Alles Ramsch!

Menschen in Amerika
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Wir alle werden eines Tages verramscht sein, und dieser Tag ist nahe. So also machen wir weiter. Über Schreibramsch, Weltramsch – und ein Quäntchen Trost namens Geist.

In Nicholson Bakers wunderbarem Essayband „The Way the World Works“ – er erschien kürzlich auf Deutsch unter dem Titel „So geht's“ – lesen wir: „Jede Geschichte verdient fünf Jahre. Nicht zehn – nach zehn Jahren wird die Geschichte schal. Aber fünf.“ Ganz im Gegensatz dazu versicherte mir einst ein – mittlerweile vergessener – Autor, dessen Werk von der Kritik damals „zeitlos“ genannt wurde, dass alle „Kollegen“, die behaupteten, nicht für die Ewigkeit zu schreiben, auf die eine oder andere Art Lügner seien.

Ohnehin wäre es unverzeihlich – so der kurzfristig Zeitlose –, wenn ein Schriftsteller, der zu Großem begabt sei, aus purer Lässigkeit oder Ignoranz sich mit weniger als der Ewigkeit zufriedengebe; wenn er sein Talent vergeude, um beispielsweise als journalistischer Tagelöhner seine Brötchen zu verdienen.

Ich kannte diesen Sermon. Trotz seiner offensichtlichen Absurdität schien er mir etwas für sich zu haben, falls es um klassische Schreibgiganten ging, aberauch um schroff aufgereckte, hochfliegende Moderne wie Vladimir Nabokov oder Elias Canetti, der sich selbst als „Todfeind des Todes“ stilisiert hatte. Nichts ist, wie das geflügelte Wort sagt, ewig, nicht wahr? Der Trick des Schreibens für die Ewigkeit bestand ja wohl darin, dass sich der Autor in seinen bombastischen Momenten vorstellte, er werde sich in das Gedächtnis der Menschheit „einschreiben“. Der Rest – ein frommer Wunsch: Man möge für die Menschheit als Leserschaft so werden wie die Götter, eben unsterblich.


Ich muss gestehen,
im Lauf der Jahrzehnte, in denen ich mich schreibend betätige, keineswegs frei von der Verlockung gewesen zu sein, „für die Ewigkeit zu schreiben“. Nicht, dass ich ernsthaft an diese Eventualität – besser: Nichteventualität – geglaubt hätte. Und doch: Die Vorstellung, Jahr um Jahr 200, 300 Seiten zu produzieren, die schließlich im Druck nicht für die Ewigkeit aufbewahrt, sondern schon bald aus dem Gedächtnis der „interessierten“ Öffentlichkeit gelöscht seinwürden – diese Vorstellung konnte mein emsiges Zweifingerspiel auf den Tasten nicht stoppen. Hier herrschte offenbar ein Zwang, gegen den ich mich einzig um den Preis einerinneren Verödung hätte auflehnen können; gleichzeitig tauchte dieser eigentümliche Zwang allen Schaffenseifer in ein diffuses Licht der Vergeblichkeit.


Vergeblichkeitssorge und Ewigkeitswollen:In seinem sogenannten Denktagebuch „Zeilen und Tage“ (2012) notiert Peter Sloterdijk penibel, wie viele Monate sein Buch „Du musst dein Leben ändern“ benötigte, um soundsoviele Auflagen zu erreichen. Neben persönlicher Eitelkeit obwaltet hier dieFurcht vor dem schaffensbedrohlichen Verlust der Publikumsgunst und all den damit einhergehenden Plagen: Honorarschwund, Statusschwund, womöglich Verlagswechsel „nach unten“, endlich Verramschung. Das gilt erst recht für alle Autoren, die, aus welchen Gründen auch immer, nichts Bestsellerverdächtiges zustande bringen. Da sie sich oft miteiner bescheidenen Auflage ihrer Werke begnügen müssen, die keinen Verlag auf Dauer zufriedenstellt (ausgenommen, es winkt eine üppige Subvention),erscheint ihnen eine Publikations- und Lesekultur, die auf raschen Verschleiß angelegt ist, naturgemäß als Unkultur. Freilich hat das Abstoßen von Büchern zuSchleuderpreisen, ihre Platzierung in den Ramschkisten von Billigbuchhandlungen –wobei die Kisten zunehmend elektronischer Art sind – einen schlagenden Vorteil für das geldknappe oder kaufwütige Publikum. Darüber hinaus kann der Ramsch, soweit es den Status des Autors betrifft, alles Mögliche signalisieren. Erst kürzlich erwarb ich billigst zwei Dutzend Krimis der unsterblichen Agatha Christie, praktisch in neuem Zustand, weil der Verlag gerade dabei ist, eine neue Werkausgabe vorzubereiten. Das ist die Longseller-Perspektive, die von den lebenden Autoren nicht weniger herbeigesehnt wird als von allfälligen Rechtsnachfolgern. Ohnehin kalkulieren heute Bestsellerautoren im Ultrapopulärsektor (das ist jener Sektor, dessen Produkte in meiner Jugend als „Schund“ etikettiert und von uns halbwüchsigen Leseratten atemlos verschlungen wurde) gezielt mit dem Verramschen ihrer Hard- und Softcover-Ausgaben, von den Taschenbüchern ganz zu schweigen. Der Ramsch wurde ein eigenes Verkaufskonzept, das der Reputation vonVerfassern „brennend aktueller“ und dafür meist kurzlebiger Pageturner keineswegs abträglich ist.

