Im Plattenbau der Liebe

„Expedition Europa“: der Partisan, 90, zwei Stock über mir und die Gunst seiner Enkelin.

Da ich ohnehin an nichts anderes denke, erzähle ich halt von meinem Ringen mit einem 90-jährigen Partisanen. Ich wohne im dritten Stock, er im fünften. Zwischen uns lagen nur drei Meter, und doch war er mir in sechs Jahren Nachbarschaft kein einziges Mal begegnet. Seine Enkelin macht mich zum glücklichsten Mann der Gegend. Ich kann das nicht ausführen, wir sind einfach nur glücklich. Ich liebe seine Enkelin, seine Enkelin liebt mich, seine Enkelin liebt ihn, er liebt seine Enkelin, und nebenbei probt in meiner Küche ein verliebter Kremser Chansonnier einen tief schnurrenden Liebesblues. Mein slowakischer Plattenbau bebt vor Liebe. Die einzige Enkelin des Partisanen ist aber Halbwaise und hat mir eröffnet: „Opa ist derjenige, bei dem du um meine Hand anhalten musst.“ Das ist mein einziges Problem.

Ich für mein Teil verehre ihn. Wer in Europa weiß schon, dass 1944 im slowakischen Nationalaufstand beinahe so viele Männer gegen den Faschismus kämpften wie in der Résistance? Etwa 300 sind noch am Leben. Soeben richtete man ihnen einen Festakt mit kommunistischen Funktionärstypen aus. Die stolze Enkelin nahm die Gedenkmedaille entgegen. Als sie Opa im fünften Stock von ihrem Partnerwechsel erzählte, pochte mir im dritten das Herz. Er soll gesagt haben: „Ich werde nie mehr im Leben glücklich sein.“ Er soll gefragt haben: „Was macht er?“ – „Er schreibt.“ – „Schlimmer hättest du's nicht erwischen können. Und wo ist er her?“ – „Er ist Österreicher.“ – „Auch das noch.“ Letzteres war angeblich schon ein bisschen nett gemeint. „Er gewöhnt sich“, wiederholt die Enkelin mit schwankender Zuversicht, „er hat sich noch an alles gewöhnt.“

„Mann wie aus dem Katalog“

Widerwillig ließ er sich auf ein Kennenlernen ein, im Café. Er war Philosoph gewesen, hatte 40 Jahre lang in freier Rede vorgetragen, sprach ein klares, reiches, musikalisches Slowakisch. Seine Tochter, seine Enkelin, alle schauten wir auf ihn. Er erzählte von 1944: „Die Deutschen waren mutig, suchten uns hoch in den Bergen oben. Es war sinnlos, wir hatten keine Waffen. Nach zwei Monaten schickten uns die Kommandeure nach Hause.“ An jenem Abend soll mich der Partisan als „Mann wie aus dem Katalog“ bezeichnet haben. In der Nacht konnte er jedoch nicht schlafen, gemartert vom Gedanken, die Enkelin könnte einem „Kaffeehaus-Owezahrer“ anheimgefallen sein. Ein andermal ließ er sich Texte von mir bringen. Nach sieben Seiten wusste er genug und ging schlafen. Mein Saufbruder sagt: „Ich finde den Partisanen gut. Selbst wenn du einen Bentley hättest, bist du für ihn nichts. Du musst dir seinen Respekt verdienen, über Jahre.“

Neulich wurde ich oben ins Wohnzimmer gebeten. In seinem Fernsehfauteuil gestikulierend, erzählte der Partisan von seiner Heimatregion, meinem geliebten Gemer. Sein Vater, ein evangelischer Arbeiter, habe sich krumm gebuckelt, um den Kindern bessere Bildung zu bezahlen. Die Erzählung rührte mich. So ein Vater will ich auch einmal sein, lag mir auf den Lippen. Ich schwieg lieber.

Ich verdarb das Einverständnis auch so. Der Partisan erwischte mich kalt, als er sich einen „Liberalen“ nannte. „Ich bin konservativ“, antwortete ich, „aber keine Sorge, ich bin ein normaler Konservativer.“ Er darauf: „Ein Konservativer kann nicht normal sein.“ Einen weiteren Rückschlag erfuhr ich, als er dahinterkam, dass die übermittelten Mehlspeisen von mir bezahlt worden waren. Die kleine Korruption empörte ihn. Ich brauche einen neuen Plan. Alles erscheint mir zurzeit als Kleinigkeit, verglichen mit meinem Ringen um die Gunst des Partisanen im fünften Stock. 70 Jahre nach dem Sieg über den Faschismus habe ich kein anderes Ziel. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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