Politik der Unruhe

Volksabstimmung in Kärnten
Volksabstimmung in Kärnten(c) Straberger Velden/ÖNB-Bildarchiv/Picturedesk
  • Drucken

Über die Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober 1920. Über die delikate Aufgabe, 30 Jahre danach, im besetzten Österreich, das Jubiläum gebührend zu feiern. Über „Abwehrkampf“, „Kärntner Urangst“, zweisprachige „Zwangsschulen“ und andere Gänsefüßchen aus dem Süden.

Als Anfang 1947 die Staatsvertragsverhandlungen in London bevorstanden, schärfte Außenminister Karl Gruber (ÖVP) seinen Beamten ein: Das Wichtigste sei, „dass in Kärnten völlige Ruhe herrscht“. Es durfte nichts geschehen, was die diplomatische Strategie der Bundesregierung stören könnte,Österreich als makelloses kollektives Opfer NS-Deutschlands darzustellen, das keinerlei Animositäten gegen seinen Nachbarn Jugoslawien hegte und vor allem seine slowenischen Bürger tolerant behandelte. Gruber betonte, dass der Grenzverlauf zwischen Österreich und Jugoslawien mit dem Ergebnis der Kärntner Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 eine res judicata sei, also eine juristisch endgültig geregelte Tatsache.

In Kärnten folgte die politische Mobilisierung einer etwas anderen Logik. Der vorherrschende Diskurs über die Südgrenze („Kärnten frei und ungeteilt“) setzte zwar voraus, dass sie unantastbar sei, bedeutete aber zugleich, dass sie in Gefahr stehe und deshalb durch Beschwörung von nationaler Solidarität und Heimattreue ständig bekräftigt werden müsse. In der deutschnationalen Rhetorik der Nachkriegszeit waren daher Hinweise auf die Unruhe und die Beunruhigungder Bevölkerung und damit das Erfordernis, sie zu beruhigen, immer präsent. Anders als aus Sicht des Ballhausplatzes sollte der Beunruhigung aber mit Mobilisierung, mit Proklamationen, Versammlungen, Kundgebungen und Unterschriftenkampagnen begegnet werden.

Beruhigung durch Mobilisierung barg eine gewisse Spannung in sich. Was eine „Aufklärung“ über jugoslawische Gebietsansprüche und die Gefahr einer Grenzverschiebung hätte sein können, wurde zur Schaffung eines Klimas der Angst genutzt. Dazu gehörte auch die Übertreibung und Dramatisierung der Gefahr. Hier war die legendäre „Kärntner Urangst“ durchaus konstruiert.

Bis zu einem gewissen Grad ging die deutschnationale Angstmache mit den Sezessionsbestrebungen der slowenischen Osvobodilna Fronta (Befreiungsfront) einher. Beide Aktivistengruppen waren bemüht, die Wahrscheinlichkeit einer Grenzrevision stark zu übertreiben. Auch die Möglichkeit eines baldigen Einmarsches jugoslawischer Truppen bauschten beide Gruppen in ihrer Flüsterpropaganda auf. In keinen der zugänglichen historischen Dokumente gibt es jedoch Belege dafür, dass Jugoslawien nach dem erzwungenen Rückzug aus Südkärnten im Mai 1945 je einen solchen Vorstoß überlegt hätte. Aktivisten auf deutschnationaler wie slowenischer Seite ging es also darum, die unentschlossenen, apolitischen oder auch nationalindifferenten Leute in ihr Lager zu ziehen. Gruppenidentitäten und -solidaritäten solltendurch Polarisierung gestärkt werden.

Die Äquivalenz der beiden Gruppen darf aber nicht übertrieben oder gar als Gleichgewicht missverstanden werden, denn die„Heimattreuen“ genossen einen erheblichen Vorteil: Sie waren wirtschaftlich, politisch und psychologisch in die historisch gewachsenen Machtstrukturen des Landes eingebettet. IhreAktivitäten und ihre Rhetorik schöpften aus der Geschichte und den Mythologien des Kärntner Grenzlandes seit den Nationalitätenkämpfen in der Monarchie. Sie zehrten vor allem von einer militarisierten Interpretation der Ereignisse zwischen 1918 und 1920, welche die Volksabstimmung als Ergebnis eines erfolgreichen „Abwehrkampfes“ darstellte. Nicht zuletztprofitierten sie von sieben Jahren antislowenischer NS-Politik und -Propaganda.

