Pause, 30 Jahre lang

Der Kampf um die Hainburger Au: Vor 30 Jahren hat ein Bundeskanzler den Weihnachtsfrieden verkündet und zu einer Nachdenkpause für die Donauauen eingeladen. Was seither in Sachen Umweltschutz geschah. Und noch immer nicht geschieht.

Das Jubiläum war heuer schon des Öfteren zu beschreiben, kritisch von den einen, jubelnd von den anderen: In eisiger Kälte haben im Dezember 1984 jedenfalls Tausende verhindert, dass der (heutige) Nationalpark Donauauen zu einer Natur aus zweiter Hand, zur Randzone eines weiteren Wasserkraftwerks an der Donau wird. Nach dem ersten Debakel der Regierung sechs Jahre zuvor – die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks in Zwentendorf war 1978 mit hauchdünner Mehrheit abgelehnt worden – nun also die zweite energiepolitische Schlappe fürs Establishment, das geglaubt hat, ein Großprojekt durchziehen zu können. Einfach so; zack, zack.
Dieser Protest, so massiv und so kurz vor Weihnachten, wollte Fred Sinowatz gar nicht ins Konzept passen; der SP-Politiker, der gute eineinhalb Jahre zuvor die Kanzlerschaft nicht ganz freiwillig von Bruno Kreisky übernommen hatte, verkündete einen Weihnachtsfrieden und lud zu einer gemeinsamen Nachdenkpause ein. Was als Geste der Versöhnung verstanden werden konnte, wurde zum Programm. Für die Energie- und Klimapolitik gilt bis auf Weiteres: Die Pausentaste bleibt gedrückt.
Freilich, viel wurde seither über Umweltpolitik geredet, schon etwas weniger über die Energiepolitik, aber Konzeptives, Wirksames ist kaum geschehen. Das ökologische Grundrauschen hat sich verstärkt, hat sich immer wieder zu einem Crescendo verdichtet, hat aber an der Melodie nichts geändert. Und wer genau hinhört, der wartet noch immer auf das leise Klicken, das verkündet: Die Nachdenkpause ist zu Ende.
Ja, geht das überhaupt: „30 Jahre Nachdenkpause“? Bei diesem Thema? Nach diesen 30 Jahren?
Geht schon, wenn die Pause nicht einfach Pause ist, sondern eine verdächtig geschäftige Pause: Tausende sind auf die Straßen gegangen, Gesetze ohne Ende sind diskutiert, beschlossen, wieder geändert worden. Unendlich lange Diskussionen sind bis zur Ermattung geführt, bei zahllosen Umweltkonferenzen „die Uhren angehalten“ (wie erst vor Kurzem in Lima), schließlich Preise ausgelobt und vergeben worden. Die Umwelt, das Klima sind ein Thema. Mehr nicht. Nichts hat bewirkt, dass jene grundsätzlichen Änderungen eingeleitet worden wären, die für eine erfolgreiche Klimapolitik, eine gute Umweltpolitik nötig wären; nichts hat den Weg geebnet, dass wir uns von der Randzone ins Zentrum hätten durchschlagen können. Zur Play-Taste.
„Zack, zack“ in der Klimapolitik muss warten, eh erst seit 30 Jahren. Damals, 1984, sind die Besetzer der Auen nämlich nicht nur angetreten, um die Auenlandschaft östlich von Wien vor dem Kahlschlag zu retten, sondern sie sind auch für Nachhaltigkeit im besten Sinne eingetreten: Nur wenn es gelingt, den Energieverbrauch deutlich zu verringern, dann kann auch die Umweltbelastung geringer werden, so die These von damals wie von heute. Nachhaltig eben.
Geschehen ist das nicht.
