Das Leben ist ein Fest

(c) Clemens Fabry
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Das Leben könnte so schön sein, doch die Angst vor Alter und Tod richtet nur Unheil an. Daher meine Forderung: Schafft das Altern ab! Meine Frau meint zwar: „Ewiges Leben? Pah! Lieber noch ein Kind.“ Ich aber bleibe dabei: Aufruf zur Abschaffung des Alterns.

Mit 10 hot a no nix gwusst, oba
mit 20 hot a sies scho denkt, oba
mit 30 woar a se nu net sicher, oba
mit 40 hot a glaubt, dass a olles scho kennt, oba
mit 50 hot a sie nimmer dreiredn lossn, oba
mit 60 woars eam fost scho wieda wurscht, oba
mit 70, mit 70 oba, do woit as goar nu amoi wissen,
der oide Depp.

Während ich damit beginne, mir Gedanken über das Altern und die Vergänglichkeit zu machen, während ich mich langsam damit abfinde, selbst zu vergehen, läutet es an der Tür. Nein, nicht der Tod steht draußen, nur der Briefträger, er gibt ein Paket für meine Frau ab, ein unscheinbares, nicht sonderlich schweres Päckchen. Stutzig macht mich der Absender: Klub der Kreateure unerhörter Schönheit. Was da wohl drinnen ist? Ein Zimmerspringjungbrunnen? Eine Antifaltencreme? Ein Schminkset? Strapse?
Wenn man übers Altern nachdenkt, sieht man zuerst, was alles unternommen wird, um die irreversiblen Anzeichen der Vergänglichkeit zu kaschieren. In Teilen Asiens isst man gar, weil man sich davon Jugend verspricht, menschliche Embryos. Eines unserer populärsten Märchen erzählt von einer bösen Königin, die es nicht erträgt, dass die Stieftochter schöner ist als sie. Also schickt sie einen Jäger los, der sie töten und ihr das Herz rausreißen soll. Heute ist man gemäßigter, kauft sich Handys oder einen Weltraumtrip. Und man lässt sich, weil es bei den Jungen Mode ist, piercen oder tätowieren. Jugend steht für Gesundheit, Potenz, Zeit, Erfolg und Lebenssinn. Jugend heißt Leben, Alter Tod. Wer jung ist, ist begehrenswert und wird vielleicht sogar, was alle wollen: geliebt.
Aber es kann doch nicht sein, dass die Zeit so beharrlich gegen uns arbeitet, all das angesammelte Wissen und Können mit dem Leben einfach wegwirft. Oder doch? So jung, heißt es bei Familienfeiern oft und gern, kommen wir nicht mehr zusammen. Aber so alt waren wir noch nie beieinander. Warum altert man überhaupt? Was ist das für eine unverschämte Idee der Biologie? Steine altern schließlich auch nicht. Oder Wasser, Luft? Gut, irgendwann verglüht die Sonne, das Universum fällt in sich zusammen, manche glauben auch, ihre Gefühle altern, selbst Ideen setzen Staub an, und sogar die Sprache bleibt nicht immer gleich. Dafür gibt es Bäume, die tausend Jahre alt werden. Schildkröten! Methusalem! Wer weiß, vielleicht altern sogar Raum und Zeit? Mit dem Urknall haben sie vor 6,3 Milliarden Jahren begonnen – möglich, dass auch sie eines Tages jämmerlich verenden.
Wir haben uns zu einem Leben auf Abruf vergattern lassen und bemühen uns auch noch, das Unakzeptierbare, nämlich die eigene Sterblichkeit, anzunehmen und schönzureden. Ich aber sage: Schafft das Altern ab! Weg mit der Vergänglichkeit! Schluss mit dem Verenden! Das Leben ist ein Fest, in dem nichts festgemacht sein darf, schon gar nicht ein Finale. Man franst aus, geht aus dem Leim? Warum? Die Haare gehen aus und kehren niemals wieder, die straffe Haut wirft Falten. Wem nützt das? Man sieht und riecht und schmeckt und hört nicht mehr so gut wie früher. Gedächtnis und Schließmuskeln versagen. Es werden die Wege im Flughafen immer länger, und die Zeit zum Umsteigen auf Bahnhöfen wird kürzer und kürzer. Plötzlich sind bei Klassentreffen nicht mehr alle da. Die Zeit, die einen anfangs wie ein fester Wandverputz umhüllt, wird brüchig. Manchmal bricht ein großes Stück herunter, und man spürt, wie sie vergeht, die Zeit. Fixe Bausteine des Lebens, Größen, mit denen man aufgewachsen ist, verschwinden einfach und sind weg. Alles vergeht. Eine neue Generation verdrängt die alte. Neue Ideen. Neue Gedanken. Man kommt nicht mehr mit, man altert.