Hingegen blieb der Einfluss slowenischerpolitischer Führer auf die Landespolitik auch nach Verfolgung und Widerstand während der NS-Herrschaft gering. Die einzige Ausnahme bildete die Zeit zwischen Juni und November 1945, als der katholische slowenische Politiker Joško Tischler Mitglied der provisorischen Landesregierung (beziehungsweise des „Konsultativen Landesausschusses“) war. Tischler nutzte die Gunst der Stunde, eine radikale Schulreform mit Geschick durch die Landesregierung zu manövrieren. Im Oktober 1945 wurde in allen mehrals 100 Volksschulen in Südkärnten für alle Schüler der zweisprachige Unterricht eingeführt. Die Maßnahme sollte bitteren und endlosen Streitereien um ethnische Zugehörigkeit den Boden entziehen. Tischler begründete sie auch nicht mit dem Gruppeninteresse der slowenischen Minderheit, sondern mit dem Gemeinwohl einer Kärntner Gemeinschaft, die sich durch die Anerkennung und Pflege beider Landessprachen von der NS-Herrschaft erholen sollte.

Von Anfang an wurde die zweisprachige Schule als „Zwangsschule“ bekämpft. Hinter der Kampagne standen verschieden Motive. Einige sind durchaus nachvollziehbar, etwa Befürchtungen einer sprachlichen Überlastung der Kinder. Aber die treibende Kraft war eine schlichte Aversion gegen die slowenische Sprache und Kultur, die Ablehnung jeder Andeutung einer Gleichwertigkeit des Slowenischen mit dem Deutschen. Eine nützliche Waffe im Kampf gegen die „Zwangsschule“ lieferte die äußere Bedrohung aus dem Süden. Der zweisprachige Unterricht wurde als erster gefährlicher „innerer“ Schrittin Richtung einer „Losreißung“ Südkärntens hingestellt.

Natürlich gab es einen realen diplomatischen Streit um die Südgrenze, die von der jugoslawischen Forderung nach einem zusätzlichen Territorium im Ausmaß von 2740 Quadratkilometern ausging. Über zwei Jahre lang war sie Gegenstand von wiederholten Verhandlungen zwischen den vier Staatsvertragsmächten, bis dann im Juni 1949 in Paris die Entscheidung getroffen wurde, die Grenzen Österreichs von vor dem „Anschluss“ an Deutschland wiederherzustellen. In den österreichischen Zeitungen war zu dieser Zeit zu lesen, dass die Zukunft von Südkärnten „auf Messers Schneide“ stand.

Die Archive sprechen eine andere Sprache. Dokumente aus jener Zeit legen vielmehr den Schluss nahe, dass eine endgültige Regelung bereits im April 1947 durchaus möglich war – wäre es allein um die Grenzfrage gegangen. Das jugoslawische Interesse an Südkärnten war beschränkt. Belgrad war längst bereit, territoriale Forderungen gegen andere Konzessionen (Wasserkraftwerke an der Drau, Schutz der Minderheit, eventuell ein Autonomiestatut) einzutauschen. Auchdie sowjetische Unterstützung für Jugoslawien war taktischer Natur. Außenminister Molotow ließ im April 1947 klar erkennen, dass er davon abrücken würde, wenn die Interessen seines Landes hinsichtlich des ehemaligen deutschen Eigentums in der sowjetischen Besatzungszone gesichert seien.

Jugoslawische Halbherzigkeit und sowjetisches Desinteresse waren den westlichen und österreichischen Verhandlern kein Geheimnis. Die Politik der Unruhe, die in erster Linie von Kärnten ausging, hatte einen anderen Zweck. Sie besagte nicht nur, dass das Land in höchster Gefahr stehe, sondern auch, dass jeder Landespolitiker alles unternehmen würde, um ihr mutig entgegenzutreten und sie abzuwehren. Es ist nur eine leichte Übertreibung, festzustellen, dass die Angst der Kärntner Politiker weniger einem jugoslawischen Einmarsch oder einem Gebietsverlust galt als der Möglichkeit, in der „nationalen Frage“ politisch überflügelt zu werden.

