Porträt eines sichtbaren Feindes

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Hier ist nichts privat. Hier ist jede Information öffentlich, nämlich wichtig für die öffentliche Sicherheit. Wir reden von Leuten, die auf „Security Lists“ aufscheinen. Die Akte gibt Aufschluss: über das Leben der Beschatteten wie der Beschatter. – Fotografin, Spionin, Ausspionierte: über Mrs. Edith Tudor-Hart, geborene Suschitzky aus Wien. Eine Nachschau.

Edith Tudor-Hart wurde 1908 als Edith Suschitzky in Wien geboren. Sie studierte am Bauhaus in Dessau und arbeitete als Fotografin mit sozialkritischem Impetus in Wien. Zugleich war sie sowjetische Agentin. Anfang der Dreißigerjahre heiratete sie in Wien den ebenfalls der kommunistischen Partei nahestehenden britischen Arzt Alexander Tudor-Hart. Das Paar floh vor dem Austrofaschismusnach London, wo Edith ein Fotostudio eröffnete. Es entstanden Reportagen aus den Londoner Slums und dem walisischen Kohlenrevier. Ihre letzten Lebensjahre – sie starb 1973 –verbrachte Edith Tudor-Hart als Antiquitätenhändlerin in Brighton. In ihrer Londoner Zeit wurde sie vom britischen Geheimdienst MI5 observiert. Die freigegebene Akte befindet sich in den National Archives in London.


Wenn man die Berichte, Memos, Verhörprotokolle und Briefe der MI5-Akte Edith Tudor-Hart durchsieht, eröffnet sich einem Ediths Leben in verkehrter Reihenfolge: Die jüngsten Berichte befinden sich zuoberst, die ältesten zuunterst in dem Stapel. Diese Ordnung wurde auch nicht verändert, nachdem die Akte geschlossen worden war. So wird Edith Tudor-Hart mit den Jahren jünger, die Umzüge, Adressänderungen werden häufiger, die Krankheit ihres Sohnes Tommy, sein Autismus,wird undeutlicher, und ihr Vater ist noch am Leben – ein Brief an seine Tochter, gemeinsam mit fotografierten Banknoten sind Teil der Akte.

Auch Ediths Ehe, die zu Beginn der Berichte geschieden ist, scheint sich selbst zu heilen. In der Mitte des Stoßes wird von einer anderen Frau berichtet, die mit Ediths Ehemann, Alexander, zusammengezogen sei,am Ende haben Edith und Alexander als frisch Verliebte noch nicht zueinandergefunden: An einem Donnerstag schreibt sie ihrem Geliebten einen Brief, der sorgfältig kopiert, übersetzt und in dreifacher Ausfertigung an die Chefs diverser Geheimdienstabteilungen geht: „Verzeih mir, Alexander, ichkann dir nichts mehr schreiben – wir schreiben nur so vorbei aneinander. Ich kann dir nichts mehr erklären, denn du weißt, es klingt immer ekelhaft, und du wirst meine Situation bald, früher oder später auch ohne mehr Briefe verstehen. Ich hätte dir vieles zu erzählen, vieles über die Parteiarbeit, über einige Genossen und Freunde, über Wien – aber dir kann ich solche kameradschaftlichen Berichte jetzt nicht schreiben, wo du es ablehnst, mein Lover zu sein. Ich kann nur zu Gott hoffen, dass ich ein bisschen developedbin seit letzter Zeit, sodass ich dir verständlich machen kann, dass es für mich jetzt ums Ganze geht. Ich habe kein freundschaftliches (oder irgendwelches) Verständnis mehr für einige Dinge in deinem Leben. Ich verstehe nur das eine, dass du deine Kinder nicht verlassen kannst und sollst und willst. Alles andere ist mir mystisch... Vielleicht glaubst du's nicht, ich will aber wieder versuchen, ob's nicht allein geht, zwar schlecht aber doch. Glaub's; und schreib mir keine Liebesbriefe und nix von der Zukunft, man soll einen kranken Hund nicht reizen.“

