Almkanal und Attika

Immer diese Geplänkel rund um Salzburgs Festspielhäuser: um die Steilheit von Zuschauerparterres, nicht abgehaltene Wettbewerbe, überschrittene Kostenvoranschläge. Wird Salzburg zu Tode kritisiert? Korrekturen eines ehemaligen Holzmeister-Mitarbeiters.

Es dürfte im Jahr 1953 gewesen sein, als in der damaligen Bundesgewerbeschule, der heutigen HTL in Villach, Clemens Holzmeister einen Lichtbildvortrag über seine Arbeiten hielt. Er galt wenige Jahre nach dem Krieg eindeutig als dieArchitekturautorität im wiedererstandenen Österreich. Viele Architekten, die ihm diesen fragwürdigen Titel hätten streitig machen können, waren Opfer der eben erst vergangenen Katastrophenjahre geworden.

Da stand nun Holzmeister mit dem sicher nicht nur uns beeindruckenden schlohweißen Haar und erläuterte die Entwicklungsphasen der Salzburger Festspiele. Diese waren zwar von Max Reinhardt geprägt, doch wurde Holzmeisters Hand vor allem in der Felsenreitschule sichtbar. Eigenartigerweise musste zuerst der Widerstand Max Reinhardts umgangen werden. Nach der Methode „Steter Tropfen höhlt den Stein“ wurde schließlich diese einmalige 60 Meter breite Bühne zur Simultanbühne der sogenannten Fauststadt. Dieser holzmeisterliche Geniestreich wurde mir und anderen Jahre später von Festspielpräsident Paumgartner nochmals bestätigt. Durch die Simultanbühne wurde die Technik fast zur Gänze verbannt, denn der Szenenwechsel erfolgte nicht mittels Kulissen, sondern die Schauspieler gingen bei der Szene mit der Linde nach links und bei jener „In der Kirche“ nach rechts, gefolgt von den noch händisch betreuten Scheinwerfern, die die nicht bespielten Bereiche im Dunkel der Nacht ließen.

Dass der Salzburger Regen in der berühmten Szenerie der Felsenreitschule eine Opernaufführung unmöglich machte, bedauerte schon bald Toscanini. So entstanden – nicht nur getragen von Holzmeister, aber hauptsächlich von ihm weiterverfolgt – aus dieser damals nicht zu bewältigenden Situation, die ersten Entwürfe eines großen Festspielhauses. Diese zeigte Holzmeister im Villacher Vortrag, wobeier stets betonte, dass die Zuschauertribünen ähnlich jenen des antiken Theaters so steil wiemöglich zu planen seien, wie er es ja bereits in der Felsenreitschule vor dem Krieg durchgeführt hatte. Ich erwähne dies deshalb, da jetzt Stimmen laut werden, erst Karajan habe veranlasst, das Parterre im großen Haus steiler zu gestalten (dazu dürfte auch ein Missverständnis durch die Autoren des großen Holzmeisterbuches 1986 beitragen).

Die uns im Villacher Vortrag gezeigten Entwürfe waren bereits dem heute existierenden Haus – mit einigen Abstrichen – ähnlich, obwohl Holzmeister zu diesem Zeitpunkt weit entfernt von einem Auftrag war. Er arbeitete sozusagen ohne Netz. Und er verfeinerte in den Jahren danach die uns gezeigten Entwürfe mehrmals und weiterhin auf eigenes Risiko, wie ich später als einer seiner Studenten feststellen konnte.

Die so entstandenen Entwürfe verwendete Holzmeister dazu, in möglichst breiter Front – mit Unterstützung von Paumgartner, Herbert Graf, sehr bald stieß auch Karajan hinzu – nicht nur den Festspielgedanken zu beleben, sondern nach fast 25-jährigen Bemühungen (einschließlich der Jahre der Naziherrschaft) den Bau für das große Haus finanziell abzusichern. Selbstverständlich wollte Holzmeister dafür den Planungsauftrag erhalten. Den bekam er schließlich im Sommer 1956.

Heute wird bemängelt, dass damals kein Wettbewerb stattgefunden hat (so etwa von Norbert Mayr im „Spectrum“ vom 10. Juli). Hätte Holzmeister knapp vor dem Ziel das Projekt für einen Wettbewerb freigeben sollen? Man braucht sich nur in der heutigen Architekturszene, ja bei den Usancen des gesamten Wirtschaftslebens umsehen! Welche Laien des Theaterbaues hätte denn die Jury bilden sollen?

Bereits im ersten Studienjahr fuhr Holzmeister – von uns „Moaschta“ (Meister) tituliert – mit uns nach Salzburg. Es war im Juni 1956, als wir mit dem Italiener Susat, der in Salzburg lebte, zusammentrafen. Er war es 1938, als nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland die Faistauer-Fresken im Foyer vernichtet werden sollten, der diese in einer Blitzaktion ablöste, mit dem vorher aufgeklebten Leinen zu Ballen rollte und in einem Schuppen lagerte. Leider scheiterte diese Methode, denn nach acht Jahren waren nur minimale Teile der Fresken erhalten. Holzmeister erzählte mir, dass er die Idee, einen alten Hof mit den vier vorhandenen unterschiedlichen Fassaden aus der Not heraus zum Foyer umzubauen, von der Franziskanerkirche genommen habe, wo auch Fassaden in den Innenraum integriert wurden. Und Faistauer machte in wenigen Wochen mit Hilfe von Bildprojektionen die vier Fassaden zur Einheit.