Die Grenzfrage wurde schnell zu einem Thema der Parteienkonkurrenz. Nachdem sich Kärntner ÖVP-Politiker mit Außenminister Gruber getroffen hatten, ließen sie verlautbaren, dass „kein Quadratmeter Kärntens aufgegeben“ werde. Postwendend drückteSPÖ-Landeshauptmann Piesch sein Bedauern aus, dass die ÖVP damit die Grenzfrage „zum ersten Mal zu einer politisch einseitigen, nur im parteipolitischen Interesse liegenden Angelegenheit gemacht“ habe. Kurz darauf berichtete die „Neue Zeit“ von der Forderung einiger Bundesräte der SPÖ, die Regierung möge gegen die jugoslawischen Ansprüche Stellung beziehen.

Der Diskurs der Angstmache wurde von Bundespolitikern zum Teil übernommen. Im April 1947 erblickte Außenminister Gruber in der Grenzfrage weniger die Gefahr der Unruhe als die Möglichkeit einer innenpolitisch günstigen Erklärung für das erste Scheitern der Staatsvertragsverhandlungen in Moskau. Ein Jahr später spielten in London auch westliche Diplomaten die Grenzfrage hoch, um den Fortgang der Verhandlungen zu torpedieren. Entsprechend wurde im Juni 1949 die Bestätigung der Grenze von 1937, wenn auch wenig begründet, als eine lang ersehnte Erlösung gefeiert.

Nach zwei Jahren Dramaturgie wollte man am Ballhausplatz die Grenzfrage nun auf ein sachliches Niveau herunterdrücken. Dagegen standen wirtschaftliche Interessen der Kärntner Landesregierung und diedeutschnationalen Kräfte inner- und außerhalb des neu gegründeten Verbandes der Unabhängigen (VdU). Letztere dehnten die Abwehr territorialer Ansprüche auf einen frontalen Angriff gegen die zweisprachige Schule aus.

