Der Weg durch den Schnee

Wenn ich an ihn denke, dann sehe ich seltsamerweise: Schnee. Kontradiktorische Einvernahme, zu Michael Scharang, zum 70. Geburtstag.

Wenn ich an meinen altenFreund Michael Scharangdenke, dann sehe ich seltsamerweise: Schnee. Und ichsehe eine Spur, die gezogenwird, doch ich glaube, ich sehe nur die Spur, weiß aber, daß rundherum Schnee sein muß,sonst würde man diese Spur ja nicht sehen können. Ich habe mich längst abseits im Tiefschnee verloren und sehe schon gar nichts mehr, aber an der Spur, die er vorgespurt, nein, nicht: vorgespürt hat (es ist aber trotzdem mehr ein Spüren, als daß die Kanten derSchi wirklich hineinschneiden hätten können), kann ich mich vielleicht noch orientieren, damit ich irgendwie rüber-, runterkomme, rauf gehts nicht, da sind andre Bewegungen nötig als das Fahren, da ist eher das Steigen gefragt, das Aufsteigen, aber wohin, wozu? Damit man dann doch nur wieder runterkommt und sich verliert, wie in meinem Fall, und ich bin schon verloren genug. Aber Michael Scharang setzt die sicheren Tritte hinauf und die sicheren Fahrten (wenn auch in ungesichertem Gelände) hinab und weiß, was da ist, wo man hin muß, bis man dann einmal dahinmuß, davonmuß, damit man seine nein, nicht Kreise, denn die Kreise, in denen es sich abspielt, die Arenen sind längstandere, und wir beide gehören nicht hinein, wir haben uns offenbar für die Eintrittskarten nicht rechtzeitig angestellt (oder wir haben uns sonstwie blöd angestellt, und derZug der Zeit, mit dem wir zurückfahrenwollten, ist jetzt auchweg), damit man alsovielleicht seine Furchen (bei mir: Furcht, beiihm aber nicht, keineFurcht, nirgends), seine Spur dahinziehen undsie hinter sich wiederschön einrollen kann. Essoll einem ja niemandauf die Schliche kommen, die keine Schliche sind, sondern ganz offen daliegen, und es ist nicht der Fahrer, der daliegt (ich liege leider schon lange da, daneben, aber das macht nichts; wenn ich wieder aufstehe, wird er mir gewiß sagen – es ist nicht verboten, mit diesem Fahrer zu sprechen! –, wo es weitergeht, aus dem Loch heraus, das ich mit meinemKörper gegraben habe, nein, das mein Körper gegraben hat, das hat keine Mühe gemacht, denn der Körper ist so schwer, der macht schon ganz von alleine ein Loch, wenn er fällt, und der Körper, als das einzig Sichere, wenn auch nicht Feste, das man hat, weiß es, man muß ihm folgen, aber vorausrennenkann er einem auch nicht; was der Körper tut, das ist vernünftig wie, laut Brecht, der Kommunismus, was angeblich für diesen spricht, der Körper weiß es einfach, und den Körper hat man nun einmal und nur einmal).

Eine Spur im Schnee, da sollte mir wenigstens einmal nicht Robert Walser einfallen, den der Tod als Spur aus der Spur ins Weiße geworfen hat, ja, der, mit seiner winzigkleinen Schrift in den Mikrogrammen (nicht der Tod, der schreibt immer nur mit Großbuchstaben und unterstreicht sich selbst dazu), die nur wenige entziffern können. Und da fällt mir die Vergeblichkeit der Kämpfe ein, an denen auch ich teilgenommen habe, also das Gegenteil von Spuren. Diese Spuren sind verwischt. Die Kämpfe haben wir im Körper getragen, nicht an unserenKörpern, denn da hätten wir sie leichter von uns werfen können, Ballast abwerfen, und allein weiterfahren, erleichtert, die Spur wäre dann nicht so tief gewesen, wenn wir wenigermitgeschleppt hätten, aber wir wären dafür schneller vorwärtsgekommen, wohin? Das wäre uns schon noch gesagt worden. Das,was wir wollten und wohin wir wollten, haben wir nicht erreicht. Andere haben es erreicht, doch das ist etwas anderes, und sie haben ja auch etwas anderes erreicht. Aber Michael Scharang weiß (und es ist sicher bezeichnend, daß er sein kleines Manifest, das er vor einiger Zeit verfaßt hat, „das rasante Tempo des langsamen Niedergangs“ genannthat, ein Manifest, in dem er alles sagt, was zu sagen ist, ich wollte, ich könnte das auch, etwas sagen, das alles ist, was zu sagen ist; das klingt sehr einfach und ist das Schwerste, aufetwas zu zeigen wie in einem Geschäft und zu sagen: Das will ich und das dort auch. Dasbrauche ich, und wenn ich es habe, dann ist es das und ist es das gewesen. Ich meine, dann wars das. Das habe ich immer ammeisten an diesem Autor bewundert, daß er es weiß und dann auch sagen kann. Ich kanndas nicht. Meine Spur ist eben leider die abgebrochene, von der aus nichts weiterführt, kein Aufbaustudium des Sozialismus und keine Prüfung, oder nein, nur Prüfungen, aber kein Ergebnis), Scharang weiß es, er kennt auch die Differenz zwischen Dichten und Denken, die durch ein Dunkel auseinandergehalten werden, das er durchdringt, wenn er seine Bezugs-Scheinwerfer einschaltet, die bei ihm nicht bloß rückbezüglich sind,sondern erhellend, egal, wohin er sie richtet, und er kann auch sagen, was er weiß.