Die Geschichte von Tithonos fällt mir ein, dem Eos, die Göttin der Morgenröte, bei Zeus ewiges Leben erbittet. Es wird ihr auch gewährt. Leider hat sie auf die ewige Jugend vergessen, sodass Tithonos, der hübsche Jüngling, zwar nicht stirbt, aber verfällt. Am Ende ist er für Eos nicht mehr interessant, klein wie eine Zikade wird er in einer kleinen Holzschachtel gehalten und kann vor Gram nur zirpen.
Aber wer sagt, dass das sein muss? Natürlich, selbst das Alter hat Vorteile, die Peinlichkeitsschwelle verschiebt sich, und oft nimmt der Gleichmut zu. Meist aber werden nur die negativen Eigenschaften verstärkt, Neid, Angst und Grant. Man wird klein und sperrt sich in die Zündholzschachtel der eigenen Vorurteile ein. Immer größer wird die Furcht vor Neuem, immer krampfhafter das Festhalten an Bekanntem.
Das Alter ist fürchterlich. Darum schafft es ab! Lasst uns ewig leben. Wird das vielleicht verhindert, so wie ein nichtbenzinbetriebenes Auto verhindert wird? Von einer Lobby? Einer Lobby der Vergänglichkeit? Einem Klub der Kreateure? Gut, wenn man genug Geld hat, kann man sich einfrieren lassen. Hat man weniger Geld, kann man auf die lebenserhaltende Wirkung von Makrobiotik setzen, sich Hodenextrakte injizieren lassen oder auf die verjüngende Wirkung einer Frischzellentherapie setzen.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein, entnehme ich der Wikipedia, diesem jungen Ding, bis ins 20. Jahrhundert also gingen einige Ärzte davon aus, dass das Altern durch eine „Rückbildung der Geschlechtsdrüsen“ verursacht werde. Dies führte in einigen Fällen zu heute abstrus erscheinenden „Therapieansätzen“ wie beispielsweise injizierten Hodenextrakten verschiedener Spezies. Charles-?douard Brown-Séquard arbeitete Ende des 19. Jahrhunderts mit Subkutan-Injektionen von Hoden-Extrakten von Hausmeerschweinchen und Haushund, dem sogenannten Brown-Séquard-Elixier, mit dem er auch sich selbst „verjüngt“ hatte. Serge Voronoff implantierte am 12. Juni 1920 erstmals in das Skrotum eines Patienten in Scheiben geschnittene Hoden eines Schimpansen. Weltweit ging die Zahl dieser Eingriffe in die Tausende. In Österreich arbeitete Eugen Steinach an einer Variante von Voronoffs Transplantationen. Später setzte Voronoff auch Affenovarien (erfolglos) in Frauen ein, um die Menopause zu verhindern. Als sich die von Voronoff versprochenen Wirkungen bei den Patienten nicht einstellten – die kurzzeitig beobachteten Erfolge werden heute im Wesentlichen dem Placebo-Effekt zugesprochen –, geriet seine Transplantationsmethode aus der Mode.
Sehr lange, bis in die Renaissance, glaubte man, die Ausdünstung einer Jungfrau hätte belebende Wirkung, eigene Häuser für den Sunamitismus, wie das Beiliegen von Jungfrauen hieß, gab es da. Und Bücher oder Ideen, die das ewige Leben versprachen, hatten schon immer Konjunktur.