Die Debatte darüber, wie der 30. Jahrestag der Volksabstimmung im Oktober 1950 begangen werden sollte, zeigt, wie stark diese Kräfte inzwischen waren. Interessant ist die Politik der Bundesregierung. Karl Braunias, der österreichische Gesandte in Belgrad, hatte Wien bereits davor gewarnt, in Kärnten „allzu viel Porzellan zu zerschlagen“. Während VdU-Politiker und einige KärntnerÖVP-Politiker darauf drängten, die zweisprachige Schule sofort abzuschaffen, nahm die Kärntner Landesregierung das Jubiläum zum Anlass, einen hohen finanziellen Zuschuss vom Bund zu verlangen. Mit Ausnahme von Ferdinand Graf, dem aus Kärnten stammenden ÖVP-Staatssekretär für Inneres, waren die Reaktionen unter den Ministern von ÖVP und SPÖ auf die Kärntner Forderungen alles andere als freundlich,wie der Vortrag von Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) im Ministerrat und die anschließende Diskussion dokumentieren. Von der SPÖ meldeten sich Verkehrsminister KarlWaldbrunner und Innenminister Oskar Helmer zu Wort.
Bundeskanzler Figl: Wir haben uns schon einmal mit der Angelegenheit befasst und einen entsprechenden Zuschuss beraten. Damals wurde gesagt, dass eine finanzielle Leistung des Bundes nur infrage kommt, wenn Kärnten die von ihm geschuldeten Bundesgelder herausgibt. Die Summe, die Kärnten verlangt,ist unmöglich, nämlich sage und schreibe 165 Millionen Schilling. Sie wollen sie für Straßen-, Brücken- und Schulbauten sowie für ein Jubiläum in ganz Südkärnten haben. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Man darf nicht vergessen, dass auch noch das Burgenland kommen kann und ein 30-Jahr-Jubiläum feiern will. Südsteiermark hat sich ja auch schon gemeldet.
Minister Helmer: Na und Niederösterreich?
Minister Gruber: Vorarlberg muss doch auch was kriegen, weil sie bei uns geblieben sind.
Figl: Aus diesem Grund informiere ich den Ministerrat. Im Oktober wird jedenfalls etwas geschehen müssen. Wir werden ja nur ein paar Millionen hergeben können. Wenn die Kollegen unten interviewt werden, würde ich ersuchen, dass sie entsprechend Stellung nehmen.
Minister Gruber: Es gibt auch noch einen anderen Grund. Das Verhältnis zu Jugoslawien bessert sich von Tag zu Tag. Es besteht begründete Aussicht, dass wir zu einer Atmosphäre des Vertrauens, vielleicht sogar zu freundschaftlichen Beziehungen gelangen. Unser Gesandter in Jugoslawien hat dringend gebeten, der Feier keinen chauvinistischen Charakter zu geben. Wir sind die beati possidentes, die anderen aber die Verlustträger. In dieser Lage empfiehlt es sich nicht, irgendein großes Geschrei zu machen. Beide Parteien sollten darauf einwirken, dass die Sache etwas gebremst wird. Wenigstens darf in der ganzen Wortführung nicht gegen Jugoslawien Stellung genommen werden. Ich werde Gelegenheit haben, morgen in Kärnten etwas Wasser auf die heißen Köpfe zu gießen, aber nur im gewissen Sinn und ohne dass man die Feier einzustellen braucht.
Staatssekretär Graf: Die Vergleiche mit den anderen Bundesländern sind mehr als fehl am Platz. Man vergisst, dass in Kärnten Kämpfe und eine Volksabstimmung stattgefunden haben. Das trifft weder auf die Südsteiermark noch auf Niederösterreich zu, schon gar nicht auf Vorarlberg.
Figl: Die Lage der 14 Gemeinden in Niederösterreich an der tschechoslowakischen Grenze ist auch nicht zu verkennen.
Staatssekretär Graf: Das ist doch etwas ganz anderes. Wir können heute Kärnten nicht plötzlich bagatellisieren. Dass die Höhe der Forderung nicht ernst zu nehmen ist, dürfte hoffentlich den Kärntnern selbst klar sein. Sie wollen vor allem einen großzügigen Ausbau. Man wird auch nicht verhindern können, dass sie ein möglichst großes Tamtam machen. Richtig ist, dass bei den offiziellen Reden Mäßigung herrschen muss. Auf keinen Fall sollten Abgeordnete des VdU beigezogen werden.
Figl: Von einer Bagatellisierung kann keine Rede sein. Gegen diesen Ausdruck muss ich mich verwahren. Wenn ich mir der Wichtigkeit dieser Sache nicht bewusst wäre, hätte ich nicht so einen Akt angesammelt und hätte auch nichts gesagt. Ich bin nur der Meinung, dass 165 Millionen zu viel sind und dass es auch andere Teile von Österreich gibt, die zu berücksichtigen sind.
Staatssekretär Graf: Haben die Kärntner nichts gemacht?
Minister Helmer: Ich bin der Meinung, dass man die 30-Jahr-Feier unbedingt veranstalten muss und dass es nur darum geht, die Form zu finden, die keinen Anstoß erregt. Vielleicht könnte man eine Stiftung machen, etwas Bleibendes, wozu immerhin gewisse Mittel beigetragen werden können. Was die Frage nach der Berechtigung der Leistung betrifft, die man gegenüber dem Gebiete schuldig ist, möchte ich nur sagen: Schlechter als Niederösterreich und Burgenland und Teile von Wien wegkommen, kann es schon nicht gehen. Denn diese sind von der ERP-Hilfe (Anm.: European Recovery Program) fast ausgeschlossen; wenn überhaupt, so erhalten sie Tropfen.
Staatssekretär Graf: Auch das Abstimmungsgebiet kommt nicht so dran. Ich würde eine praktische Lösung vorschlagen, nämlich, dass man sich mit der Kärntner Landesregierung zusammensetzt und mit ihr das Programm abstimmt. Sie erwarten sich vielleicht mehr, als möglich ist. Es könnten sich zwei oder drei Minister mit zwei oder drei Leuten aus Kärnten beraten.
Figl: Der Wille zu einer Lösung ist seit April vorhanden. Kärnten hat auch einen Teil der Schuld an den Bund zurückgezahlt.
Minister Waldbrunner: Worüber sie sich ärgern, weil sie mehr gezahlt haben, als sie jetzt bekommen sollen.
Figl: Wir werden schon einen Weg finden, dass sie etwas kriegen.
Minister Waldbrunner: Es wäre nicht notwendig, dass man ihnen weniger gibt, als sie zurückgezahlt haben.
Figl: Wir werden sehen.

