Frühling mit Trump

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TOPSHOT-US-POLITICS-REPUBLICANS-GALA(c) APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY
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Wonderland. Das Alltägliche wird dir mit einem Mal fremd, die Dinge zeigen sich in bald wundersamer, bald grotesker, bald angsterregender Größe. Ob ich je wieder herkomme? Brief aus den USA.

Abends sitze ich in meinem Zimmer im Motel, in the middle of nowhere – draußen, in dem offenen Feld zum Highway hinüber,sind die Lichter an der Tankstelle, am Chili Bowl und dem kleinen Diner schon angesprungen, vom Fernseher her erklärtTrump gerade, er wünsche nichts sehnlicher, als jenen, die seine Veranstaltungen stören, eins in die Fresse zu geben – das ist keinschöner Abend. Gut, Trump hat trotz all seiner Siege vielleicht nicht allzu viele Chancen in dem Rennen hier: Dass er aber überhaupt Chancen hat, ist schlimm genug.

Trump ist kein Irrer, wie öfter zu hören ist. Er erkennt die Lage im Großen und Ganzen sehr gut. Die Therapie freilich, die er dem Land verordnen will – da könnte man schon eher von Wahnsinn sprechen.

Es gibt allerdings keinen einzigen Kandidaten hier, der nicht unentwegt beteuern würde, dass die Amerikaner die tüchtigsten, die am härtesten arbeitenden und die einfallsreichsten Menschen von der Welt sind. So kann Trump ganz einfach behaupten: Alles okay mit euch, Leute, alles okay. Bloß eine neue Führung, ein Führer muss her!

Wird die Grand OldParty, die GOP, die Republikanische Partei also,über ihren bürgerlich-konservativen Schatten springen, ihren Widerwillen, ja Abscheu hinunterwürgen, in der Hoffnung auf Erfolg, auf ein gutes Geschäft? Dann wird sie nie mehr sein, was sie war. Aber, wer weiß, vielleicht zahlt sich's ja aus – in welcher Währung auch immer.


Man sieht nicht überall in die Ferne hier, in the middle of nowhere, und doch fühlst du stets, dass es die Ferne gibt, die große Ferne, wo dich keiner kennt, keiner von dir weiß oder sich um dich kümmern wird. Da wirst du zusehen müssen, wie es mit dir schon geht. Da wirst du sehen . . .

Eine Portion Narzissmus ist grundsätzlich Voraussetzung für ein gutes Geschäft, für eine tolle Karriere? So würde ich das nicht sagen. Community wird hier als Wert gepredigt. Sie funktioniert auch. Andererseitsunübersehbar: jeder eine Monade, jeder für sich (und die meisten mit Gott dazu).

Die Leute auf der Straße sind freundlich und zuvorkommend, auf dem Land, in der City, die Begegnung steht ganz im Gegensatz zum bürokratischen Wahn, der den Eintritt ins Land so beschwerlich macht, zur Paranoia, die, von den Sicherheitsapparaten ausgehend, das Leben abschattiert. – Sei niemalsgrantig oder depressiv, sei immer gut aufgelegt, so gut aufgelegt, wie man es eigentlich gar nicht sein kann, und wünsche jeder/jedem bei jeder Gelegenheit alles Beste.

Es gibt viel Kindliches in dieser Art von Begegnung. Man kann das belächeln oder wertschätzen. Und vielleicht beides zugleich.


Zu den hiesigen Trumpiaden kommen nun die jüngsten Wahlergebnisse aus Deutschland, die Umfrageergebnisse etwa auch aus Österreich dazu. Obzwar Derartiges angesichts der Lage zu erwarten war, frage ich mich: Kann es sein, dass die Defizite dieser Zivilisation mittlerweile so groß sind, dass Optimismus allein nicht ausreicht, über diese Defizite hinwegzusehen und, jeder für sich allein, an ein gutes Ende glauben zu können? Ist es die Vereinzelung, dieso viel Angst erzeugt? Ist es die Angst, die dann, fermentiert zu Wut und Hass, losbrüllt? Ist es ein Mangel an Bildung, ein Mangel an Moral, an einem Bild, an dem man sich aufrichten könnte? Oder ist es einfach Ranküne, die eingeborene Ranküne, mit der man eben bis zu einem gewissen Grad zu rechnen hat?