Für einen Autor meiner Reichweite hingegen hat das Verramschtwerden eine durchwegs bedrohliche Funktion. Es erinnert ihn daran, dass dasjenige, was er schreibt, offenbar nicht „relevant“ genug ist, um ihm, der immer strebend sich bemüht, ein literarisches Leben zu sichern, von einem Nachleben gar nicht zu reden. (Was die Honorarfrage betrifft, bedarf sie kaum der Erwähnung; es handelt sich um ein erfreuliches Körberlgeld für ausgedehntere Familienurlaube und dergleichen luxuriöse Unternehmungen.)

Und gewiss ist das Problem des Überdauerns für jemanden, der sich mit – wie ihm scheint – gewichtigen, ja existenziellen Fragen befasst, nicht bloß eine Angelegenheit persönlicher Eitelkeit. Der Autor sieht seine Rechtfertigung für das, was er tagaus, tagein tut, während er die Tasten seinesSchreibgeräts malträtiert, in dem Wert verankert, der seinen Schriften innewohnt. Ich möchte das nicht weniger pathetisch ausdrücken, denn es ist dieser innere Wert, der sich jeder Definition entzieht, obwohl er doch dem Geschriebenen erst jenes allgemeine Gewicht verleiht, wodurch der Aufwand des Schreibens nicht als gänzlich nutzlose Verschwendung von Lebenszeit oder, im schlimmeren Fall, als Ausdruck einer egomanischen Grille erscheint.


In einer meiner dunkelsten Stunden habe ich einen bedauernswerten Freund und Kollegen am Telefon regelrecht festgenagelt mit der Frage: Sag mir, schreibe ich „über meine Verhältnisse“? Denn in jener Stunde kam ich mir vor wie einer, der schreibend „über seine Verhältnisse“ lebt, so lange, bis er allen Kredit,den ihm die Umwelt zu gewähren willens ist, aufgebraucht hat. Dann lassen sich all die kleinen Lügen, mit denen man die ganze Zeit über lebte, nicht mehr glaubhaft wiederholen; und die große Denkergeste, mit der man die anderen zu beeindrucken suchte (und teilweise auch beeindruckte), erscheint jedermann plötzlich als das, was sie ist: intellektuelle Hochstapelei.

Autoren reden nur ungern über ihre Stunden der Finsternis. Denn keineswegs immer drückt sich in ihnen bloß eine vorübergehende Niedergeschlagenheit aus, die durch die Qualität dessen, was für alle sichtbar auf dem gedruckten Papier steht, Lügen gestraft wird. Keine innere Stimme, keine Aufhellung des Gemüts kann den Zweifel völlig zerstören. Auch die besänftigenden Worte von Freunden – der, den ich am Telefon festnagelte, besaß ohnehin nicht die Gabe, mich vom Gegenteil meines Selbstzweifels zu überzeugen – ersetzen nie und nimmer die anerkennenden Worte jener, die einem gänzlich fremd sind und daher zu keinem Beistand in der seelischen Not verpflichtet.


