Und ab wann zahlen wir fürs Salz?

APA/HERBERT NEUBAUER
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Alles war gut, bis wir noch ein paar Gläser Wasser bestellten und die Rechnung verlangten. Vom Ende der Kaffeehauskultur.

Ich bin im Café Hawelka aufgewachsen, knapp vierzehnjährig pilgerten wir Freundinnen, immer dicht an den Fersen des älteren Bruders und seiner Freunde, dorthin. Diese würdigten uns so lange keines Blickes, bevor wir nicht etwas Weiblichkeit zu bieten hatten. Wir blinzelten neugierig zu den Burschen, um die sich ältere Mädchen drängten, und saßen lange, tratschten, tranken Kaffee und Wasser, aßen gelegentlich die herrlichen Buchteln aus der Küche Frau Hawelkas – für uns teuer, aber köstlich warm –, frisch aus dem Ofen und mit Staubzucker bestreut.

Am frühen Abend trat Frau Hawelka an unseren Tisch und sagte freundlich, aber bestimmt: „So, jetzt geht's heim, Mädchen! Sonst hab' ich wieder Scherereien, wenn die Mütter anrufen und euch suchen!“ Ach ja, angerufen werden, das war die Sensation! Wer wollte nicht angerufen werden, selbst wenn es die eigene Mutter war, die einen nach Hause beorderte – ohne Widerrede und sofort, aber schnell! Das Telefon schrillte, jemand hob ab, und dann wurde der Namen der Person, die am Telefon verlangt worden war, ausgerufen. Man stand auf, alle schauten – aha, die ist das also –, man schritt anfangs verlegen, später lässig durch das Kaffeehaus, sich um die Stühle schlängelnd, und schloss die knarrige, schlecht schließende Tür der Telefonzelle. Welch ein Genuss!

In späteren Jahren lasen wir nicht mehr die Fährte des großen Bruders, um ins Hawelka zu finden. Eigenmächtig vereinbarten wir Treffen, erste Verliebtheiten entstanden, und Herzen gingen bei Burschen wie Mädchen zu Bruch; war man wieder auf dem Damm, kehrte man ins Hawelka zurück, tratschte, flirtete, trank Kaffee und Wasser.

Während des Studiums gingen wir am Vormittag auch ins Café Landtmann, weil es gleich gegenüber der Universität liegt. Nach häufigeren Besuchen wurden wir vom Kellner, dessen Namen ich leider vergessen habe, mit „Verehrung, Herr Dozent“ angesprochen – die Burschen hatten bei diesem Spiel die besseren Karten – und mit unendlichen Variationen und Steigerungen über Professor und Kommerzialrat die vermeintliche, erwartbare Karriereleiter hinaufgejagt, lange bevor ein Studienabschluss in Sicht war. Wir kicherten, die einen mochten es bereits erahnen, wie es sich anfühlen würde, einmal so angesprochen zu werden, den anderen war es unangenehm, weil sie wussten, dass der Kellner sie auf den Arm nahm, allerdings so charmant und konstant, dass es niemals zu Zwistigkeiten kam. Wir diskutierten, tranken Kaffee und Wasser. Die Zeit der Reisen kam. Ich schwirrte aus nach Italien, später nach Lateinamerika; Rom, Venedig, Buenos Aires, ich fand auch dort schöne, edle oder einfach angenehme Kaffeehäuser.

Ich trank Kaffee, das Wasser wurde ungefragt geliefert und vor mir auf den Tisch gestellt, wie im Hawelka, im Bräunerhof, im Landtmann. Ich fühlte mich zu Hause. Nach Jahren des Arbeitens und Wanderns im Ausland lebte ich wieder in Österreich. In Wien, Graz, Bad Aussee, Klagenfurt, Braunau und nun in Salzburg. Überall gab und gibt es Kaffeehäuser. Ich trank Kaffee und Wasser.