Warum? Auf der Suche nach einer Antwort findet sich im Schrank ganz hinten wertvolle Hilfe. Da stößt man etwa auf „Energie 2030 – Der sanfte Weg“, eine Studie aus dem Jahr 1984, in der die Möglichkeiten aufgezeigt werden, die der Politik schon damals zur Verfügung standen (und heute stehen). Die Arbeit, herausgegeben von der „Österreichischen Gesellschaft für Ökologie“, wollte aufzeigen, wie bei gleichbleibendem Komfort der Verbrauch von Energie deutlich verringert werden könnte. Mehrmals in dem 89 Seiten umfassenden Papier wird betont, dass es sich um keine Prognose handelt, sondern lediglich um das Aufzeigen von Möglichkeiten, die etwa darin münden können, dass der Energiekonsum um mehr als ein Viertel geringer wird. Um damit die Umweltbelastung insgesamt, speziell das Problem mit dem Klima zu verkleinern und die Wirtschaftlichkeit zu vergrößern. Notwendig dazu wäre nicht nur ein Bündel von Maßnahmen, sondern vor allem der politische Wille, eine Energiepolitik zu entwickeln, sie konsensfähig zu machen und dann auch umzusetzen. Blöd halt, dass dieser Denkanstoß gerade vor einer Nachdenkpause gekommen ist.
Zu deren Beginn ist dann erst einmal Tauwetter über die Donauauen gekommen, das Kraftwerksprojekt wurde verlässlich auf die lange Bank geschoben. Einige hatten die Zeichen der Zeit nicht richtig gedeutet, glaubten, Morgenluft zu wittern, und nahmen noch einmal Anlauf, das AKW Zwentendorf einzuschalten. Wir wissen, auch dieser Anlauf ist im Nirgendwo verpufft.
Richtig losgegangen ist es dann 1988 – Damals haben einander Experten, Beamte und Wissenschaftler in Toronto getroffen, um Maßnahmen gegen die zunehmende Schadstoffbelastung und deren Folgen auf das Klima zu entwickeln. Ab sofort war die Vokabel „Treibhauseffekt“ in aller Munde, und die Klimaänderung sollte zum beherrschenden Öko-Thema werden.
Dieser natürlich vorkommende Treibhauseffekt wird durch die zunehmende Konzentration von Kohlendioxid, Methan und anderen Treibhausgase verstärkt und bewirkt durch die Änderung der Atmosphärenchemie, dass die Abstrahlung der Sonnenenergie ins All geringer wird. Dadurch, so der Toronto-Konsens, steigen die durchschnittlichen Temperaturen, wodurch Klimazonen und Vegetation durcheinander geraten. In den Jahrzehnten seither sind sehr viele Details, die 1988 gänzlich oder weitgehend unerforscht waren, beinahe zu Allgemeingut geworden; klar war aber schon damals die Grundaussage – und dass die Schlüsselrolle dabei dem Energieverbrauch zukommt, dass es hier viele Schrauben gibt, an denen man drehen kann. Zack, zack.
Drehen könnte. Denn gedreht wurde vorerst nicht. Aber angekündigt: Als knapp eineinhalb Jahre nach dem Toronto-Meeting im holländischen Noordwijk Umweltminister aus 67 Ländern tagten, waren sie sich einig: Es müssen drastische Maßnahmen her, um der Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Österreich ist da in vorderster Reihe gestanden und ist in dieser Phase dadurch aufgefallen, sich als Vorreiter in Sachen Umweltpolitik positionieren zu wollen. Also bedurfte es auch nicht viel Aufhebens, die Forderung des Wissenschaftler-Meetings in Toronto aufzugreifen: „Ein Viertel weniger Kohlendioxid-Ausstoß bis 2005!“
Kaum Widerrede auch im Nationalrat, lange Zeit sollte dieses „Toronto-Ziel“ unantastbar bleiben. Es lag ja auch in weiter Ferne. Die breite Darstellung der möglichen Klimaszenarien haben die lästigen Fragen übertönt, wie so ambitionierte Ziele denn erreicht werden können. Die Pause wurde geschäftiger, die Politik beauftragte Wissenschaftler, eine CO2-Kommission zu bilden.
Die hat sich schnell formiert und in wenigen Monaten das Wissen der Zeit zu dem Thema in einer kleinen, silbernen Broschüre zusammengetragen. Brav sind in dem Bändchen auch Maßnahmen aufgelistet, wie der menschliche Einfluss auf das Klima gedrosselt werden könnte. Die Studie übrigens ist kurz vor der als „Erdgipfel“ gehypten Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 fertig geworden; das richtige Gepäck also, um sich wieder einmal als Umweltvorreiter präsentieren zu können.