Man kann es drehen und wenden,
wie man will: Am wirksamsten ist der äußere Erfolg, ausgedrückt in Verkaufszahlen und breiter öffentlicher Anerkennung, und gerade diese Heilmittel bleiben den meisten Autoren, denen es um die Qualität, Tiefsinnigkeit und Originalität ihrer Werke geht, mehr oder weniger versagt. Sie werden also nie genau wissen, ob das, was sie schreiben, nicht doch seinem Wesen nach Ramsch ist – die Produktion sozusagen „intrinsischen“ Ramsches, dem gegenüber jede Verramschung, die durch äußere, meist ökonomische Faktoren bedingt ist, das vergleichsweise kleinere Übel darstellt. Es wurde ja, so mag der verramschte Autor in einer elitären Schutzhaltung behaupten, schon manche Perle vor die Säue geworfen! Und damit hätte er gewiss nicht unrecht.

Damit komme ich, in einer Schleife, zu meinem Angelpunkt zurück: Alles, was geschrieben steht, wird bald vergessen worden sein. Es ist wie mit dem Sandkorn in der Wüste, das verweht wird. Es mag sich dabei – vom Standpunkt einer jeden Sandkornästhetik aus – um das schönste Sandkorn handeln, ja, um das vollkommenste schlechthin, über das hinaus kein vollkommeneres denkbar ist. Und doch bleibt es Teil der Wüste, und der erste Windhauch wird es verwehen.

Ferner mag es sein, dass sich unter den Myriaden Sandkörnern rasch ein Mythosherausbildet, der von der notwendigen Existenz des allervollkommensten Sandkorns handelt. Trotzdem ist dieses göttliche Sandkorn im unendlichen Wüstensand verloren; und falls es im Gedächtnis weiterexistiert, so schließlich nur als blasser Schemen, quasi als die Erinnerung an eine Erinnerung. Am Ende wird sich in der Wüste hartnäckig das Gerücht vom „vollkommensten Sandkorn“ halten, aber es wird das Gerücht von etwas sein, an das sich weder einzelne Sandkörner noch alle gemeinsam, in einer kollektiven anamnestischen Anstrengung, zu erinnern vermögen.

Mir scheint die Parabel vom vollkommensten Sandkorn angesichts der geheimen Sehnsucht des Autors hilfreich. Diese Sehnsucht richtet sich darauf, das Werk möge die Zeit überdauern: Es möge – gewiss ein nebulöser Gedanke am Rande des Absurden – unsterblich sein. Was mich betrifft, so ist eine Anzahl von Büchern vergriffen. Das bedeutet nicht, sie wären vollends vergessen. Allerdings bedeutet es, dass der unaufhaltsame Abstiegins Vergessen begonnen hat. Die Wüste, das heißt: die Welt, fordert ihren Tribut. Sollte es mir daher ein Trost sein, dass die Welt ihren Tribut auch fordern würde, falls ich – grandioser Gedanke – ein neuer Homer oder Goethe wäre, damit beschäftigt, das denkbar vollkommenste Werk zu schaffen?

Eines Tages – triste, ein wenig revanchistische Vorstellung! – werden sogar Homer und Goethe vergessen sein. Kein Mensch wird mehr da sein, um ihre Werke zu entziffern, und schließlich wird alles im Feuersturm enden? Habe ich mich zu weit von meinem Thema entfernt, dem Ramsch, dem Schreibramsch, dem ich seit Jahrzehnten mit meinem ganzen Schreiberherzen diene? Nein, ich denke nicht. Denn stets hat mich der Schatten des Zweifels begleitet, der da lautet: Ist das, was du Jahr um Jahr zu Papier oder auf die Festplatte deines PC bringst, nicht letzten Endes eine Nichtigkeit in statu nascendi, die vergessen sein wird, bevor du selber es bist?