Es existieren fünf verschiedene Textsorten inder Akte Tudor-Hart: 1) die internen Memos und Briefe, 2) die abgefangene Korrespondenz von und an Edith, 3) die Transkriptionen der aufgezeichnetenAnrufe, 4) die Berichte der Überwacher und 5) die Zusammenfassung von Verhören anderer sie betreffend, ihre Verhöre sind nirgends zu finden – bis auf eine Ausnahme, gäbe es diesen Bericht vom 24. Februar 1947 nicht, könnte man meinen, sie wäre niemals verhört worden. Es muss frustrierend gewesen sein: Die Agenten wurden nicht fündig, und da sie nichts gegen sie in der Hand hatten, konnten sie diese Information nicht nutzen, um sie in einem Verhör zum Sprechen zu bringen; dass sie es versuchten, steht außer Zweifel. Der ehemalige MI5-Mitarbeiter Peter Wright schreibt 1987 in seinen Memoiren, „Spycatcher“: „Bob Stewart and Edith Tudor-Hart, both of whom were involved as couriers for the Ring of Five in 1939–40, were approached. Neither would talk. They were disciplined soldiers, and had spent too long in the game to be broken.“

Die Observationsprotokolle hingegen sinddetailliert (wenngleich die Agenten auch nicht sehr gut informiert waren); viele gaben sich Mühe, Ediths Gefühlsleben zu erahnen. In einem Bericht vom 11. Mai 1942 etwastellt der Beobachter, nachdem er ihr zwei Tage lang gefolgt ist, die Vermutung an, dass es sich bei dem kleinen Jungen, der Edith begleitet, um ihren Sohn handeln muss:„The boy is undoubtedly the son of Tudor- Hart and she shows a good deal of affection for him, but he must cause her a good deal of worry as his nerves are in a bad condition.“ Diese Beobachtung wird ergänzt durch: „Tudor-Hart takes a prominent part in the running of Studio Sun but from her dress and habits she does not seem to be in affluent circumstances. She shares a flat with her cousin, who might easily pass for her brother, and this flat is poorly furnished and in an untidy state, probably owing to the nerves of the boy.“

Diesen Worten ist zu entnehmen, dass ihrBeschatter auch in ihrer Wohnung war und diese durchsucht hat; Berichte zu Wohnungsdurchsuchungen finden sich keine in derAkte, Ediths Alltag aber wird genau beschrieben: Am 6. Mai etwa verließ sie das Studio Sun um 12.50 Uhr auf dem Weg zum Geschäft Selfridges, wo sie in der Lebensmittelabteilung Einkäufe erledigte, ehe sie im Café in der Blandford Street ein Mittagessen zu sich nahm. Um 13.55 Uhr kehrte sie zum Studio zurück, ging aber wieder um 16.40 Uhr aus. Sie hatte ein Päckchen bei sich, das an Dr. E. Broda adressiert war; dieses gab sie im Postamt in der Baker Street auf. Danach kehrte sie im Dutch Oven Restaurant für ein kleines Abendessen ein, ehe sie ihren Sohn von der Klinik abholte und ihn nach Hause führte. Sie wurde von ihrem Beobachter erst wieder um 21.15 Uhr gesehen – wohin sie ging, wird jedoch nicht vermerkt. Stattdessen setzt der Bericht am 7. Mai fort. An dem Tag wiederholte sich die Routine: 12.20 Mittagessen im Café, danach Einkäufe. Um 16.50 machte sie sich auf den Weg ins Spital, um ihren Sohn abzuholen und nach Hause zu gehen. Um 18.45 verließen beide das Haus und kamen in Maresfield Gardens um 19.15 an, wo sie, so der Schreiber, „Zeit verschwendeten“, ehe sie klingelten. Dies war das Haus Martha und Anna Freuds, bei der Tommy in Behandlung war – ein Detail, das einem abgefangenen Brief an Martin Leopold Hornik, Camp A, Farnham, Quebec, Canada, zu entnehmen ist. Unter dem Abschnitt, betitelt mit„Comment“, findet sich eine Zusammenfassung des Briefes: „Adressee is on the Security List. –– Friend of internee writes to greet him on his return to England. She explains her long silence on two grounds. First, that she was always expecting his return; secondly, that she has devoted every spare minute to her child Tommy whose mental developmenthas not kept pace with the physical. He is now having treatment on the advice of Anna Freud and the prospects for his recovery are excellent. George and many other friends willbe delighted to see adressee. Fredl has told her much about their life (in Canada). She hopes he will soon be released and thanks him for his parcels.“

