Blatters Geheimnis

„Expedition Europa“: zum größten Schweizer.

Kaum ein Mann fasziniert mich so wie Sepp Blatter, der Präsident des Weltfußballverbandes Fifa. Der letzte große Pate unserer Zeit hat mehr Korruptionsaffären überstanden, als ich in einer Zeitungsspalte aufzählen könnte, und doch will er im Alter von 79 Jahren wiedergewählt werden, in alter Frische. Die Moralapostel aus dem reichen Europa stellen sich zwar gegen den Schweizer, doch ist die Welt reich an stimmberechtigten Karibikinseln.

Seit Jahren erkundige ich mich nach Blatters Geheimnis. Ist es sein Opportunismus? Seine Eloquenz, trainiert in deutschen und französischen Schulen eines zweisprachigen Kantons? Sein Humor, den er schon als junger „Tafelmajor“ bei Schützenfesten zu Geld machte? Folgende Antwort stiftete mich zu einer Reise an: „Er ist Walliser. Die haben einen harten Schädel.“

Ich fuhr über hochalpine Pässe ins Wallis. Zunächst pittoreske Walserdörfer aus schwarzem Holz. Im breiter werdenden Tal der Rhone unten wurde die Romantik unterbrochen: Blatters Heimatort Visp, ausgesprochen „Wischp“, nahm sichmit Chemiewerk, Riesenbahnhof und dicht gestaffelten Wohnblöcken wie eine Pariser Banlieue aus.

Ich ging als Erstes in die albanische Moschee, hinter den Lidl. 300 der 7400 Visper sind Albaner, alle aus dem mazedonischen Tetovo, ihr albanischer FC Visp wurde von Godfather himself gewürdigt. An jenem Islam war nichts Erschreckendes: Der albanische Imam, 41, war auch nach sieben Jahren Tunesien-Studium glatt rasiert, und wir saßen umringt von herzlichen albanischen Bauarbeitern in der krachen gegangenen Schreinerei. Die Älteren sprachen besser Italienisch als Deutsch, wegen der Italiener am Bau. Als ich nach Blatter fragte, schaltete sich sogar der stille somalische Kellner ein: „Blatter? Kommen jedes Jahr!“ Auch der Imam lobte den Fifa-Präsidenten: „Gut, er hat nicht auf dem Bau gearbeitet, immer nur mit Geld. Ich finde ihn aber gut, weil er keine Komplexe hat. Er redet mit jedem.“

Gibt es im Wallis Korruption?

Von den Albanern instruiert, fand ich Blatters Stadthaus spielend. Ein dreistöckiges Eckhaus, nüchtern, weiß, modern. Ich setzte mich in die angejahrte Bar gegenüber. Die Wirtin klagte, dass ihr Umsatz nach der Messe vor 20 Jahren noch 700 Franken betrug, jetzt nur noch 50. „Blatter kommt praktisch jeden Monat“, erzählte die charmante Plaudertasche. „Er ist nicht geizig, eine Runde zahlt er immer. Und weil er alle kennt, manchmal eine Generalrunde.“ Sie sprach den Vorwurf des Stimmenkaufs an: „Ich glaube nicht, dass er alle gekauft hat. Aus den Gegnern spricht die Missgunst.“ Und sein Geheimnis? „Er redet mit jedem, er trägt die Nase nicht hoch.“

Am nächsten Morgen strebte ich durchidyllische Weinberge dem Raspille-Bach zu, der deutsch-französischen Sprachgrenze im Wallis. Im Dorfcafé von Salgesch hatte ich Glück: Hinter einem Häferl billigen Milchkaffees saß ein 74-Jähriger, der mit Sepp Blatter in derselben Mannschaft Amateurfußball gespielt hatte. Ich fragte den Walliser: „Gibt es im Wallis Korruption?“ Er verneinte, „das kann man sich nicht erlauben“, und begann auf Italiener und Jugos zu schimpfen. Neben Blatters bekannten Stärken zählte er auf, dass sich dieser früh die Sprachen der italienischen und spanischen Gastarbeiter angeeignet habe, „er hat alles als Chance genutzt“. Komischerweise unterstrich der Pensionist seine Lobreden häufig mit einer Geste aus Zeigefinger und Daumen – Geld. „Hat Blatter auch Tore geschossen?“ – „Nicht dass ich wüsste.“ Der alte Walliser setzte noch eine Geste, Handfläche und Daumen ahmten einen plappernden Mund nach. „Wollen Sie sagen, dass er mit jedem geredet hat?“ – „Oh ja!“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)

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