Wir alle sind Täter

Menschenhandel: Das Problem nimmt in der öffentlichen Diskussion in keiner Weise den Rang ein, den es haben sollte. Es geht um Personen. Es geht ums Leben. Es geht um die Frage, wie unsere Kultur mit Prostitution umgeht.

Mary Kreutzer und Corinna Milborn verbinden in ihrem Buch „Ware Frau“ investigativen Journalismus und leidenschaftliche Stellungnahme. Corinna Milborn beschreibt das so: „Wir mussten uns am Anfang entscheiden, auf einer Seite zu stehen. Das muss man normalerweise nicht, in diesem Fall war es aber so: Nur mit der Entscheidung ganz zu Beginn, IMMER aufseiten der Betroffenen zu stehen, konnten wir dann viele kleine Entscheidungen treffen. Etwa: Eine wichtige Geschichte über einen Passbetrug, die vielleicht das österreichische System des Visaverkaufs aufgedeckt hätte, kommt nicht vor. Das tut zwar weh – aber es hätte den Aufenthalt der betroffenen Frau gefährdet. Ähnlich war es mit der gewissenhaften Anonymisierung, die manchmal anschauliche Details kostete.“

Der investigative Journalismus kollidiert also mit der leidenschaftlichen Stellungnahme, und darin selbst ist schon etwas von der Komplexität der Probleme angedeutet, die das Thema des Menschenhandels betrifft. Das Dilemma ist doch, dass ein Vorgang wie das Handeln mit Menschen nicht einfach ein Handel mit einer Ware ist, die unverändert von der Produktionsstätte an den Ort des Verkaufs gelangt. Das Dilemma ist doch, dass durch den Vorgang des Gehandeltwerdens selbst die Gehandelten verändert werden und darin aber wiederum in je spezifischer Weise reagieren müssen. Der Vorgang des Menschenhandels lässt sich als Handel also durchaus schematisch benennen. Die gehandelten Personen unterliegen durch den Handel jedoch einem Veränderungsprozess. Es wird mit dem Handel an ihnen gehandelt. Die Personen selbst werden verändert.

Es ist dann genau diese Logik des Handels, die die Gehandelten in die Ausgrenzung verschiebt. Diese Ausgrenzung wiederum ermöglicht die unendliche Verlängerung des Handels an diesen Personen, weil die Kulturen, in die sie importiert werden, das mitvollziehen, was der Menschenhandel herstellt. Die Verwandlung einer Person in etwas Maschinenähnliches. Das Verwehren der Menschenrechte in den Zielkulturen des Menschenhandels bedingt dann auch noch die Unmöglichkeit, sich aus diesem Zustand zu befreien. Die gehandelte Person ist am Ende das, was der Händler oder die Händlerin haben wollte und was die Mittäterschaft der Zielkultur so leicht macht.

Im Fall der gehandelten Frauen aus Afrika, um deren Geschichte sich das Buch von Mary Kreutzer und Corinna Milborn annimmt, steht dann eine Person, die die Verfügung über ihren Körper verkauft. Der Person wird gerade so viel Entscheidung zugestanden, diese Entscheidung zum Verkauf an sich selbst zu vollziehen. Die Umstände sind genau so eng angeordnet, dass nur diese eine Entscheidung möglich ist. Die Sexmaschine muss sich selbst in Gang setzen. Aller anderer Wille ist durch den Prozess des Gehandeltwerdens eliminiert. Die gehandelte Person wird ja durch den Vorgang des Gehandeltwerdens nicht veredelt, wie wir das von Produkten normalerweise erwarten. Gehandelte Personen werden entedelt. In einem steten Beschneiden der Grundrechte wird die Person auf die jeweilige Funktion reduziert, für die sie gehandelt wird, und jede komplexere persönliche Äußerung oder Anspruch verbieten sich. Wenn nun eine Frau in die Sexarbeit gehandelt wird, dann wird diese Person Prostituierte genannt werden, und gleichgültig, wie sie dahin gelangt ist, unterliegt sie allen Sinneinheiten, die hinter dem Begriff Prostituierte angelagert sind. Ein Begriff wie „Prostituierte“ ist eine Standeszuordnung und erzählt nichts, wie die jeweilige Person dazu gekommen ist, unter diesem Begriff einordenbar zu werden. Das ist der wichtigste Aspekt, der Menschenhandel überhaupt ermöglicht. Eine Sprache, die mit dem Herstellen einer hierarchischen Ordnung beschäftigt ist, die gesellschaftliche Zuordnung regelt. Eine Sprache, die der Macht beschreibt, wo sie sich ausüben kann.