Gut, man kann das Altern schönreden, man kann sagen, dass mit der Zeit aus den Menschen das herausdrängt, was sie wirklich sind. Die Zeit entlarvt und bringt die wahre Identität zum Vorschein – und damit meine ich nicht nur große Ohren und Nasen. Aber wie hässlich muss das sein, wenn die meisten lieber mit entstellten, von Nervengift getöteten Fratzen ihrer selbst herumlaufen als mit ihrem wahren Antlitz? Die Zeit ist unbestechlich, zeigt, wie wir wirklich sind, wie wir gelebt haben. Daher geht von Gesichtern alter Menschen, wenn sie denn mit sich in Einklang sind, eine wunderbare Schönheit aus. Eine Reinheit, die man in unserer Will-haben-Zeit selten sieht, weil die meisten nicht das gelebt haben, was sie hätten leben sollen, sondern stets Angst hatten, etwas nicht zu haben, zu kurz zu kommen. Das Alter ist, könnte man sagen, unbestechlich.
Nur, was brauchen wir die Wahrheit, wenn sie so unbequem ist? Im Spiegel will man sehen, was man seit Jahren kennt. Und wer zu alt ist, ist nicht mehr interessant, fällt aus dem Beziehungs- und Arbeitsmarkt, wird nicht mehr gefördert, hat verloren. Das Leben ist gemein: Da braucht man nach dem Schock der Pubertät ein paar Jahre, bis man sich akzeptiert, kaum ist man halbwegs eins mit sich, muss man sich durch das Leben schlagen. Und sobald man eine Ahnung davon hat, wie das gehen könnte, ist man alt. Daher meine Forderung: Schafft das Alter ab! Die Angst vor Alter und Tod richtet nur Unheil an. Nicht wenige lassen sich von sogenannten Schönheitschirurgen derartig verunstalten, dass ihre Münder den Darmausgängen von Pavianen gleichen, sie Hälse haben wie ein Kabelwerk und von all dem Botox unter ihrer Haut künstlich und tot aussehen, aber sicher nicht begehrenswert. Die einen baden täglich in kaukasischem Kefir, die anderen errichten sich Festungen mit Depots. Es mag schon stimmen, dass die Vergänglichkeit in der Evolution einmal Sinn hatte, dass die Verfeinerung einer Spezies nur mit dem Kreislauf von Tod und Geburt zu bewerkstelligen war, aber heute wird mit dieser Angst vor dem Tod die Menschheit zu Konsum und Religion getrieben. Wie viel mehr Gleichheit wäre doch mit dem ewigen Leben auf der Welt. Jetzt wird es von den Kirchen beansprucht, von den Berühmten. Aber stellen Sie sich vor, jeder hätte Unsterblichkeit. Wie viel Weisheit, Gleichmut, Gelassenheit wäre auf der Welt! Jeder hätte Zeit. Gut, manche meinen, alles würde fahl und schal, es wäre wie ein immerwährendes Gefangensein, ein nie enden wollendes Fernsehprogramm. Oberfläche ohne Ende. Keine Spannung, kein Risiko.
Doch das muss nicht sein. Wenn Eos nicht vergessen hätte, dem Tithonos auch ewige Jugend zu schenken, wäre er nie in der Zündholzschachtel gelandet. Gut, seiner überdrüssig geworden wäre sie auch so. Sie hätten alles ausprobiert, sich gegenseitig und auch alle anderen. Irgendwann hätte sie alles durchgehabt, und dann wäre noch immer Zeit gewesen. Fragt sich nur wofür? Wie? Das wäre ganz schrecklich? Aber nein.
Wer alt ist, ist gescheitert – nicht nur im Sprichwort, in dem man alt aussieht. Alter ist Vergänglichkeit, Ohnmacht und Tod. Nicht wenige haben einen derartigen Stress, jung zu bleiben, dass sie davon krank werden. Altern ist ungesund.
Nun gibt es bereits einen virtuellen Raum, in dem das Alter tatsächlich abgeschafft ist. Oder warum sonst sind soziale Netzwerke wie Facebook so beliebt? Da kann man sich zeigen, wie man einmal gewesen ist, bei günstigem Licht, nach einer Kur: jung und dynamisch, am besten mit einem Sonnenaufgang und dem Meer im Hintergrund. In Millionen Facebook-Profilen kommen Alter und Gebrechlichkeit nicht vor, sind die Menschen jung, dynamisch und unsterblich – Wellness-Zombies der Vitalität. So sieht die Gesellschaft der Unsterblichen aus. Ein Hort substanzieller kluger Gedanken! Wie? Nur witzelnde Oberfläche? Nein, das wird schon noch. Nur Geduld. Aber es geht auch weniger virtuell: Invitro-Befruchtungen haben die biologische Uhr abgeschafft, bald können 90-Jährige gebären. Ist das nicht toll? Nein? Das ist fürchterlich? Aber denken Sie doch an die Gleichberechtigung, an das Ende jeder Torschlusspanik.
