Bei Babo

„Expedition Europa“: Was wurde aus dem Privatstaat „Autonome Provinz Westbosnien“?

Er war einer der Warlords des Bosnienkrieges, saß elf Jahre fürKriegsverbrechen – und feiert nun am Tatort sein Comeback. Fikret Abdić, 1993 bis 1995 Präsident des Privatstaats „Autonome Provinz Westbosnien“, könnte am 2. Oktober zum Bürgermeister gewählt werden. „Babo“ war vor dem Kriegder populärste bosnische Politiker, und im Krieg handelte er für seinen eingekesselten Landstrich Separatfrieden aus. Dann aber führte auch seine „Volkswehr Westbosnien“ Krieg – gegen die eigene Volksgruppe. Bis zu 5000 Personen sollen seine Lager durchlaufen haben. Nach einem Besuch im Lager Drmeljevo nannte der UNO-Beauftragte Mazowiecki die Zustände „sehr schlecht“.

Babos damalige Hauptstadt VelikaKladuša liegt im äußersten Nordwesten Bosniens, das ziemlich steirisch aussehende Hügelland stellt wohl den äußersten Vorposten muslimischer Besiedlung dar. Dass Babo in den Dörfern bis heute verehrt wird, liegt an „Agrokommerz“. Ab 1969 hatte Abdić in der unterentwickelten Gegend einen Lebensmittelkonzern aufgezogen, der Jugoslawien ernährte und in 30 Länder exportierte. Der Buchhändler zog mir zwei Bücher aus dem Giftschrank,eines für und eines gegen Babo, und ich ging auf die Terrasse des agrokommerzroten Kaufhauses kaffeetscherln. Es lief Eminem, übertönt kurz vom Muezzin der Moschee gegenüber. Junge Männer mit frischen Nahostbärten eilten zum Abendgebet. Bei den jungen Frauen stand die Tageswertung Hotpants–Schleier 4:1.

Ich marterte mich, diesen innerbosniakischen Krieg zu verstehen. Ich las einen religiösen Unterton heraus, säkulare Agrokommerzler gegen „Mudschaheddin“. Da war ein regionaler Misston, für die „Krajischnik“ genannten Bewohner des „Caziner Landes“ war Sarajewo weit. Andererseits wieder – im innerbosniakischen Krieg warfen Krajischniks Granaten auf Krajischniks. Schon im Zweiten Weltkrieg kragelten sie einander ab, 1950 beim Caziner Bauernaufstand wieder.

Gedenkstein für Frauen, Kinder

Ich ging zu Babos neuer Partei, zur bosnischen „Labour Party“. Da stand „Arbeit für alle“, Handwerker finalisierten das Parteilokal. Ich bekam Feuerzeuge und eine Agrokommerz-Broschüre aus den Achtzigern, in warmgelben Tönen. Babo, bald 77, „arbeitet 12 Stunden am Tag“, lebtaber an der kroatischen Küste und war nicht da. Die zusammengeeilten Labouristen erklärten mir den Konflikt damit, dass die hiesigen Muslime für sich den neuen Begriff „Bosnaken“ ablehnten. Dann mühte sich Rasim Kantarević ab, Labour-Abgeordneter in einem der vier Sarajewer Parlamente und Veteran von Babos Armee. Er erzählte, dass er zu Kriegsbeginn im Fünften Korps der bosnischen Armee gegen bosnische Serben gekämpft habe. „Meine Uniform, mein Kommandant haben sich nicht geändert“, nur dass er plötzlich die ehemaligen Kameraden bombardierte mit von Serben bezogenen Waffen. „Schauen Sie, der Grat zwischen Liebe und Hass ist schmal.“ Aber Bruder gegen Bruder? „Keiner wird je zugeben, falsch gehandelt zu haben.“ Der Abgeordnete lehnte den Ausdruck „Lager“ ab. „Wir mussten im Herbst 2014 in die Serbische Krajina fliehen, 50.000 Leute. Dort haben wir auch in Farmhallengewohnt. Uns ging's nicht besser.“

Ich fuhr nach Drmeljevo hinaus, auf ein heute eingezäuntes Gelände. Von den Nachbarn äußerte sich nur ein alter Irrer: „Da war kein Lager, da war eine Basis der jugoslawischen Armee.“ – „Aber warum steht ein Gedenkstein dort, für politische Gegner, Frauen, Kinder?“ – „Der müsste auf dem Friedhof stehen, aber für 3000 Mark kann man so einen Gedenkstein kaufen.“ Ich kletterte über den Zaun. Kukuruz und ein verwaistes Wächterhäuschen, an liegenden Blechtonnen hingen Bierdosen und CDs. Zwei lange fensterlose Blechhallen, verschlossen. Es waren mal Hendlhallen von Agrokommerz. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2016)

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