Wenn man den Sniper liebt

„Expedition Europa“: die Exfrau des Scharfschützen – Besuch in der Volksrepublik Donezk.

Ein altmodischer Mittelscheitel, die Dachform der buschigen Augenbrauen verstärkt den gutmütigen Hundeblick – so schaut einem Dejan Beric von Fotos entgegen. Beric ist Scharfschütze bei den Donezker Separatisten. Er ist Serbe. Die Legende besagt, dass er „in 18 Sniper-Duellen siegte“ und „am Donezker Flughafen vier Amerikaner liquidierte“. Er wurde angeblich aus ukrainischer Gefangenschaft freigekauft, dreimal verwundet, hat neun Orden.

„Was ist dein Ziel?“, wurde er vergangenes Jahr in einem Video gefragt. „Faschisten zu Tode jagen.“ Inzwischen gibt er dauernd Interviews und füttert seine 2100 Follower auf Facebook täglich. Er betont die serbisch-russische Bruderschaft, versteigert aus Mitleid für ein krankes Mädchen Uniformstücke, und wenn er ungeduldige Ausländer aus einer orthodoxen Messe laufen sieht, postet er: „Der Westen hat keine Kultur.“ Seit „Foreign Fighters“ auch in Serbien mit hohen Haftstrafen bedroht werden, kann Beric nicht mehr nach Hause. Ich aber kann in die fruchtbare Ebene fahren. Kann seine Freunde und seine Frau befragen.

Ich komme Samstagnacht in Berics Heimatdorf an. Junge Schweinebauern bestellen am Verkaufsfenster einer Bäckerei Burek oder Pizza. In Putinci kennt jeder Dejan Beric. Einer ahmt prustend einen Zielsucher nach, das Drücken des Abzugs. „Er hier eine kleine Firma, hat Türen und Fenster eingebaut, ist krachen gegangen. Dann hat er auf Sniper umgeschult.“ Die Burschen behaupten, dass Beric das für den Sold macht. Ich frage sie: „Ist er ein Held für euch?“ – „Ja.“ In der Tanzbar nebenan ist der Tenor ähnlich. Uneins ist die Runde nur darüber, ob Beric seine serbischen Schulden bedient.

Ein Gesicht voll kleiner Regungen

Über Berics Frau wird mir erzählt, dass sie grob und fett sei, ein Geschäft in Golubinci drüben führe und den Verstand verloren habe. Sonntagmittag irre ich durch Golubinci, jeder weitere Hinweis enthält weitere Fehler. Ich spreche eine Verkäuferin an, eine hübsche Enddreißigerin: „Ich suche die Frau von Dejan Beric.“ Die Frau starrt mich entzündet an: „Das bin ich.“ Sie habe Kontakt mit Medien stets abgelehnt, sagt sie. Kurz darauf fügt sie mitleidig hinzu: „Aber wenn Sie extra so weit gefahren sind. Wir können nach meiner Schicht reden.“

Sie erscheint tatsächlich im Café. So peinlich es ihr ist, überprüft sie zuerst meine Ausweise. Ihr Gesicht ist voller kleiner Regungen, ohne Panzerung. Als er schon Sniper war, sei Dejan noch ein letztes Mal nach Hause gekommen: „Wir ließen uns einvernehmlich scheiden. Mit unserem 17-jährigen Sohn kommuniziert er.“

Dejan habe nie prorussische Reden gehalten, „er war sogar einfaches Mitglied der Demokratischen Partei“, einer entschieden proeuropäischen Partei. Dejan habe im Kosovokrieg gedient, habe aber nie davon erzählt. Beim Fischen hätten sich Freunde über ihn lustig gemacht:„Er warf jeden Fisch zurück ins Wasser, er konnte nicht einmal einen Fisch töten. Er ist ein guter Mann. Nein, er tut das nicht für Geld.“ Dejan habe vor dem Krieg in Russland gejobbt, ein Jahr lang. Jemand muss ihn gewendet haben.

Nach der Liebe frage ich die Exfrau des Snipers nicht. „Er kommt nicht zurück“, sagt sie mehrmals. In ihren Augen lese ich, dass sie ihn trotz allem zurücknehmen würde. Ich frage sie noch: „Halten Sie das für richtig, was er macht?“ Hundert widerstreitende Regungen. Dann sagt sie: „Ich bin unfähig, darüber nachzudenken.“ Nach meiner Abreise verfolge ich Dekis Facebook. Neuerdings ist da ein Foto mit einer aufregenden Donezkerin. Ein Follower kommentiert: „Russische Schönheit und serbischer Held.“ Deki wiederum erklärt in einem Interview: „Meine Verwandten sind stolz auf das, was ich in der Donezker Volksrepublik mache.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)

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