„I've got one heart / and it hurts like hell“,singt der Sänger tief ergreifend aus dem Radio. Das Lied bricht dann plötzlich ab, nur wirres Rauschen jetzt, auf der Autobahn, ich bin aus der Reichweite des Senders geraten, blühende Obstbäume drüben an einer Hügellehne, Häuser, darüber aufsteigende Wolkentürme.

Bald tritt dir das Land ernst und gleichsam respektgebietend gegenüber, bald kleinteilig und vollgeräumt, dann wieder leer und wie aufgelassen, dann stumm und verbiestert,dann wieder verträumt und oft gar verspielt, mit sanfter Hand, wie man sagt . . . Ach, das gibt es bald wo, wird man dir bedeuten.

Manchmal ist es wie in „Alice in Wonderland“: Das Alltägliche wird dir mit einem Mal fremd, die Dinge zeigen sich in bald wundersamer, bald grotesker, bald angsterregender Größe. Da drehen sie sich!


Die alten Straßen, die Straßen von früher,erzählen die bescheidene, die vorsichtig sich vortastende Politik der Landnahme, der allmählichen Eroberung. Da sprechen die Interstates von heute eine ganz andere Sprache. Die Geschichte mit den Indianern, sie wird hier immer noch nicht erzählt als eine Geschichte des Völkermordes.

Commuting to Chicago, das bedeutet zuerst einmal, kommst du vom Süden und Osten her, die längste Zeit durch Gegenden und Viertel zu fahren, die dir bloß einen einzigen Satz vorsprechen: Wer so tief gefallen ist, kommt nie mehr hoch.

„In letzter Zeit hatte ich nie einen vernünftigen Job, das heißt, einen, von dem ich leben konnte.“

„We are living on the dole.“

Es geht längst nicht mehr nur um die Armen. Der Masterplan der ganzen Gesellschaftist Makulatur: Du findest dich, was du auch anfangen magst, bald in einer Lage, wo du eben nicht gewinnen kannst. Das war aber doch das – unausgesprochene – Versprechen!

Die Lage der Mittelklasse erinnert an den K. in Kafkas Romanen: Er weiß nicht, wie er so ganz allmählich in die schreckliche Lage kam, in der er sich nun findet.

Industriestädte wie etwa Gary oder Lima sind von einer Hässlichkeit, die an Beschreibungen frühindustrieller Städte etwa im England des späten 19. Jahrhundert denken lässt: Dickens! Engels!


Reden wir nicht von den trailer homes, umgeben von Müll und Gerümpel, von Autowracks und zerbrochenen Möbeln. Es gibt zu viele davon.

Reden wir nicht von neighbourhoods, wo jedes Haus verwahrlost und verkommen ist, wo es keinen ordentlichen Supermarkt, dafüraber Schnapsläden gibt, die auf Kredit verkaufen. Viele der Kinder hier wissen nicht, wie frisches Gemüse aussieht, sie kennen es nur aus der Dose.

Reden wir davon, dass einer, nachdem er die Schulden abbezahlt hat, die er für sein Studium hatte aufnehmen müssen, anschließend gleich damit beginnen kann, für die Pension zu sparen. Hat er Kinder, muss er sein Pensionskonto bald auflösen, will er das Studiengeld für die Kinder aufbringen. Dazu die mortgage für das Haus, die lease für das Auto, für die Möbel – alles dreht sich um Geld, um Geld, das man nicht hat, um Schulden, die man abbezahlen, um Schulden, die man aufnehmen muss. Allerorts Plakate und TV-Spots, die bankruptcy attorneys anpreisen: Erstgespräch gratis!

Jetzt noch zu erwähnen, dass viele hier keine Versicherung haben, sich nie im Leben eine leisten können, ist fast schon Sadismus. Und so ist die Lage.