Schließlich beschloss man, mit den Kärntner Vertretern der beiden Regierungsparteien das Programm für den 10. Oktober festzulegen. Bei den Veranstaltungen sollte „jedwede aggressive Note“ vermieden werden. Am Feiertag selbst betonte Figl die Notwendigkeit der „Liebe und Treue zum Vaterland Österreich“, mahnte aber auch, dass Kärnten ohne „Disziplin und Vertrauen“ keinen Sieg hätte erreichen können. Der befürchtete Eklat blieb aus. Die Agitation des VdU hatte nur mäßigen Erfolg, und ausBelgrad berichtete Braunias mit Erleichterung, dass der „10. Oktober gut überstanden worden ist“. Die jugoslawische Presse habe ihm viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt als der katastrophalen 2:7-Niederlage der jugoslawischen Fußball-Nationalmannschaft in Wien zwei Tage zuvor.

Längerfristig gewannen die Deutschnationalen und ehemaligen Nationalsozialisten jedoch die Oberhand. Wir wissen zwar nicht, wer die „heißen Köpfe“ in Klagenfurt waren, die Gruber abkühlen wollte, es ist aber anzunehmen, dass er jene ÖVP-Politiker im Auge hatte, welche die Partei in eine betont deutschnationale Richtung führen wollten. Das bedeutete vor allem ständige Angriffe gegen die zweisprachige Schule in einer Weise,die sich von der Politik des VdU (später der FPÖ) kaum unterschied. Zwei der prominentesten waren der routinierte Volkstumspolitiker Hans Steinacher und der ehemalige Landeshauptmann und Obmann des deutschnationalen Landbundes Vinzenz Schumy, beideVeteranen des Abwehrkampfes.

Obwohl von nationaler Ideologie getrieben, kam es wohl einer Verharmlosung gleich, sie und ihresgleichen als bloße Hitzköpfe zu sehen. Was sie in den folgenden Jahren betrieben, war eine rational kalkulierte Lobby-Politik, die den Kampf gegen die zweisprachige Schule zu einer gerechten Sache und historischen Verpflichtung der Abwehrkämpfer stilisierte. Dagegen blieben die slowenischen Funktionäre, egal, ob links oder katholisch, zu inneren Feinden dämonisiert, Randfiguren der Landespolitik. Versuche, der Politik der Unruhe entgegenzutreten („Die Presse“ schrieb im Juli 1956: „Titos Infiltration findet nicht statt“), waren relativ unwirksam.

Im September 1958 kam es schließlich zur Demolierung der zweisprachigen Schule, nachdem Landeshauptmann Ferdinand Wedenig (SPÖ) Eltern die Möglichkeit der „Befreiung“ beziehungsweise Abmeldung ihrer Kinder vom zweisprachigen Unterricht gegeben hatte. Nach einer kurzen, aber effektiven Kampagne deutschnationaler Aktivisten wurde den meisten slowenischen Eltern „nahegelegt“, ihre Kinder abzumelden. Die Zahl der Kinder im zweisprachigen Unterricht fiel von mehr als 12.000 auf etwas mehr als 2000. Trotz einiger Bedenken wurde dieser massive Germanisierungsschub in Wien als Fait accompli hingenommen.

Zum 40. Jahrestag der Volksabstimmung gab es auf deutschnationaler Seite daher einiges zu feiern. Die offiziellen Festlichkeiten im Oktober 1960 wurden nun von Franz Koschier organisiert. 20 Jahre vorher war der manchmal als „Kärntner Trachtenpapst“ apostrophierte Volkskundler als NS-Kreishauptamtsleiter für die Einstampfung slowenischer Bücher verantwortlich gewesen, südlich der unantastbaren Grenze, im deutsch besetzen Slowenien. Beim Kameradschaftstreffen am Ulrichsberg betonte Karl Fritz, Veteran des Abwehrkampfes, Weggenosse Stein- achers und ehemaliger SS-Mann, dass „der opferreiche Waffengang den Abstimmungserfolg im Jahr 1920 erst ermöglicht“ habe.

Die wissenschaftliche Flanke der Politik der Unruhe wurde sichtbar, als Nicht-Kärntner Historiker, etwa Karl Stuhlpfarrer, begannen, diesen unbeweisbaren Slogan zu hinterfragen. Der führende Kärntner Landeshistoriker, Wilhelm Neumann, sah darin nur eine „von außen in das Land hereingetragene Diskussion“, die „beträchtliche Unruhe“ ausgelöst habe. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.