Bereits während der Studienzeit besuchten wir immer wieder das Atelier Holzmeisters, in dem vor allem unser Freund Hannes Rotter mit der Einreichplanung befasst war. So konnten wir die Entwicklung mit all den damit verbundenen Problemlösungen miterleben. Holzmeisters Vorstellung, eine möglichst steile Parterreneigung nach antikem Vorbild zu schaffen, scheiterte vorerst am Zwang der vorhandenen oberen Begrenzung durch das Hauptgesimse in der Hofstallgasse. Später – bereits in der Bauphase – war dann die völlig andere Lage des Almkanals die Ursache von Umplanungen, und damit wurde uns auch eine untere Begrenzung zur Last. Der Zuschauerraum konnte nur dann einigermaßen steil geplant werden, wenn ein zusätzliches Attikageschoß aufgesetzt wird.

Das Denkmalamt machte Probleme. Holzmeister fuhr mit allen prominenten Befürwortern seiner Idee auf, unter anderem waren das Paumgartner, Graf, Neher, Karajan. Doch Denkmalamt ist Denkmalamt – bis schließlich auf einem alten Stich der Gesamtansicht der Stadt Salzburg dieses Attikageschoß als ehemals vorhanden zu sehen war. Mittlerweile haben sich mehrere solche Gesamtansichten mit einem Attikageschoß am Gebäude des Marstalles gefunden, man braucht nur das Buch von Peter Weninger, „Österreich in alten Ansichten“, durchzublättern. So kam die Genehmigung desDenkmalamtes zustande.

Wenige Wochen nach dem Abschluss meines Studiums kam ein Anruf von Engele, dem Neffen Holzmeisters: „Der Moaschta möchte, dass du nach Salzburg kommst.“ Damit war ich Mitglied im Planungsteam von Holzmeister. Als ich heuer von meinem Freund Reinhold Bacher, einem Förderer der Salzburger Festspiele, zum 50-Jahr-Jubiläum des Großen Festspielhauses eingeladen wurde, war er es, der feststellte, dass ich wahrscheinlich der Letzte dieses Teams bin. Und ich bin wohl auch der Einzige, der mit den großen Festspielinitiatoren noch persönlich zu tun hatte. Neben Holzmeister waren das vor allem Paumgartner und Graf – und später dann und umso intensiver Herbert von Karajan.

Karajans Anliegen galt der Technik. Und aus der so einfach gedachten Simultanbühne wurde die zu dieser Zeit höchsttechnisierte Bühne der Welt. Darin liegt wohl die Hauptursache der Überschreitung des ursprünglichen Kostenvoranschlages (nicht zu verwechseln mit den allerersten Schätzungen) um das Doppelte. Hier will ich die damals übliche Vergabesituation beleuchten: Holzmeister bekam den Planungsauftrag. Nicht mehr und nicht weniger! Die Kostenermittlung, Bauaufsicht und die Abrechnung lag in den Händen des Bautenministeriums – wie man meinte, um Kosten zu sparen. Ich jedenfalls kann mich nicht erinnern jemals einen Einspruch seitens der Vertreter des Ministeriums gehört zu haben. Die Zusammenarbeit war absolut harmonisch. Wir mussten unsere Planungstermine einhalten. Die unterboten wir sogar manchmal. Terminprobleme bereitete allerdings der in alten Planunterlagen falsch eingezeichnete Almkanal, der umfangreiche Umplanungen erforderte.

Selbstverständlich wurden die reinen Technikpläne von den beauftragten Firmen entwickelt und gezeichnet, die gesamte Bühnentechnik zum Beispiel von der ausführenden Firma, Waagner-Biró, die mit diesem Werk ihren Weltruf begründete. Wir Architekten mussten allerdings kontrollieren, ob die Maße dieser technischen Anlagen mit unseren Baumaßen korrespondieren. Es geschah immer wieder, dass es zu diesbezüglich notwendigen minimalen Änderungen kam, eine auch heute übliche Vorgangsweise. Diese zur damaligen Zeit nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland übliche Arbeitsteilung hat sich als so fehlerhaft erwiesen, dass es – allerdings erst zwei Jahrzehnte später – durch die Bildung eigener Planungsbüros für Haustechnik und weitere Aufgliederungen zu einer wesentlichen Verbesserung der Bauabwicklung kam. Dass noch immer diesbezügliche Probleme auftreten, sieht man besonders gravierend am derzeitigen Bauabschnitt des Flughafens Schwechat mit einer Kostenexplosion, die nach den heutigen Vergaberichtlinien in diesem Ausmaß auszuschließen wären.