Es scheint passend, dass eine Frau, von der man annahm, dass sie als Spionin arbeitete, mit einem Fotoapparat umzugehen wusste – zu passend, fast schon ungeschickt: Man sollte meinen, dass es besser gewesen wäre, eine harmlosere, im Sinne von für die den Kommunismus fürchtende britische Regierung weniger offensichtlich bedrohliche Identität als Verkäuferin oder Modistin anstatt als Sammlerin von Wissen und Beweisen aufzubauen, und tatsächlich taucht in den Vierzigerjahren zum ersten Mal in der Akte der Name Betty Gray auf, Ediths Deckname. Die Frage ist nun, welche war die Schein-Identität und welche die echte? Wennman davon ausgeht, dass es die Aufgabe der falschen Identität ist, die echte zu schützen, scheint in Ediths Fall die echte, das heißt ihre tatsächliche Person, die Schutz-Identität gewesen zu sein: Als Edith Tudor-Hart war sie den britischen Behörden schon bekannt, sie wusste, dass sie beobachtet wurde, diese Identität taugte höchstens noch als Tarnung. Die andere jedoch, Betty Gray, war dem MI5 noch nicht bekannt, sie konnte als gehorsame britische Patriotin durchgehen, sie wurde weder observiert noch abgehört, ihre Briefe wurden weder gelesen, fotografiert noch übersetzt oder aufbewahrt; sie hatte auch, wann immer sie telefonierte, keinen heimlichen Zuhörer.

Am 20. Juli 1944 beispielsweise wurde folgender Anruf an Edith mitgehört: „A foreigner, whose name sounded like Erlich, rings from Welbeck 2102 Edith Tudor-Hart at Maida Vale 6565, and has the following conversation with her in German: E. Can't you come tonight? – ETH. No, I am waiting for someone to come. They are going to phone me. – E. Perhaps you will discuss it with him. One moment. – Jimmy comes to the phone to speak to Edith – in English – and tells her to leave her visit till next week. He tells her to come to ,our place in Bedford Street‘.“

Es gibt etliche solcher Transkriptionen, zudem wurden Ediths Freunde und Bekannte befragt. Durch die Akte erhält man aber auch Einblicke in den Arbeitsalltag der Personen, die ihr Leben damit verbrachten, ihres zu beschatten: Sie, die ihren Lebensunterhalt damit verdiente, als Fotografin Menschen zu beobachten und deren Existenz festzuhalten, wurde selbst beobachtet und festgehalten, und das Leben derer, die siebeobachteten und festhielten, kann nun, mehr als ein halbes Jahrhundert später, in Form von Briefen, Anfragen, Mutmaßungen und Memos nachgelesen werden. In diesem etwa, geschrieben von M.J.E. Bagot, einer Miss Bagot, wie ich mit der Zeit erfahre, die Edith Tudor-Harts Konto überprüfen lassen wollte: „I am making some enquiries about Mrs. Edith Tudor-Hart, née Suschitzky“, schrieb Bagot in einem internen Memo, diese sei britische Staatsbürgerin, vormals Österreicherin, von der angenommen werde, sie sei Mitglied des Zentralkomitees und Rechnungsführerin der Kommunistischen Partei Österreichs. Neben ihren politischen Aktivitäten sei sie als Fotografin tätig und habe ein Atelier in der Duke Street. „It is believed that this woman has an account at Martins Bank, 88 Wigmore Street, W.1. I should be grateful if you could look into her account.“

Guy Postern antwortete am 16. April 1942:„An examination of this woman's account at Martins Bank, 88 Wigmore Street, W.1. was, I am afraid, very unproductive of results... I examined the account from the beginning of the war, and could find nothing of interest on either side... I was particularly on the look-out for foreign names, but these were few and far between. I did notice one payment to Hornik £7 Os. 4d. in 1939, a single payment of £15 to Lowen, and two small payments to Walter Nuki and Germaine Kanova.“

