Wer nachts das Bett verlässt

Die Schatzhöhle in meinem Zimmer: ein Nocturno.

Es ist ein seltsames Reich, in das man gerät, wenn man nachts das Bett verlässt und erledigt, was einen erleichtert. Der Blick fällt in die mit schwarzem Licht gefüllte Badewanne oder auf den dürren Mann in der Duschkabine – der magere Körper des Duschschlauchs und der kleine Kopf der Brause, wie sich herausstellt: Man merkt, dass das Reich der Nacht nicht für unsereinen ist. Die Düsternis unserer Herzen sollten wir nicht vorschnell mit dem Verschwinden der Sonne verwechseln, so unbehaglich es einem im Dunkeln auch immer werden kann; ein grundsätzlich schlechtes Gewissen ist aber offenbar alles, was von der Erbsünde geblieben zu sein scheint.

Nicht immer aber scheucht es einen sofort in die traute Betthöhle zurück, manchmal, und mit dem Gefühl einer Mutprobe oder einer seltsamen Abenteuerlust, traut man sich im Dunkel in die Verlassenheit der anderen Räume, als bäten die um Gesellschaft. Man sollte ja auch zu den Zimmern, in denen man mehr als das halbe Leben zubringt, ein gutes Verhältnis haben, und im besten Fall kann es auch Freundschaft werden.

So ist es in Wahrheit auch mit den Tageszeiten, mit denen unsere Sympathie umgeht, als wären es Jahreszeiten: Versteht sich, dass die Nacht da der Winter ist und dem Älteren der herbstliche Abend am liebsten. Selbst wenn am Himmel kein Vollmond steht, der in seinen Nächten bisweilen befremdliche geometrische Lichtteppiche in die Zimmer legt, weiß man jedenfalls, dass der Griff zu den Lichtschaltern gleichsam unfair wäre. Nacht ist Nacht.

Warten, nicht wissend, auf was

Ein paar Schritte, und ich war in dem Zimmer, in dem der Fernseher und die Musikapparate stehen, und die Erinnerung an die Klänge und Bilder, die tagsüber mit diesen verbunden waren, und die Erinnerung an die Bilder und Klänge, die sie verteilt hatten, machte zusammen mit den Rubinen der leuchtenden roten Dioden aus dem Zimmer eine Schatzhöhle wie die Sindbads des Seefahrers, deren Juwelen ich zwar nicht alle identifizieren konnte, die aber in diesem Augenblick doch alle mir gehörten.

Ich setzte mich in einen Sessel und beschloss, dass in dieser Nacht nicht mehr geschlafen würde, zumal ich mich in dieser Umgebung auf einmal völlig wach fühlte. Ich kam mir vor wie das Negativ des Bildes, das ich in unendlicher Vervielfältigung tagsüber in diesem Zimmer abgab. Ich saß da und wartete, nicht wissend, auf was. Ein Blick hinter die zugezogenen Gardinen gab mir eine Ahnung von dem gespensterhaften Treiben draußen, zumal gerade ein frisch aufgekommener Morgenwind die Zweige der Büsche bewegte und es unverkennbar war, dass die Nacht sich vor dem ersten Morgenlicht zurückziehen wollte. Irgendetwas war los da draußen, aber es war klar, dass ich wieder einmal nicht dazugehörte. Ich fröstelte.

Das war nun auch für mich das Zeichen für einen Rückzug in meine Betthöhle, in der mich noch etwas von der Wärme meines ersten Schlafs freundlich empfing. Kurz darauf, jedenfalls ehe ich dazu kam, mir lange Gedanken zu machen, war ich ein weiteres Mal eingeschlafen. Ich träumte, und wieder einmal versuchte ich vergebens, den davonströmenden Traum festzuhalten, sobald ich aufgewacht war. Ich hätte zu gern gewusst, was für einen Kommentar ich mir zu dieser Nacht hatte einfallen lassen. Aber alles verlor sich in dem riesigen Meer in mir, in das alle meine Träume früher oder später geflossen sind. Vielleicht erlebe ich es noch, dass ich eines Nachts in einer Fregatte über dieses Meer fahre und die Inseln besuche, die es auch dort geben muss, voll mit dem Strandgut all meiner in Jahren verlorenen Träume. Aber vermutlich wird auch das ein Traum bleiben, einer von denen, die ich nie träumen werde. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2015)

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