Wieder bin ich angetörnt vom Loop, vomBetrieb da, von der Skyline, von den Geschäften, Lokalen und Clubs. Das Leben scheint voller Möglichkeiten zu stecken, die es bloß zu ergreifen gilt. Alles pulsiert. Fremde Gesichter in Schnellimbissen und auf der Straße. Nice big city. Die Hochbahn. Ich gehe die Straße hinunter. Lichter springen an. Schizophrenie: Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, in einem der Büros hier zu arbeiten, aus denen die Wolkenkratzer rundum doch bestehen – wie Regale im Supermarkt, Bienenstöcke oder Ameisenburgen. Meinen Lebensplan darauf abzustellen und einzig darauf zu richten, Erfolg zu haben, hier Karriere zu machen. I don't give a damn for that! Mein Herr, was haben wir denn sonst so vor? Kaltes Wetter heute. Blas dir in die Hände. Es raucht aus den Wolkenkratzern, über ihren Spitzen oder Kuppeln kräuseln sich weißlich Abluft und Dampf im Abendhimmel. Lange Schatten. Wie sagt manschon? A winner never quits.Weitergehen! Weitergehen. Da, da vorne – da kommt auch noch was.

Wer billige Konsumgüter haben will, muss die Produktion in Niedriglohnländer auslagern. Eine Weile freut das die Leute: Jetzt können sie kaufen, was das Herz begehrt. Dann schließen viele Betriebe, die Leute verlieren ihre Arbeit. Oder die Betriebe bleiben offen: Die Arbeit machen jetzt aber andere. Sie kommen meist aus dem Süden und arbeiten fürs halbe Geld. Das gefällt den Leuten dann weniger.


Wir brauchen ein starkes Heer!„Terrorism is the big threat. Security in first place.“ Wo das Geld herkommen soll? „The country is in bad shape.“ Die Budgets für Gesundheit, Erziehung, Infrastruktur kann man nicht weiter kürzen. „They are cheating us, they are taking advantage of us!“ Wir werden hochgenommen! Das Ausland nimmt uns aus. Die Chinesen manipulieren ihre Währung! Die Japaner auch! Die Europäer lassen sich fett durchfüttern! Damit ist jetzt Schluss! Damit muss Schluss sein! – Und sie werden zahlen! Und wie! – Wir brauchen ein starkes Heer.

Den Medien, die über Trump berichten, bringt er größere Auflagen, höhere Einschaltquoten, in Folge höhere Werbeeinnahmen. Weil ihn die Medien, auch die, die ihm nicht freundlich gesonnen sind, ständig ausstellen, erhält er noch mehr Zulauf. Und weil er eben so großen Zulauf hat, reißen sich die Medien noch mehr um ihn: Wer wollte hier noch von Freiheit der Presse sprechen? Trumpkann in aller Ruhe etwa zu Anderson Cooper auf CNNsagen: „Ich bringe dir Quote, Anderson. Don't forget!“Alles Weitere über Trump finden Sie in Ihrer Zeitung, in „Zeit im Bild“, auf ARD oder auf ZDF et cetera.

„I've got one heart / and it hurts like hell“ –klingt jetzt nicht mehr so ganz kitschig, oder?


Aber für heute wollen wir die Politik und verwandte Felder der Beschäftigung einmal sein lassen und uns an die Eroberung des Glücks machen. Glück kann man zu erhaschen suchen – das scheidet für jetzt in der Fremde hier einmal aus –, es kann einem zufallen oder, dies ist wohl die verbreitetste Art der Glücksgewinnung, man kann es dadurch einfangen, dass man einfach alles, was einem geschieht, für ein Glück erklärt.

Von den Appalachen im Osten, den Rockies im Westen abgesehen, ist Amerika eine einzige Ebene. Zwar gibt es Hügelland da und dort, rolling hills, wie man es hier nennt, doch das ist eher die Ausnahme. Die Weite der Landschaft ist so groß, dass dir baldvorkommt, der Hintergrund, der Rand des Sehfeldes würde sich an der Erdkugel hinabbiegen: So kommen die einzeln und ganz isoliert stehenden Bauernhäuser, die übrig gebliebenen Wäldchen, die Bäche und Flüsse begleitenden Schilfgürtel und Baumgalerien noch besser zur Geltung. In dieser Weite kommt dir vor, als würde da eine Tür aufgestoßen, mit einer gewissen Feierlichkeit ein Tor sich öffnen: damit dein Herz durchspringen kann, dein dummes, frohgemutes Herz!