Ich gehöre nicht zu begnadeten Autoren, die sich – so meine Fantasie – als wohlhabende Privatiers auf einer karibischen Insel oder sonst einem paradiesischen Ort mit dem Schreiben von Geschichten vergnügen, um für den Fall, dass gerade keine Liebes- oder anderen Lebensabenteuer anstehen, wenigstens geistig fit zu bleiben. Solch einem Autor muss es lächerlich überambitioniert vorkommen, für die Ewigkeit schreibenzu wollen. „Warum schreiben Sie?“ „Ach,wissen Sie, auf der Party von X traf ich einen alten Schulfreund Y, der, erfolgreicher Verleger, von einem gemeinsamen altenBekannten Z erfahren hatte, dass ich zu meinemZeitvertreib halt dies und das kritzle...“ Dabei denke ich an Autoren – sie sind selten genug –, deren Werke gerade deshalb entzücken, weil in ihnen ein unverkrampftes Vergnügen spürbar bleibt. Der Autor möchte in erster Linie sich selbst unterhalten, und er hat natürlich absolut nichts dagegen, wenn auch das Publikum sein „Gekritzel“ unterhaltsam findet.

Sub specie aeternitatis, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, ist alles Schreiben Ramsch. Es ist deshalb Ramsch, weil die Art, wie die Welt nun einmal funktioniert, unerbittlich dazu führt, dass alle Bibliotheken eines Tages „verramscht“ sind, gewissermaßen Weltramsch: Sie werden, wie alles andere auch, zu Staub geworden sein.


Asche zu Asche,
Staub zu Staub. Das, dieses bleiche, bleierne, immer gleiche Memento mori hinter allen Dingen, bekümmert den Autor nicht im Geringsten, der sich mit Schreiben „bloß die Zeit vertreibt“. Er vertreibt sich ja gerade deshalb die Zeit, damit ihm während der kurzen Spanne seines Daseins (und ein Leben nach dem Tod kümmert ihn ebenfalls wenig) keine allzu tiefe Langeweile die gute Laune verdirbt.

Dazu ist es durchaus erforderlich, dass man den Dingen des Alltags ihr kleines Geheimnis belässt, gerade so weit, dass ihre Banalität ebenso wenig erdrückend wirkt wie ihr Mysterium. Und dies gilt, mutatis mutandis, auch für den Gevatter Tod. Nicholson Baker, Jahrgang 1957, zeigt uns, wie's geht. „The Way the World Works“ ist das Buch des Lebens im Zustand des Beinahe-Wissens, eines Wissens, welches Luft lässt zumDurchatmen, weil da immer noch etwas bleibt, worauf man neugierig sein und hoffen darf: „Und immer mal wieder, an einem perfekten Vormittag wie diesem jetzt, hat man die glückselige Illusion, dass alles, was man weiß, sich fügt.“

Nicht zuletzt unser Wissen darüber, dass alles zu Ramsch wird und werden muss, bedarf zugleich der glücklichen Illusion, dass es „sich fügt“. Dass alles sich irgendwie in ein harmonisches Ganzes füge, worin nichts umsonst gewesen sein wird – das ist ein schöner, ein ultimativ tröstlicher Gedanke, er darf bloß nicht zu deutlich in den Vordergrund treten. Bloß nicht!

„Bloß nicht!“ – so wollte ich ursprünglich einkleines eigenes Buch nennen, das gerade erscheint. Ich entschied mich dann aber, da es sich um einen halb metaphysischen Essay handelt, für einen Titel, der treffender ist: „Ein Quäntchen Trost“. Dabei deutet der Untertitel – „Nachträge zur Glückseligkeit“ – mehr in Richtung des Boethius und seiner „Consolatio philosophiae“ als in diejenige des James Bond. Boethius, etwa 480 bis 526 n. Chr., hoher Beamter unter dem Ostgotenkönig Theoderich und einflussreicher Denker, war aus der Gnade des Herrschers gefallen und musste mit seiner Hinrichtung rechnen. In dieser Zeit schrieb er den „Trost der Philosophie“. Mit ihm wollte er sich und seine Leser darüber belehren, dass der höchstmögliche Trost darin liege, volle Einsicht in das Wesen der wahren Glückseligkeit zu erhalten.

Diese höchstmögliche Einsicht wäre natürlich identisch mit der „Schau“ des Göttlichen. Indem nun unser Geist, angeleitet durch die Muse der Philosophie, klar und deutlich erfasst, dass er selbst Teil des Ewig-Göttlichen ist, kann ihm, flapsig gesprochen, das Prinzip der Weltverramschung nichts anhaben. Denn dieses „Prinzip“, das jeden Trost zunichtemacht, gehört der niederen Welt an, nämlich unserer endlichen, materiellen, zeitlich befristeten: der Welt, die, laut Boethius, aus nichts als Illusionen besteht, die uns letzten Endes unglücklich machen.