Das Interessante an diesen Texten istnicht immer ihr Inhalt; vieles ist eine Wiederholung von Bekanntem, Ediths Eckdaten werden ständig wiederholt, wo und wann sie geboren wurde, wann und wen sie geheiratet hat, dass sie Kommunistin sei, und zum Beispiel finden sich mehrere Beschreibungen ihres Aussehens im Dossier, die etwa lauten: „Description: b. 28.8.08, 5'8“, medium build, brown hair,light coloured eyes, slightly fresh complexion, wearing light coloured horn rimmed glasses. Dressedin black dress, pinkish red coat, light stocking, black suede rubber sole shoes, no hat. Foreign Jewish appearance.“ Interessant ist, dass es sich bei den Memos, Berichten et cetera um vielstimmige Texte handelt – sie alle wurden nachträglich mit handschriftlichen Bemerkungen oder Notizen versehen. Unter dem Namen Walter Nuki zum Beispiel steht eine Aktennummer (er wurde demnach ebenfalls vom britischen Geheimdienst biografiert) sowie die Information: „Dentist,member of Austrian Centre“. Hornik, dem Tudor-Hart sieben Pfund schickte und dessen politische Überzeugung den MI5 sehr beschäftigte, ist auch im Besitz einer Aktennummer, und alle Briefe, die Edith an ihn sendete, wurden vom Postal Censorship –Prisoner of War Section abgefangen, kopiert, übersetzt und archiviert.

1945, schreibt Duncan Forbes, habe eine Person, die Edith nahegestanden sei, die Seiten gewechselt: Sie begann, dem MI5 über Edith und deren Kreis Bericht zu erstatten. Unter der Nummer 89aa findet sich ein Auszug einer nicht näher spezifizierten Aussage; in ihm geht es um Emil Broda, den Atomphysiker: „Although I have no definite proof, I have always suspected Broda of being engaged in scientific espionage, and according to Edith Tudor-Hart he has for some time occupied himself with secret scientific research at Cambridge connected with atomic energy. She stressed Broda's importance to the Party in view of his qualifications and connections. In view of the intimate relations existing between Edith Tudor-Hart and Broda, it must be presumed that she is well informed of her lover's activities.“

„Inoffizielle Mitarbeiter“ nannte man sie in der DDR, die Menschen, die ihre nähere Umgebung, Nachbarn, Freunde, Verwandte oder Bekannte ausspionierten. Auf einen offiziellen Stasi-Mitarbeiter seien zwei inoffizielle Mitarbeiter gekommen, schreibt Helmuth Schmidt („Zorn und Trauer. Als politischer Gefangener in Zuchthäusern der DDR“,Klartext Verlag 2006), der gegen die Ausweisung Wolf Biermanns aus der DDR protestiert hatte und verhaftet wurde. In den Augen des DDR-Regimes seien sie„besonders pflichtbewusste Diener des Staates“ gewesen. Im Nachbarhausseiner Großeltern, so Helmuth Schmidt, habe Ingeborg Kameke gewohnt:„Dies war der Klarnameder IM Inge Tabbert, die mich in den ersten Jahren in Parchim zu überwachen hatte. IM Inge Tabbert war, wie ich aus den Stasi-Akten entnehmen konnte, eine regelrechte Klatschbase, und ich habe Zweifel, ob die Stasi mit ihren Berichten wirklich etwas anfangen konnte. Sicher hat der Führungsoffizier Leutnant Janke gelacht, wie ich gelacht habe, als ich in einem Bericht von IM Inge Tabbert las, dass ich mit einer Frau zusammen gewesen sei, ,die vorne keine Zähne im Mund‘ hatte.“

Den Anwerbeprozess der IMs habe man in den Akten nachlesen können, fährtSchmidt fort, über die Klar- und Decknamen habe es aber keine schriftlichen Aufzeichnungen gegeben, nur der Führungsoffizier habe die wahre Identität eines IM gekannt: „Ein IM musste sich schriftlich, meist handschriftlich verpflichten, über seinen IM-Status Stillschweigen zu bewahren unter Androhung von Strafverfolgung beim Bruch dieses Stillschweigens. Also wussten auch mehrere IMs in einer großen Behörde oder in einem großen Betrieb nichts voneinander. Das war ja das Teuflische: Jeder im Wohnungsumkreis, jeder am Arbeitsplatz, jeder im Sportverein, im Gesangsverein konnte ein IM sein.“