Viele möchten alt werden, aber keiner will alt sein. Zuerst hat die Gesellschaft den Tod verbannt, die Familienaufbahrung der Toten abgeschafft, das Ableben mehr und mehr auf ein singuläres Ereignis reduziert, und jetzt geht man mit der Gebrechlichkeit genauso vor. Da klingt – Friede seiner Asche! – Udo Jürgens' bekannter Schlager „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ wie Hohn. Viel eher gilt die angstvoll gefragte Beatles-Zeile „Will you still need me, will you still feed me, when I'm 64?“. Umgekehrt gilt auch, dass zwar alle jung werden wollen, aber niemand jung sein will, denn der tatsächlich junge Mensch hat meistens keine Chance, keine Arbeit, kein Geld. Alle Plätze in der Gesellschaft sind besetzt, weil die Alten nicht nur alles haben, sondern auch noch jung sein wollen. War das nicht schon immer so, oder ist das in unserer Epoche der Ich-Gesellschaften ganz besonders ausgeprägt? Kracht es deshalb im gesellschaftlichen Gefüge, weil wir für Jugend allenfalls ein Gefühl der Käuflichkeit haben und das Alter in keiner Form mehr respektieren? Nicht bei uns und bei anderen schon gar nicht.
Im Mittelalter war es bei Handwerkern so, dass ein Meister eine junge Schönheit zur Frau genommen hat. Ist der Meister dann nach zehn oder 30 Jahren gestorben, hat die Witwe den jungen, attraktiven Gesellen geheiratet, der so zum Meister aufgestiegen ist. Diesmal war sie um einiges älter als ihr Mann. Nach ihrem Tod begann das Spiel von vorn, der Meister nahm sich eine junge hübsche Frau und immer so weiter. Dieses gesellschaftliche Muster hat das Alter anders eingebunden, dafür war für die Liebe nicht viel Platz.
Wir altern unaufhörlich, aber wir wollen und können es nicht akzeptieren. Daher betreiben wir mit einer Legion von Philosophen und Kirchenlehrern einen ganz ungeheuerlichen Aufwand, um das Sterben schönzureden. Nicht einmal in unseren Köpfen lassen wir zu, dass das Alter eben eine Ungeheuerlichkeit ist, eine untergriffige Beleidigung.
Warum gründen wir keine neue Anti- Aging-Bewegung, die das Sterben abschafft? Wäre es nicht schön zu sehen, wie der Tod eine Depression bekommt, weil ihn keiner mehr ernst nimmt? Dann gehörte uns die Ewigkeit! Während ich mich an dieser Methusalem-Gesellschaft erfreue, kommt meine Frau und öffnet das Paket. Es ist nur eine Art Streichholzschachtel. Eine Schachtel für Tithonos?
Nein, ein Schwangerschaftstest! Als ich sie nach ihrer Meinung zum ewigen Leben frage, sieht meine Frau mich seltsam an, zieht die Augenbrauen hoch und sagt: Ewiges Leben? Furchtbar. Der Mensch, er ist doch völlig vertrottelt. So eine nicht enden wollende ewige Dummheit, die immer wieder unter Beweis stellt, wie resistent der Mensch gegen jede Form von konsekutivem Denken ist, wie erfolgreich er jede Lernfähigkeit verweigert, würde man nicht aushalten. Da ist es doch besser, dass das einmal zu Ende ist. Man würde es ja nicht ertragen. Ewiges Leben? Pah! Lieber noch ein Kind.


Franzobel

Geboren 1967 als Stefan Griebl in Vöcklabruck. Studium des Maschinenbaus in Linz. Schriftsteller in Wien. Bachmann-, Schnitzler-, Weyrauch-, Nestroy-Preis. Zuletzt bei Zsolnay: die Romane „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“ und „Wiener Wunder“.

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