus, predigte in Italien und glitt in läppische Verschwörungstheorien ab, durchsetzt von einem wütenden Antisemitismus, denn jüdische Plutokraten und jüdisch dominierte Zentralbanken mit ihrer auf Zinsen – also Wucher – basierenden Geldpolitik seien dabei, das Volk zu entmündigen. (1945 büßte der inzwischen 60-Jährige, denn die US-Armee sperrte ihn in Pisa vier Monate lang in einen eisernen Käfig.)

Deshalb auch Pounds Interesse an Theoretikern der Freiwirtschaftslehre, dienach dem Ersten Weltkrieg aufflackerte. Besonders beeindruckt war Pound von Silvio Gesell (1861–1930), einem deutschen, in Argentinien erfolgreichen Geschäftsmann (außerdem 1919 Finanzminister der bayerischen Räterepublik). Gesell suchte einen „verantwortungsvollen Kapitalismus“ über ein innovatives, ohne Zinsen auskommendes Geldsystem. Als in der Folge der Depression nach 1929 überall die Arbeitslosigkeit überhandnahm, griffen Lokalpolitiker in Amerika wie Europa auf Gesells Theorie zurück, in deren Mittelpunkt eigene Währungen, sogenanntes „Freigeld“, standen.

Am erfolgreichsten fuhr damit Wörgl, dessen Bürgermeister, Michael Unterguggenberger, im Juli 1932 „Arbeitswertscheine“ ausgab, womit die Arbeitslosen der Stadt für das Ausführen öffentlicher Arbeiten bezahlt wurden. Pound gefiel dies: „In der Tat liegt hier der Hase im Pfeffer / der Staat braucht nicht zu borgen / wie Wörgls Bürgermeister nachwies / ... und als ein Papierschein der Kleinstadt Wörgl / über die Theke wanderte in Innsbruck / und der Bankier es wahrnahm / geriet der Geldklüngel Europas aus dem Häuschen.“

Arbeitslosenquote halbiert

Wörgl tat es prosaisch. Essenz des Alternativgeldes war eine Marke, die monatlich auf den Schein zu kleben war, was ei- nen „Negativzins“ von ein Prozent ergab. Natürlich tauschte jedermann möglichst rasch sein mit der Zeit verfallendes Alternativgeld gegen Lebensmittel und Waren,was Nachfrage schuf. Wörgls Arbeitslosenquote halbierte sich. Nachbardörfer wollten die Formel übernehmen. Doch dann klagte aus Wien die Nationalbank. Wörgl verlor. Mit November 1933 war in Österreich Alternativgeld – von Finanzexperten als Unfug taxiert – verboten.

Heute verficht Bernard A. Lietaer, ein unkonventioneller Profi-Banker aus Belgien, listig die Idee des Freigeldes. Nur nennt er es „Komplementärwährung“. Er sieht sie überall. Zum Beispiel im Supermarkt mit Rabattmarken. Oder bei den Fluglinien, die treue Kunden mit Bonuspunkten beglücken. In Krisensituationen, meint Lietaer („Das Geld der Zukunft“, 2002, Riemann Verlag), ließensich mit solchen Praktiken in Zonen hoher Arbeitslosigkeit, wenn Gemeinden konventionelles Geld ausgeht, öffentliche Projekte betreiben, Kranke pflegen, Alte betreuen oder Mikro-Unternehmen gründen. Lietaer, obschon hoch dekoriert als Schöpfer des ECU-Verrechnungssystems, als Vorbereitung der europäischen Einheitswährung, wird gelegentlich verlacht. Aber vielleicht kommt seine Zeit erst. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2008)

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