Im Harem

„Expedition Europa“: acht Frauen, neun Kinder und die Oligarchen der Slowakei.

Dass ich seit den slowakischen Parlamentswahlen vom 5. März freier atme, das muss ich erklären. Die Wähler des Landes, in dem ich lebe, ließen vollkommen unerwartet einen blindwütigen Rundumschlag los, und erstmals ziehen Faschisten in den Nationalrat ein. Das kann ich noch erklären. Den Wahlerfolg von Boris Kollár – den nicht.

Der 50-jährige Unternehmer nämlich ist eine Lachnummer. Der einstigeSchwarzwechsler gründete seine ersten Firmen mit Berühmtheiten der Pressburger Unterwelt, sein Ski-Resort Donovaly und sein „Fun Rádio“ gehen mehr schlecht als recht, zum Trash-King der Klatschspalten machte ihn aber eine andere Eigenheit: Boris Kollár hat mit acht Frauen neun außereheliche Kinder gezeugt. An diesen Frauen sind mindestens die Lippen aufgespritzt, Tussis des Typs „Goldgräberin“ kleben an ihm. Kurz vor der Wahl verband sich der „Multipapi“ mit einem neugeborenen Christen, der den rechten Blog „Der letzte Kreuzritter“ betreibt, und nannte die Partei „Wir sind eine Familie“. Da er vorwiegend Hauptsätze auf Youtube bellte, war seine Kampagne billig: „Wer nicht will, dass wir von unseren Steuern eine Horde von Schwarzen durchfüttern . . .“, „Sie können mir vertrauen, ich bin kein Politiker . . .“

Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfs trank ich zufällig von seinem Charisma. Ich fuhr mit meinem auseinanderfallenden, 24 Jahre alten Mercedes in die Tiefgarage eines Einkaufszentrums ein, vor mir ein schwarzer Offroader mit verdunkelten Scheiben. Der Panzer ließ die Parkplatzsuche aus, hielt auf dem Fußgängerstreifen, fuhr einen Gummistoppel um, und schon stand Boris Kollár beim Lift. „Wir sind eine Familie“ bekam 6,62 Prozent. Per Vorzugsstimmen wurde eine Unbekannte gewählt, die zufällig so heißt wie eine Schauspielerin. Im slowakischen Nationalrat wird auch diejenige von Kollárs Partnerinnen sitzen, die mit gleich zwei erschossenen Gangstern zusammen war.

Rabiate Flüchtlingsabwehr

Das Wahlergebnis hat gute Seiten, denn die Atmosphäre vor der Wahl war drückend. Ermutigt vom Umfragenerfolg seiner rabiaten Flüchtlingsabwehr, kündigte der linkspopulistisch-oligarchische Premier Robert Fico die Einstellung von 2500 weiteren Polizisten an, seinem lautesten Kritiker hetzte er eine nächtliche Razzia an den Hals. Da wurde das Terrain für einen Polizeistaat sondiert. Ich hatte als einzige Hoffnung, dass wenigstens ein paar verbliebene Einzelkämpfer gegen die erstickende Oligarchie ins Parlament einziehen würden. Nun aber hat der bisherige Alleinherrscher nicht einmal gemeinsam mit den bürgerlichen Oligarchen-Parteien Most-Híd und Siet eine Mehrheit. Euroskeptische Liberale und unabhängige Konservative bangten ums politische Überleben, gewannen aber gegen alle Umfragen die Wahl. Sie wollen den Höllenritt einer Sechs-Parteien-Regierung probieren. Dafür bräuchten sie Kollár. Dieser versprach am Wahlabend Unterstützung und bog sich ansonsten vor Lachen, besonders als die fassungslos Geschlagenen den „Montag in den Gremien“ gaben.

Seither hängt der junge Staat im Limbo. Die Angst der Korrupten, hier könnte der Rechtsstaat über sie hereinbrechen, ist meine Freiheit. Aus den Zeitungen, welche entweder im Besitz der geheimdienstlich operierenden Finanzgruppe Penta stehen oder sich vor ihr in die Hose machen, erfährt man plötzlich Neues. Die Penta-Presse schießt sich auf Kollár ein, er habe in den Neunzigern sechs Kilo Heroin geschmuggelt. Nach elf Jahren Slowakei kann ich mich einiger Kenntnisse rühmen, beim Blick auf diesen Zipfel am Mantel der Geschichte muss ich aber passen. Beginnt der kleine Mafioso die große Oligarchie zu stören, oder ist der Multipapi doch ihr Trojanisches Pferd? Meine liebe Leserschaft hat's gut – die Slowakei ist unendlich weit weg. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)

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