Viele Landstriche sind säuberlich gepflegt, jede Straße, jeder Highway hat seinen Reinigungsdienst, zumeist auf freiwilliger Basis. DieseAufgeräumtheit und Sauberkeit passt wunderbarzu dem harten Licht, das, gleichsam alles durchdringend, über der Landschaft liegt. Es ist ein ganz anderes Licht als daheim.Selbst im Süden, in Texas etwa, in Arizona oder New Mexico, wo die Farbendoch kräftiger leuchten, erstickt die Härte des Lichts jede Gefühlsduselei – zumindest die Sorte falscher und billiger Gefühle, die von Beleuchtungsverhältnissen ausgehen.

In Mississippi oder Alabama war ich nie. Dort dürfte es mit dem Licht ein wenig anders sein. Wie man den Büchern von Carson McCullers oder von William Faulkner leicht entnehmen kann.

Du brauchst bloß deinen Arm auszustrecken, ihn etwa vor eine der grünen Weiden in Wisconsin oder Michigan zu halten, vor eines der sattbraunen Riesenfelder in Indiana oder Iowa, dann wirst du verstehen, was ich meine.

Es gibt auch verdreckte Gegenden, mit Abfall überstreut. Löchrige Autoreifen unter Bäumen, Karosserieteile, Getränkebecher und Nylontaschen im Sumpfwasser. Die Verkommenheit nimmt da einen Grad an, der sie als geradezu künstlich, als gestalterisches Mittel erscheinen lässt. Müllberge, hier als landfill bezeichnet, dienen als Sammel- und Futterplätze diverser Vogelarten. Diese Müllberge treten öfter im Verbund auf, in räumlicher Nähe zu Atomkraftwerken oder, neuerdings, auch zu tausendflügeligen Windparks.

Hans im Glück, Urahn einer gewissen Sorte von Dichterglück, die man gern auch als klassisch bezeichnet: Das Schiefe, Unfertige, Verworrene oder gar das Missratene – sie passen so gar nicht zum tief innerlich gefühlten Glück. Was tun? Ein Gutteil der Welt besteht eben daraus.


Abends, nach langer Autofahrt,one of those nights. Man hat zu guter Letzt in ein Motel eingecheckt, in irgendeins, über leere oder nur spärlich vollgestellte Parkplätze zu gehen, stark leuchtende Lampen auf hohen Masten, ringsum eine Art ahnungsvoller Finsternis – zum Schnellimbiss hinüberzugehen, der mit grellen Neonschriftbalkenschon lockt: Und man weiß, man wird gesättigt werden – ist das nicht Glück? Es gibt ausgedehnte Landstriche, oft Stunden darin zu fahren, wo es keinen anständigen, das heißt: einen mit den üblichen Waren ausgestatteten Supermarkt gibt. Family Dollar oder ähnliche Kettenläden offerieren nichts Frisches, kein Gemüse oder Obst. Allesist nur vom Billigsten. Die Leute sind einfach zu arm da. Das ist es, was sie sich leisten können.

Unterwegs halte ich in einem kleinen Städtchen. Die Main Street besteht, wie üblich, aus ein paar alten Häusern mit glatten Ziegelfronten, wie man sie aus Wildwestfilmen kennt. Die Geschäftslokale sind fast durchgängig leer. Ein Kriegerdenkmal. Eine Schule. Wenn es viel ist: eine öffentliche Bibliothek. Ein oder zwei historical markers,die meist etwas von früherer Bedeutung erzählen. Ich finde ein Café, das offen hat. Im Halbdunkel des Inneren drei, vier ältere Männer, die sich über ein Bier hinweg unterhalten. Aus dem Radio halblaut Country-Musik. Im Hintergrund läuft ein TV-Gerät: Basketball oder Eishockey. Du kommst mit einem der Kunden ins Gespräch, und der oder die, sie erzählen dir bald ihre Geschichte. Wo du denn herkommst? Europa? Oh – it'sawesome! Da fließt ein gutes und sehr einfaches Gefühl herüber, ohne Arg, ohne Hintersinn, mit ein wenig Neugierde untermischt, vielleicht auch mit Kopfschütteln: Was macht der da? Weder dumm noch gescheit sind solche Begegnungen, menschlich, möchte ich sagen.