Hier wird ganz klar: Die Unterscheidung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen gilt nicht für jene, die auf „Security Lists“ aufscheinen, jede Information ist öffentlich, im Sinne von: wichtig für die Öffentlichkeit und für die öffentliche Sicherheit. In einer ähnlichen Situation befand sich Edith Tudor-Hart; Großbritannien war im Krieg, die Sowjetunion war zwar ab 1941 ein Verbündeter,dennoch waren die Kommunisten verdächtig, und Ediths Kreis wurde gründlich ausspioniert: In der Akte finden sich die Namen und eine Kurzbeschreibung all jener, diesich mit Edith trafen, und folgende Entwarnung (?): „Edith Tudor-Hart, who has no job at present butintends to establish a photographic studio of the kind she ran before, has gathered around her rather an interesting circle of intellectuals, some of whom are members of the Communist Party and some only sympathisers. These people are in the habit of meeting more or less regularly at each other's flats and discussing politics from the Communist point of view but avoiding narrow-minded official party line and propaganda slogans which usually prevail at Communist gatherings. They admit frankly, and sometimes cynically, their totalitarian aims and methods with all the hardship and ,unavoidable‘ atrocities involved, yet which are justified by the cause. Neither do they refrain from criticising Russian policy if they find it to be inconsistent with Communist theory.“

Die Änderung von Ediths ideologischer Gesinnung wird nicht nur an dieser Stelle der Akte erwähnt; schon mit dem Einzug ihrer Cousins in ihrer Wohnung wird spekuliert, dass diese, die als Sozialisten beschrieben, zunächst allerdings verdächtigt werden, verdeckte Kommunisten zu sein, einen guten, „mäßigenden“ Einfluss auf Edith hätten. Schützenhilfe bekämen sie von Martin Leopold Hornik und Dr. Loew-Beer, die beide (wie auch Edith später) in Opposition zur österreichischen KP stünden. Letzterer habe Edith sehr geholfen, als sie von ihrem Mann ohne einen Penny verlassen wurde.

Informationen wie diese ohne Urheberangabe scheinen zu beweisen, dass einFreund oder guter Bekannter Edith ausspionierte. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass dies eine Information war, die Edith gewillt war, ihren Vernehmern zu geben, im Tausch gegen ein paar Tage, Wochen oder Monate von Ungestörtheit. Sie wurde etliche Male verhört, von all diesen Verhören existiert jedoch keine Aktennotiz, nur von diesem: Am 24. Februar 1947 schrieb der Befrager: „Mrs. Tudor-Hart has at last admitted that she used to work for the Russian Intelligence in Austria and Italy in 1932–3. Sheworked for a Russian Colonel, and ran a photographic studio in Vienna as a cover for her Intelligence work, together with a Russian who was also her boy friend.“ Sie sei später von der österreichischen Polizei festgenommen, jedoch bald frei gelassen worden, da diese keine Beweise finden konnte. Nach der Entlassung aus der Haft habe Edith den Befehl aus Moskau erhalten, ihre Tätigkeit als Spion aufzugeben.

Drei Absätze enthält dieser Bericht, mehr nicht. Und er bezieht sich auf die Zeit vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, die Zeit vor Ediths Heirat mit Alexander Tudor-Hart. Ihn habe sie geheiratet, nachdem sie ihre Agententätigkeit aufgegeben habe, gab sie zu Protokoll, danach erst sei sie nach England gekommen, nachdem sie 1929 als „unerwünschte Ausländerin“ des Landes verwiesen worden war. Diese Aussage wurde überprüft, unter der Jahreszahl 1929 befindet sich ein Pfeil mit der Anmerkung „Jan. 1931“. ■


Der Text gibt einen Abschnitt aus Anna Kims Herbstvorlesung, „Das Öffentliche und das Private“, an der Akademie Graz wieder, die sich u. a. mit „Schattensprachen“ beschäftigt sowie mit dem Prozess des Verhörens und
dem Verhör als Sphäre jenseits des Öffentlichen und Privaten (3. bis 5. November,
jeweils 19 Uhr, GrazMuseum).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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