Die Prügler Gottes

Was haben Jimmy Swaggart, Pat Robertson und der neue Linzer Weihbischof gemeinsam? Ein Blick auf die Evangelikalen in den USA zeigt, was katholische und protestantische Gegenmoderne verbindet.

Wortgewaltig, steinreich, großkotzig: Jimmy Swaggart ist ein überaus populärer US-amerikanischer Fernsehprediger alten Stils. Seine rhetorische Höchstform erreicht der evangelikale Geistliche, wenn er die „fleischlichen Sünden“ der Menschen anprangert, Homosexualität vor allem – er drohte einmal sogar damit, Homosexuelle zu erschießen – und Prostitution. Das Verdrängte kehrte jedoch zu Swaggart zurück, das öffentlich Bekämpfte holte ihn privat ein: 1986 wurde Reverend Swaggart in einem Motel in New Orleans mit einer Prostituierten angetroffen, 1991 überraschte ihn die Polizei, als er sich in Kalifornien mit einer Prostituierten im Auto amüsierte.

Nach Paul Theroux ist Jimmy Swaggart ein „Betrüger, Scharlatan und alter Heuchler“. Außerdem ist Swaggart ein evangelikaler Antikatholik alter Schule. Ganz im Gegensatz zur eingespielten Höflichkeit der nachkonziliaren Ökumene bekannte Swaggart in seinem „Letter to My Catholic Friends“ aus dem Jahre 1983 ganz ungeniert: „Die Lehren der katholischen Kirche bestehen aus legendären, mythischen, apokryphen, menschlichen Traditionen – ihr Fundament ist nicht das Wort Gottes.“ Nach Swaggart ist der katholische Glaube eine falsche Religion. Wer ihren Lehren folge, sei ein Betrogener, der sein ewiges Heil verspielt. Mit wenig Interesse an historischer und theologischer Akribie zieht Swaggart über Papsttum und Beichte, Inquisition und Marienverehrung her.

Krasser Antikatholizismus galt allerdings Anfang der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts bei einem Großteil der Evangelikalen bereits als unschick: Die protestantische Rechte hatte die katholische Rechte nämlich als attraktive Bündnispartnerin im praktischen Kampf gegen Homosexualität und Frauenemanzipation entdeckt, im Kampf gegen atomare Abrüstung und gesellschaftliche Toleranz, gegen Sozialstaat und Wohlfahrtsprogramme, gegen Darwin und Demokraten, gegen die Straffreiheit der Abtreibung und die Abschaffung der Todesstrafe, gegen Säkularisierung und Relativismus.

Anfang Mai 1988 wurden in Manhattan 800 Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen, die die Zugänge zu einer Abtreibungsklinik blockiert hatten. Veranstalter der Aktion war die „Operation Rescue“, jene Antiabtreibungsorganisation, die es der Anthropologin Faye Ginsberg zufolge „am stärksten auf Konfrontation angelegt hat und die politisch am weitesten rechts steht“. Unter den Festgenommenen befanden sich elf evangelikale Pastoren, ein katholischer Bischof, zwei katholische Prälaten und vier katholische Ordensfrauen.

Vor allem Papst Benedikt XVI. hat es den Evangelikalen angetan. Und die Evangelikalen dem Papst. Benedikt ist davon überzeugt, dass „die Evangelikalen im Katholizismus ein Bollwerk gegen die drohende Säkularisierung erkennen und eine Festung, die dieselben ethischen Werte hochhält, zu denen auch die Evangelikalen sich bekennen“. Der inzwischen wenig glorreich aus dem Präsidentenamt geschiedene George W. Bush und der bekannte evangelikale Fernsehprediger Pat Robertson wiederum zollten dem Papst für seinen Kampf gegen den Relativismus großen Respekt.

Was Gott und Göttliches betrifft, scheint Pat Robertson genauer Bescheid zu wissen als der Papst. Zusammen mit seinem Bruder im evangelikalen Predigtamt, dem vor zwei Jahren verstorbenen Jerry Falwell, deutete Robertson die terroristischen Aktionen islamischer Fundamentalisten vom 11.September 2001 mit jener theologischen Präzision, die christlichen Fundamentalisten vorbehalten ist: Nach Robertson und Falwell handelte es bei 9/11 nämlich um eine mächtige Demonstration des göttlichen Zornes über die vielen in den Vereinigten Staaten lebenden „Heiden, Abtreibungsbefürworter, Feministinnen, Schwulen und Lesben“.

Hier scheint ein kurzer Einschub zu Terminologie und Sprachregelung angebracht. Oft werden die Begriffe „evangelikal“, „fundamentalistisch“, „protestantische Rechte“ synonym verwendet. Das ist möglich, aber nicht ganz korrekt: Auch wenn die Grenzen nicht streng gezogen werden können, so gilt doch, dass der Fundamentalismus eine Extremform des Evangelikalismus darstellt. Evangelikale sind zum Beispiel der christlichen Ökumene gegenüber meist aufgeschlossen, protestantische Fundamentalisten nicht.

Rechtskonservative, integralistische Katholiken, in Anlehnung an protestantische „Evangelikale“ religionssoziologisch auch „Katholikale“ genannt, wiederum erkennen das Zweite Vatikanische Konzil – freilich oft zähneknirschend – an, katholische Fundamentalisten (oder Traditionalisten) wie die Piusbrüder nicht. In den englischsprachigen Ländern werden Evangelikale und Katholikale häufig mit dem Überbegriff „Christian Right“ („Christliche Rechte“) bezeichnet.

Zur christlichen Rechten gehört auch der neu ernannte Linzer Weihbischof Gerhard Maria Wagner, der inzwischen international bekannte Apologet eines strafenden Gottes. Naturkatastrophen und andere Züchtigungen Gottes setzen uns Menschen nach Wagner jene Grenzen, die auch besorgte Eltern ihren Kindern auferlegen. „To beat the love of God into a child“, „die Liebe Gottes in ein Kind hineinprügeln“ nennen amerikanische Evangelikale bisweilen jene gewalttätigen Erziehungsmethoden, die sie bis heute propagieren und praktizieren.

In den Schulen des „Bible Belt“ wird den Kindern bei Fehlverhalten nach wie vor mit einer Art Holzprügel oder Holzpaddel der Hintern versohlt („paddling“). In Österreich dagegen ist seit 1989 ein Züchtigungsverbot von Kindern und Jugendlichen in Kraft, das „die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides“ gesetzlich verbietet.

Vor Prügeln sollten Kinder nach rechtskonservativer religiöser Pädagogik nicht geschützt werden, ganz im Gegenteil, wohl aber vor aller Art von verderblicher Literatur. Neben Harry Potter ist es vor allem Jerome D. Salingers 1951 erschienener Adoleszenzroman „Der Fänger im Roggen“, der verteufelt und aus Bibliotheken verbannt wurde. In einer Szene des Romans unterhält sich sein Held, der 16-jährige Holden Caulfield, mit seinem Lehrer über den Geschichtstest. „Würdest du gerne noch einmal hören, was du geschrieben hast“, fragt ihn der Lehrer. „Nein, Sir, eigentlich nicht“, antwortet Holden. „Er las es trotzdem“, heißt es im Roman weiter. „Man kann Lehrer nicht aufhalten, wenn sie etwas tun wollen. Sie tun es einfach.“

Im Blick auf die kirchlichen Vorgänge der vergangenen beiden Wochen wird deutlich: Holdens Erkenntnis über das Verhalten von Lehrern trifft nicht nur auf seine eigenen Lehrer/innen zu, sondern auch auf den obersten Lehrer der römisch-katholischen Kirche, den Papst. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2009)

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