In den Städten wirst du
auf viele homeless treffen, Obdachlose, in der Mehrzahl sind es Schwarze: Sie sprechen dich an, viele halten dir einen Getränkebecher hin, manche erzählen auf einer handbemalten Tafel ihre Geschichte: army veteran, no drugs, liver cancer, no job oder etwas in der Art. Mit einer alten Frau komme ich ins Gespräch: Heute hat sie Geburtstag. Und Christus ist auferstanden! Ist das nicht eine Freude! What a beautiful day!

Geh nie in ein Lokal, das All you can eat offeriert: Du wirst es voll von äußerst übergewichtigen Menschen finden, die sich,der Selbstbedienung wegen, um das Buffet geschart haben. Solche Läden sind nicht von jener Freude erfüllt, wie sie gutes Schmausen und Trinken sonst gern erzeugt, nein, es sind Unterwelten voll eines düsteren Zwanges und krankhaften Wahns, Asyle. Da kauf dir besser ein Sandwich bei Walgreens, bei Subway oder, meinetwegen, bei Wendy's undtritt damit auf die Straße.

Suchst du was echt Bukolisches, bietet sich die Welt der Ratskeller, Hofbrauhäuser,überhaupt der breweries an: Hier feiert das Germanische, oder was hier dafür gehalten wird, fröhliche Urständ. In San Antonio, Texas, stellt mir die Kellnerin ein Freibier her, weil ich deutsch spreche. Zum Bockbieranstich kommt man in Lederhose und mit grünem Hut, Frauen im Dirndl. Irgendwo auf dem Land, irgendwo in Texas, spielt Blasmusik auf: ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit! Dazu gibt es bretzels und the best bockwurst of the South! Kleine Mädchen in weißen Kleidchen tanzen vorn auf dem Podium, drehen sich zur Musik im Kreis.


Es gibt viele Kirchen in den USA,
sie sind viel zahlreicher als in Europa. Wenn nichts mehr funktioniert, wie etwa in den desolaten Suburbs von Detroit – die Kirche ist stets letzter Halt, ein Hort des Gemeinsamen. Sonntags hörst du den Gesang der Gemeinde aus den offenen Türen dringen. Öfter kommt es auch vor, dass eine Zufallsbekanntschaft, die du im Diner gemacht hast, plötzlich den Kopf senkt, um still ein Gebet zu sprechen, bevor dann mit dem Essen begonnen wird. Das rührt mich jedesmal, denn statt der Fische und Brote vom See Genezareth gibt es hier fast food.

No second thoughts! Bleib bei der Gegenwart, beim schlichten Vorhandensein der Dinge. Mal ein paar Wolken darüber, blaue Luftblasen, wenn es denn schon sein muss, Regenschleier oder -vorhänge oder die lärmerfüllten Schneespiralen eines Blizzard. – Große Künstler, wie an einem Museum hier in Goldlettern zu lesen steht: Sie verstehen es, uns das Dunkle und Schmerzliche des Lebens schön vorzustellen.

Im Museum für die Afroamerikaner wieder sagt eine schwarze Mutter zu ihren Kindern: „Da! Schaut her, was sie uns angetan haben!“ Da duckst du dich und gehst weiter. Zwar kannst du direkt ja nichts dafür . . .

In Europa, lese ich, werden jetzt die Flüchtlinge eingeschifft.


Wo sind die Tage hingekommen, als ich in Manhattan Beach, L. A., vom Boardwalk aus zu den schmutzig grauen Wellen des Pazifik hinschaute, über deren Gischtkämmen große, geheimnisvolle Vögel schwebten? In dem schütter von Wald bestandenen Tal bei Missoula, Montana, konnte ich die Häuser der Siedlung zwischen den Bäumen zuerst gar nicht ausnehmen. Die Bergschultern gehen da hoch hinauf unter Wald und Wald. Die spaghetti crossings von Houston, verdammt. Lexington Ave. Wie hieß die Kirche da? Was war da noch? Ob ich je wieder herkomme? San Diego? Cincinnati? Phoenix? NYC?

Willst du glücklich sein oder es werden, musst du dich zu ein wenig Dummheit bequemen. Zu ein bisschen Weltvergessenheit und Selbstfeier. – Du kannst es aber auch ganz anders anfangen, dich geben und die anderen liebevoll festhalten. Was du aber auch anfängst, sei bereit für die Gnade. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2016)

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