Heuer, zu ihrem Geburtstag, lud ich meine Tochter, da wir zu Besuch in Wien waren, ins Café Landtmann ein. Wir frühstückten zu viert. Der Vormittag verrann, das Wetter war sonnig und heiß, ein erster Vorgeschmack auf den Sommer. Rund um uns saßen überwiegend fremdsprachige Menschen, auch bei ihnen bogen sich die Tische unter den Lasten von Speisen und Getränken. Alles war gut, bis wir noch ein paar Gläser Wasser bestellten und die Rechnung verlangten. Wir wurden darauf hingewiesen, dass das georderte Wasser verrechnet werden müsse und die Rechnung sofort bereit sei. „Ich muss im Café Landtmann fürs Wasser bezahlen?“, fragte ich. „Ja, es tut mir leid“, so der Kellner. Ich verlangte nach dem Geschäftsführer, der beflissen herbeieilte und mir erklärte, dass es diese Einführung seit einiger Zeit gebe. Ob der Besitzer des Café Landtmann Deutscher sei, fragte ich, weil ich mich plötzlich an einen Kaffeehausbesuch vor vielen Jahren in München am Marienplatz erinnerte, wo mir die Kellnerin nach einigen Kaffees und Eisbechern Geld für ein Glas Wasser abzuknöpfen versuchte, ich mich aber erbost erfolgreich geweigert hatte. „Oh nein, kein Deutscher!“, aber gerne werde er die Beschwerde weiterleiten.

Dann kam die Rechnung, die dokumentierte, dass wir in den vergangenen Stunden nicht nur Leitungswasser getrunken hatten. Ein Viertel Wasser schlägt mit 1,5 Euro zu Buche, die 0,6-Liter-Karaffe mit 2,5 Euro. Sogar der Piccolo weiß, warum das Wasser verrechnet werden müsse, schließlich habe man eigens eine Waschmaschine für die lindgrünen Fläschchen, in denen das Wasser serviert werde, angeschafft. Das Service komme hinzu, außerdem wolle man verhindern, dass hier nur ein kleiner Kaffee mit vielen Gläsern Wasser getrunken werde. Ich protestiere: „Wo sehen Sie denn Menschen, die hier nur Wasser trinken?“ Doch, das habe er schon mal beobachtet, bekomme ich zur Antwort, worauf ich den Disput beende: „Ich zahle in Österreich nicht für Wasser im Kaffeehaus!“ Und schränke ein: Erst wenn der Traditionsfamilienbetrieb nach seiner Niederlassung in Tokio ein Café Landtmann in der Sahara eröffnet, werde ich mich bereit erklären, dort für Wasser zu zahlen, aber nicht in Wien und nicht in Salzburg, wo man ein leeres Glas in den meisten Zeiten des Jahres nur wenige Minuten vor die Tür halten muss, um es zu füllen.

„Du hast Sorgen, sei es diese oder jene... ins Kaffeehaus! Du hasst und verachtest die Menschen und kannst sie dennoch nicht missen... Kaffeehaus! Man kreditiert dir nichts mehr... Kaffeehaus!“, so wird Peter Altenberg auf der Website des Café Landtmann zitiert, und man schmückt sich mit Besuchen von allerlei Berühmtheiten aus Kunst und Literatur. Papperlapapp für das Vermarktungskonzept; keiner von ihnen hätte sein Wasser bezahlt! Alle wären woanders hingegangen, wo sie besser behandelt worden wären. So halte ich es jedenfalls seit meinem letzten Besuch, ich frequentiere das Landtmann nicht mehr und höre, dass viele meiner Freundinnen und Freunde es ebenso halten. Seither frage ich in Kaffeehäusern, bevor ich mich setze, ob ich für das Wasser bezahlen muss, und so kann ich in Salzburg nicht mehr ins Bazar gehen, wo sich auch die Tische biegen und es neben der überwältigenden Aussicht die Preise sind, die den Touristen die Tränen in die Augen treiben. Ein paar Straßen weiter, im Café Wernbacher oder im Café Fingerlos, schüttelt man über meine Frage nur den Kopf. Dort lese ich in Ruhe die Zeitung, frühstücke und trinke Kaffee und Wasser, wie ich es mag. Die Kultur des Kaffeehauses hat mit Nachdenken, Lesen, Menschen Beobachten und Treffen zu tun; es ist ein „unter anderen mit sich sein“, dafür brauche ich eine schützende, entspannte Atmosphäre, keine Geschäftemacherei um jeden Preis. Wer denkt, muss wach sein und trinken. Kaffee und Wasser! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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