Wie kann nun eine solche Sprache unterlaufen werden und der Weg bis zu dieser Bezeichnung zur Erscheinung gebracht werden. Mary Kreutzer und Corinna Milborn lösen dieses Problem, indem sie uns an ihrer Recherche teilnehmen lassen. Sie legen einen Reisebericht der Recherche vor und machen damit den Leser und die Leserin selbst zu den Entdeckern der Fakten. Die Protokollierung der Reiseerlebnisse in knappem, klarem Stil legt die Ungeheuerlichkeit der Rechercheergebnisse offen und lässt so jeden Sensationalismus hinter sich. Das ist hilfreich. Wie gesagt. Die Ungeheuerlichkeiten sind groß, wie die Versuchung, diese Größe zumindest abzuwehren.

Gegen die Abwehr der Größe des Problems und der Ungeheuerlichkeit der Zahlen allein der gehandelten Frauen aus Afrika setzen die Autorinnen ein weiteres Stilmittel ein. Die Fallgeschichte. Acht Frauen erzählen ihre Geschichte. In diesen Geschichten beweist sich nachdrücklich, dass es im Grund darum gehen müsste, jede einzelne Erzählung zu einer Gesamtgeschichte zusammenzufassen, die dann erst zur Entwicklung von Begriffen wie Menschenhandel oder Prostitution weiterführt, und nicht, wie das der übliche Sprachgebrauch ist, nämliche Begriffe vorauszuschicken und dann erst die einzelnen Geschichten aus diesen Begriffen abzuleiten. Auch darin verzichtet dieser Text auf den Schutz eines Quasiobjektiven und setzt sich in dieser exoterischen Vorgangsweise der Kritik aus, emotional aufgeladen aufzutreten. Eines der wirksamsten Argumente gegen einen im besten Sinn radikal aufklärerischen Text wie diesen ist doch immer noch und immer weiter, dass mit diesem Text auf Betroffenheit gezielt würde. Aber. Tränen können ein Erkenntnisinstrument sein. Und. Betroffenheit über Betroffene kann jene Empathie herstellen, die zum Verständnis der Vorgänge überhaupt verhilft. Denn. Auch hier verweigert unsere Sprache die Möglichkeit, dem Betroffenen zu gleichwertiger Beschreibung zu verhelfen, wie sie dem eigentlichen Urheber, nämlich dem Täter oder der Täterin, den Zufügern also, zukommt.

Einen weiteren Schub von Abwehr löst sicherlich die Tatsache aus, dass wir alle zu diesen Tätern gehören. Wir alle sind Menschenhändler und Menschenhändlerinnen durch Auslassung. Das Problem nimmt in der öffentlichen Diskussion in keiner Weise den Rang ein, den es haben sollte. Es geht um Personen. Es geht ums Leben. Es geht um die Rolle unserer Kultur und Wirtschaft in den komplexen Zusammenhängen der globalisierten Verstrickungen. Es geht um die Frage, wie unsere Kultur mit Prostitution umgeht. Diese Fragen stellt der Text im Vorlegen der Fakten und Erzählungen und in Forderungen an die Politik und jeden und jede einzeln. Wie viel und wie einfach etwas zu tun wäre, ist beantwortet. Wir alle und die Politik sind gefordert.

Ich möchte ganz kurz auf die Kritik an diesem Buch eingehen. Eine bestimmte Richtung feministischer Kritik wirft den Autorinnen vor, die Opferrolle überzubetonen und durch diesen Text die Frauen wieder einmal zu Opfern zu machen. Es ist gut zu verstehen, dass Personen sich nicht durch den Begriff Opfer erneut in die erzwungene Unbeweglichkeit zurücklähmen lassen wollen. Es ist gut zu verstehen, dass eine solche Erstarrung nicht durch den Opferbegriff automatisch über Personen verhängt werden soll. Aber das ist ein Wunsch. Die Tatsachen, die im Begriff Opfer beschrieben sind, liegen vor. Die Vermeidung des Begriffs reichte nicht aus, Handlungsfähigkeit herzustellen. Im Gegenteil. Der von Mary Kreutzer und Corinna vorgelegte Bericht beschreibt ja nachdrücklich die Zusammenhänge, die zur Handlungsunfähigkeit und damit in das Opfersein führen.

Im sprachlichen Dilemma spiegelt sich ein gesellschaftliches Dilemma. Die Verteidigung der Nichtverteidigten. Der hier preisgekrönte Text stellt sich diesem Dilemma in der Leidenschaftlichkeit der Stellungnahme für die Nichtverteidigten und stellt deren Würdewieder her in der Erzählung der Geschichten. Und ich bedanke mich bei den Autorinnen Mary Kreutzer und Corinna Milborn für ihre gesellschaftliche Zugewendetheit in Mitgefühl und Sachlichkeit. Das geht weit über das journalistisch Notwendigste hinaus. ■


Aus der Rede zur Verleihung des Concordia-Preises in der Kategorie Menschenrechte an Mary Kreutzer und Corinna Milborn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2009)

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