Irgendwann hat die internationale Umweltpolitik begonnen sich zu verselbstständigen und mit verbindlichen Vereinbarungen geliebäugelt; nicht nur für das Kohlendioxid, sondern auch für andere, nicht minder bedeutende Treibhausgase. Es wurde ernst. Österreichs Umweltminister blieb locker, namens des frischgebackenen Mitglieds der Europäischen Gemeinschaft in der Tradition der ersehnten Vorreiterrolle und verkündete gleich lauthals, in der Lastenaufteilung innerhalb der EG eines der ambitioniertesten Ziele zu übernehmen. Verpflichtend. Minus 25 Prozent auf alle Treibhausgase, zu erreichen in weniger als 15 Jahren. Insbesondere die Industrie schäumte, es bedurfte einiger offizieller, wohl auch mehrerer inoffizieller Termine, und Österreichs Verpflichtung war plötzlich auf 13 Prozent fast halbiert.
Jahre später werden genau diesem Minister, der mittlerweile allerdings das Wirtschaftsressort übernommen hat, auch diese 13 Prozent noch zu viel sein. Verpflichtend wurde dies mit einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der 1997 in Kyoto unterschrieben wurde. Rechtzeitig davor ist der CO2-Kommission das nächste Expertengremium – der Klimabeirat – gefolgt und beauftragt worden, einen Maßnahmenkatalog zu entwerfen. Das Rad musste nicht neu erfunden werden, die neue Studie konnte auf Bekanntem aufbauen. Wehe, wer der Politik Säumigkeit vorwarf, sie wartete ja bloß auf die wissenschaftlichen Studien. Leider, leider, umgesetzt konnte deshalb vorerst noch nichts werden, und im Übrigen gab es dann ja auch noch andere Prioritäten.
30 Jahre nach der Besetzung der Hainburger Au redet niemand mehr von einem Wasserkraftwerk in diesem Donau-Abschnitt. Und es redet auch niemand mehr über eine längst vergessen geglaubte Studie aus dem Jahr 1984, die damals zu einem kurzen, aber dafür heftigen politischen Schlagabtausch zwischen Rot und Schwarz führte. Statt eine durchdachte Energiepolitik zu entwickeln (und damit eine entsprechende Klima- und wohl auch Umweltpolitik), haben sich Politiker und Beamte mit Flickwerk begnügt, das dem Reality-Check nicht standhalten kann. Ein paar Zahlen verdeutlichen, dass das Potenzial des Möglichen so gut wie gar nicht ausgeschöpft wurde.
Am stärksten sticht dabei der Verkehrssektor ins Auge: Hier hat sich die Belastung durch Treibhausgase mehr als verdoppelt – sie ist von 170.456 Terajoule vor 30 Jahren auf 193.000 im Bezugsjahr für das „Toronto-Ziel“, 1988, gestiegen und lag im Vorjahr bei 370.258 Terajoule. Mitte der 1980er-Jahre waren in Österreich gerade einmal 2,5 Millionen PKW (bei insgesamt 3,8 Millionen Kraftfahrzeugen) zugelassen, Ende November 2014 gab es in Österreich schon knapp 4,7 Millionen PKW (bei insgesamt 6,4 Millionen Kraftfahrzeugen). Die Politik hat es verabsäumt, verkehrspolitische Weichen in eine klimaschonende Richtung zu stellen. Das hat auch zur Forcierung des Kaufs von Diesel-PKWs wie kaum in einem anderen Land geführt – obwohl in der Ökobilanz Dieselmotoren ökologisch keineswegs besser (manche meinen sogar, deutlich schlechter) abschneiden als Ottomotoren.
Auch für Industrie und Gewerbe sind die entscheidenden Anreize durch die Wirtschaftspolitik ausgeblieben: Der Energiehunger ist in den vergangenen drei Jahrzehnten um zwei Drittel gewachsen, obwohl Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch immerhin entkoppelt werden konnten.
Schön, in Toronto dabei gewesen zu sein, nachhaltig mögen auch die Eindrücke aus Kyoto, der alten japanischen Kaiserstadt, für die Konferenzteilnehmer gewesen sein. Das tut der ernüchternden Realität keinen Abbruch: Die seinerzeit lautstark verkündeten und nach diesen Städten benannten Ziele sind in Österreich verfehlt worden.
Verfehlt wurden diese Ziele nicht ein bisschen, sondern gründlich. Die Bremser haben ganze Arbeit geleistet. Die diesem Land so oft zugeschriebene Gemütlichkeit ist, insbesondere in der Politik, unerbittlich. „Zack, zack“ hat keine Chance. Die Pausentaste bleibt gedrückt. ■

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