Unsere Zusammenarbeit mit Herbert von Karajan war überaus interessant. Er hatte ein unglaubliches technisches Wissen. Auf seinen „Speiszetteln“ – wie wir sie nannten – standen Fragen zur Bühnentechnik, zur Beleuchtung, zur Tonaufnahme oder auch zur Akustik. Bei der Bewältigung akustischer Probleme setzte Holzmeister – basierend auf den Erfahrungen, die er beim kleinen Haus und seinen Kirchen machte – in verstärktem Maße auf Holz. Im Gegensatz dazu wollten die beiden berühmtesten Akustiker (Prof. Schweiger, Wien, und Prof. Keilholz, Deutschland) Karajan mit den unterschiedlichsten und auch teuren Lochplattensystemen überzeugen. Da ich die Pläne am Besprechungstisch aufgelegt hatte, saß ich zwischen den beiden Kapazitäten, und mir gegenüber hatte Karajan Platz genommen. Ich muss bei den Erläuterungen der beiden nicht besonders glücklich gewirkt haben, denn Karajan sprach mich mit der Bemerkung an, dass ich nicht überzeugt wirke. Und mir fiel eine Antwort ein, über deren Präzision ich mich noch heute wundere: „Wissen Sie, Herr Professor, wenn Sie ein absolut spiegelbildliches Gesicht sehen, wird es uninteressant wirken. Ein interessantes Antlitz ist dagegen leicht asymmetrisch. Und so würde ich auch die konvexen und konkaven Schalltafeln anordnen!“ Mit seiner schnarrenden Stimme meinte Karajan: „So machen wir es.“ Die beiden Professoren hätten mich jungen Planer wohl am liebsten „erwürgt“ . . .

Holzmeister war immer bestrebt, jungen bildenden Künstlern, aber auch den arrivierten Gelegenheit zu geben, am Erscheinungsbild von Kirchen und Theaterbauten mitzuwirken. So hatte ich am Rande mit Hoflehner, Leinfellner oder Bertoni zu tun, die damals noch am Beginn ihrer Karriere standen. Den berühmten Namen Wotruba sucht man allerdings vergeblich. Wotruba erschien eines Tages auf eine Einladung hin bei Holzmeister in Salzburg. Einige von unserem Planungsteam waren mit den Plänen beim Gespräch. Wotruba meinte gleich zu Beginn, dass er die gesamte künstlerische Gestaltung machen wolle – oder gar nichts! Darauf Holzmeister: „Dann lieber Freund eben gar nichts!“ So hat Hoflehner statt Wotruba den eisernen Vorhang geschaffen.

Holzmeisters Idee der Simultanbühne ist durch das Spielen mit den überreich vorhandenen technischen Mitteln wohl „verspielt“ worden. Jedenfalls habe ich seine Idee nie verwirklicht gesehen. Holzmeister hat dies erkannt und die schon vor dem Krieg geborene Idee einer soliden, aber einschiebbaren Dachkonstruktion für seine „Lieblingsbühne“, die Felsenreitschule, als über 80-Jähriger unter Mitarbeit meines Freundes, des Architekten Pointner, verwirklicht. Vielleicht wird man in späteren Jahren wieder die Fauststadt aufbauen und so ein Erlebnis der besonderen Qualität anbieten.

Herbert von Karajan hat im Werk Holzmeisters die Chance erkannt, die Festspiele zu revolutionieren. Und er führte sie ab 1960 für fast 30 Jahre zu neuen Höhen, die wohl ohne das große Haus nicht erreichbar gewesen wären. Zur Erinnerung sei festgestellt, dass die großartigen Festspiele in der Reinhardt-Periode rund 15 Jahre bestanden.

Mir ist leider aufgefallen, dass der zweifelsohne große Gedanken, Salzburg zum Mittelpunkt der Spiele zu machen, zu Tode kritisiert wird. Was hat das provinzielle Geplänkel mit dem Denkmalamt, was hat das kritisierende Hinterfragen nach der Steilheit des Zuschauerparterres, die Wettbewerbsfrage mit der positiven Aufbruchsstimmung eines Max Reinhardt nach dem Ersten Weltkrieg und eines Clemens Holzmeister in einem noch durch Bomben geschädigten Salzburg zu tun? Hier sind die wahren Ursachen dafür zu suchen, was die künstlerische Weltgeltung ins Land brachte, das sollte nicht vergessen werden. Und sie sind von einem positiven Geist getragen worden.

Ein Theaterbau, ein Opernhaus kann überall errichtet werden, die Ausnahmewirkung der Stadt an der Salzach ist nicht zu wiederholen. ■

FESTSPIELHÄUSER. Die Debatte

Am 10. Juli skizzierte Norbert Mayr im „Spectrum“ eine Baugeschichte der Salzburger Festspielhäuser, die Hans Krebitz zu seinem Beitrag anregte.

Hans Krebitz, Jahrgang1935, Mitarbeiter in Holzmeisters Planungsbüro, ist Architekt, Bühnenbildner, Maler und Schriftsteller. Lebt in Baden bei Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2010)

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