Erloschen

Der Dienstmann: Ein Sketch des Jahres 1923 machte ihn zur Verkörperung des Wienerischen schlechthin. Der Anteil von Juden am Dienstmann-Gewerbe war nicht unerheblich. Vor 1938. Hinweise zu einer ungeschriebenen Geschichte.

Der Dienstmann“: Spätestens seit 1923, seit dem berühmten Auftritt von Hans Moser alias Johann Julier mit dem gleichnamigen Sketch in der Ronacher-Revue „Wien, gib' acht!“, galten diese Straßentypen mit roter Schirmkappe und Nummernschild, die an ihren fixen Standplätzen auf stark frequentierten Orten private Aufträge jeder Art übernahmen, als Verkörperung des Wienerischen schlechthin.

Dass diese Leibdienerei auch von Personen jüdischer Abstammung ausgeübt wurde, wird nur jene überraschen, die noch immer dem falschen Klischee vom jüdischen „Handle“ nachhängen und den Beitrag des Judentums zur „Mischkulanz“, zu Wiener Dialekt und zur einheimischen Küche nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Wie viele jüdische Dienstmänner es gab? In den Archiven der Hauptverwaltung (heute: Magistratsdirektion) der Stadt Wien werden Listen erwähnt, die an die Vermögensverkehrsstelle und die Deutsche Arbeitsfront zwecks Konzessionsentziehung weitergeleitet wurden. In den Protokollbüchern der zentralen Gewerbebehörde tauchen Eintragungen wie „Dienstmann-Gewerbe, Rücklegung“ und „Dienstmann – Überprüfung des Standplatzes“ auf, die eindeutig auf „Arisierungen“ hinweisen. Die Unterlagen selbst sind verschwunden.

Das Zentralgewerberegister verzeichnet unter „Reg.Zl. 1346/k/21“ die Berechtigung einer Goldberg und Co. OHG (Inhaber Josef Goldberg und Josef Halpern) zur „Besorgung von Boten- und Trägerdiensten unter Verwendung von Hilfspersonal mit der Einschränkung auf die Beförderung von 15 kg“. Dieses Unternehmen eignete sich bereits am 13. April 1938 ein Major a. D. Gustav Rost als Zwangsverwalter an. Die Liquidierung der Firma beim Handelsgericht erfolgte am 4. Februar 1939.

Aber selbst diese fragmentarischen Unterlagen berechtigen zur Annahme, dass bei den Dienstmännern der Anteil von Juden vor 1938 nicht unbeträchtlich war – wie bei allen anderen Angehörigen des sogenannten Straßenvolkes (ein Sammelbegriff, den Henry Mayhew in seiner 1860/61 veröffentlichten klassischen Studie über „Die Armen von London“ entwickelte). – Mitte 1940 rapportierte Gauleiter Baldur von Schirach: „Die Verjudung Wiens, die jahrhundertelang sehr beträchtlich war, ist seit der Machtergreifung des Nationalsozialismus sehr zurückgegangen. Nach dem Weltkrieg hatte Wien ein Maximum von 200.000 Juden, gegenwärtig sind es nur mehr etwa 55.000, und diese noch übriggebliebenen Juden sind so überaltert und arm an Nachkommenschaft, dass man tatsächlich von einer bereits erfolgten Lösung des Wiener Judenproblems sprechen kann.“

Ab 4. Oktober 1940 begann die Zwangsdeportation der „Übriggebliebenen“ ins „Generalgouvernement Polen“.

Wenige Tage später, am 26. Oktober 1940, nahm die Hauptverwaltung zu einer Liste „Jüdischer Dienstmänner“ Stellung, die schon „vor längerer Zeit der Deutschen Arbeitsfront übersendet“ worden war. Der Magistrat kommentierte lapidar: Von den acht namentlich angeführten seien nur mehr „zwei Konzessionen, und zwar die des Ignaz Israel Pokart und die des Wolf Israel Steinberg, noch aufrecht“: „Die übrigen Konzessionen sind durch Tod, Zurücklegung oder Zurücknahme infolge Nichtbetriebes erloschen.“

Gleichzeitig meldet die Stadtverwaltung massive rechtliche Bedenken an, ob die „Abwicklung“ jüdischer Dienstmänner überhaupt in die Kompetenz des Magistrats falle:

„Die Abwicklung der Gewerbebetriebe jüdischer Dienstmänner aufgrund der Verordnung Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 633/1938 fällt nicht in die hä. Kompetenz, sondern in die der staatlichen Verwaltung.“

Diese am Legalitätsprinzip orientierten Einwendungen fanden offenbar keine Beachtung, denn am 10. Jänner 1941 ergeht die Vollzugsmeldung:

„Hierzu wird ergänzend berichtet, dass von den zwei letzten jüdischen Dienstmännern Adolf Steinberg lt. Schreiben des Gauamtes für Rassenforschung vom 17. September 1940, Zl. Sippe Se/Hr/40 als Mischling I. Grades zu werten ist und nicht als Jude gilt, während Ignaz Israel Pokart seine Konzession heute zu h.a. Zl. HVO 3/IV P 4/41 zurückgelegt hat. Somit ist das Dienstmanngewerbe in Wien restlos entjudet.“

Die „arischen“ Dienstmänner konnten übrigens ihre traditionelle Tätigkeit kaum länger als ihre jüdischen Branchenkollegen ausüben. Denn die Nationalsozialisten benötigten jeden Mann und jede Frau des „Straßenvolkes“ für den Kriegseinsatz.

1952 erstanden die Wiener Dienstmänner in der von Franz Antel gedrehten Verwechslungskomödie mit Hans Moser und Paul Hörbiger auf Zelluloid wieder. Zu den Juden dieser Branche findet sich darin kein Sterbenswort – und das, obwohl Johann Julier durch die von den Nazis erzwungene Trennung von seiner jüdischen Ehefrau, Blanca Hirschler, für deren Tragödie eigentlich hätte sensibilisiert sein müssen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2010)

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