Was ich gegen Boethius – und die Schulphilosophie – vorbringen möchte, ist Folgendes: Trost liegt nicht darin, das Geheimnisvolle, welches die Welt und unser Leben umspielt, es durchdringt und begründet, bis an den Punkt aufzuhellen, wobloß noch die puren, kalten Fakten übrig bleiben,die uns anstarren wie tote Kiesel (falls Kiesel tot sind und starren können).

Es sollte nicht, im Namen schonungsloser Aufklärung, das Anliegen der Philosophie sein, eine„Überhelle“ zu befördern, die uns am Ende bei allem, was wir tun, an das Prinzip der Weltverramschung kettet. Stattdessen scheint es mir angesichts unserer sterblichen Lage im unsterblichen Ganzen – der „Welt“ – angebracht, einem Prinzip zu folgen, das akkurat Ian Fleming, der Erfinder des Doppelnullagenten, als „The Law of the Quantum of Solace“ bezeichnet.

Philosophisch gewendet bedeutet dieses „Gesetz“, dass nur jener Blick der Welt angemessen ist, der uns nicht als Überernüchterte zurücklässt. Erkenntnis, die kein Quäntchen Trost mit sich führt, bleibt dem menschlichen Geist äußerlich. Denn der Geist ist dem Sein zuinnerst verbunden: wahlverwandt. So gesehen ist die wertfreie Erkenntnis der Wissenschaft weder die geistvollste noch die tiefste. Wäre die Welt exklusiv die der Wissenschaft, namentlich der Hard Sciences, dann wäre alles Leben trostlos.

Wie also könnte für den Autor ein Trost darin liegen, dass er schon zu Lebzeiten beginnt, ein Vergessener zu sein?

Darauf gibt es ein tröstliches Antwortquäntchen nur, wenn man beim Schreiben nebenher, gleichsam aus den Augenwinkeln, dessen gewahr bleibt, dass auch im Ramsch und allem, was daranhängt – inall der vergänglichen Anstrengung des unvollkommenen Menschen –, ein Körnchen Transzendenz steckt. Auch der Ramsch ist Teil der „glücklichen Illusion“, dass alles, was man weiß, „sich fügt“. Diese Illusion, die freilich keine gewöhnliche ist, entspringt dem Unvergänglichen, für das wir im Deutschen ein typisch deutsches Wort haben – Geist.

Wenn wir uns durch unsere verramschten Herzenserzeugnisse hindurch sehen, dann sollten wir mitbedenken, dass der Ramsch, außer einer Bedrängnis der Verschleißkultur, auch ein Symbol ist: Wir alle werden eines Tages „verramscht“ sein, und dieser Tag ist nahe. Solange es jedoch dauert, sollten wir als Schreibende uns nicht gegen den Geist versündigen. Wir sollten uns nicht der Trostlosigkeit des Ramsches – das heißt: des Bald-schon-vergessen-worden-Seins – überlassen. Unser geheimer Horizont sei das unsterbliche Werk! Damit achten wir eine Perspektive, die von religiösen Zeiten als diejenige der Schöpfung gedacht wurde. Indem wir schreiben, verkörpern wir das Geistige der Welt, und dies setzt voraus, dass der Grund der Dinge nicht geistlos ist.


So also mache ich weiter bei dem Gedanken, den zu denken ich niemals fertig werde: dass nämlich das in der Wüste unauffindbar verwehte Staubkorn Teil eines vom Geist erfüllten Ganzen ist, einer „Schöpfung“; und dass mein Schreiben, obwohl es sich bereits im Entstehen dem Verramschen zuneigt, ein Quäntchen Trost birgt: den Trost, mir eine Sichtweise der Welt zu er-schreiben, worin sich noch im Vergessenwerden etwas realisiert, was der alles verschlingenden Zeit widersteht.

Oder um es, augenzwinkernd tiefsinnig, mit Baker zu sagen: „Und so dachte ich wieder: Manchmal sieht alles ganz einfach aus. Heute werde ich einen Teil des Rasens mähen. Ich mähe den Rasen gern – ich kenne ihn gut, und beim Mähen singe ich dann leicht obszöne Lieder und denke darüber nach, wie Gras aussieht.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)

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