Seltsam, daß man das Werk eines Schriftstellers auf diesen Punkt bringen kann, und man kann das auch bei den wenigsten. Die einen wissen es zwar, können es allerdings nicht sagen. Die andren sagen viel, wissen aber nichts, nein, sie wissen es nicht, und daher ist auch ihr Sagen zwar oft faszinierend und interessant oder schön, doch es weiß nicht von sich und nicht von etwas. Scharang ist ein Dichter, der nicht auf Worte verzichtet, was nicht dasselbe ist wie einer, der auf kein Wort verzichtet. Er muß ja auch nicht verzichten, denn er kennt die Worte, und wenn er sie braucht, weiß er, wo er sie herholen kann. Und er bindet die Worte an gesellschaftliche Verhältnisse, die das Gegenteil von Gesellschaft sind. Oder sind sie gerade das Bewußtsein, eben nicht dazuzugehören, sprechen sie davon? Ja, das verbindet Scharang und mich: das Wissen, nicht dazuzugehören (oder zu etwas, das es nicht gibt), aber von außen hineinzuschauen, um die Bedeutung der Dinge zu verstehen. Wie sie miteinander verbunden sind (untereinander sind wir auch verbunden, aber mit seiner blöden Spur ist er eben viel weiter vorn, ich kann ihn da nicht einholen). Er hat mit der Sprache seine Erfahrungen gemacht, und für ihn waren es gute Erfahrungen, denn diese Sprache, sie trägt, sie taugt ihm (sagt man auf dem Land zu etwas, das ei- nem gefällt), und er weiß auch, wofür sie taugt.

Wir waren beide einmal Teil einer Bewegung,ich bin es nicht mehr, Michael ist es in gewisser, skeptischer Weise noch immer, ich lieg da dumm im Schnee herum, und er fährt und schaut sich dabei die Gegend an. Unter dem Loch, das mein Sturz vorhin in den Schnee gegraben hat, sind noch so viele andre Höhlungen, die wieder zugeschneit wurden, schon längst. Wir stehen oder liegen nicht auf anderen, auf den Schultern anderer, wir graben uns eher Löcher auf Löchern, und noch weiter drunten sind die Gräber. Wir sitzen gemütlich und recht bequem auf Toten. Die Opfer der Klassenkämpfe neben denen, die ihre Klasse wiederholen mußten und trotzdem nichts kapiert haben, das gibts doch nicht! So viele Tote! Das müssen ja schon mehr als die Lebenden sein! Da muß doch einer eine Ordnung hineinbringen, die sind ja alle total gemischt! Und neben uns, neben dem Menschengebirge, die Gräben, die auch jemand gezogen hat, es sind ja alles nur Spuren, und die Sprache ist die stärkste und gleichzeitig die schwächste unter den Spuren, die hinterlassen werden; so flieg du flammende, du rote Fahne voran dem Wege, den wir nicht mehr ziehen, jetzt lassen wir schon lieber uns von anderen ziehen, ja, gern auch von einem Schlepplift, und wieder rein ins weiße Vergnügen (obwohl so viele den Weg entlang gezogen sind, an sich gezogen haben, um passend zu werden für die Revolution, oder das, was wir uns darunter vorgestellt haben, denn wir würden es natürlich besser machen!, aber da waren die vielen Körper, und die waren im Weg, und nicht in dem Weg, den sie gezogen sind, sondern immer im Weg, den andre gezogen haben wie eine Furche, ja, der Weg ist ein Graben, was den Vorteil hat, daß man nicht abweichen kann, im Gegensatz zur Straße, und die Gräber folgen uns, brav wie Hunde, endlos weiter), wir denken nicht über den Weg nach, wir wissen ja, daß das Vergnügen für die meisten im Bergabrasen besteht, aber wir denken den Weg nach, den die andren gegangen sind, die längst fort sind, diejenigen, die man nicht sieht, weil sie eben nicht mehr da sind, und wir bewegen uns in den Spuren unruhig hin und her, wie Schlaflose. Bis wir eine eigene Spur gefunden haben, die sich dann als eine herausstellt, die wir selber gemacht haben. So. Und da sind die beiden Parallelfurchen im Schnee ja schon, die Michael Scharang gezogen hat. Wir sind in (nicht: von!) diesen Spuren von Menschen ganz umzingelt, aber keiner von ihnen will, was wir wollen. Ich bin ja schon still. Scharang ist es zum Glück nicht. Denn er bedenkt den Weg dieser Bewegung beim Bewegen bereits mit, er ist vielleicht sogar die Form, er ist diese zwei Linien, die scheinbar der Schnee selbst hervorgebracht hat, aber es war der Dichter, der sie geschrieben hat, und diese Spuren sind es auch, die er jetzt auf sich selbst und in sich selbst, wenn auch nicht eins mit sich, hinunterrast (während ich das formlose Loch bin, das sich auf halbem Weg gegraben hat, ein Loch, in sich selbst eingegraben, eine Hohlstelle, die nichtdurch etwas Festes hervorgerufen wurde, sondern einfach etwas Leeres ist inmitten einer riesigen Fläche, die nach den Spuren der Menschen schreit, die nicht wissen, wie man das macht: eine Spur hinterlassen, was, das soll ich gewesen sein? Unmöglich!), er beobachtet die Bewegungen, er beschreibt sie, auch seine eigenen, die er nicht sieht, nur macht, er beschreibt Menschen, die ihnen unterliegen, weil sie keine eigenen Bewegungen zustandebringen, das macht aber nichts, sie haben ja ihn, den Erzähler, den Berichterstatter, der ihnen ihre Bewegungen zumißt und zuweist. Weil er es weiß. Für das Denken gehört die Spur im Schnee in eine Landschaft, die schon vor jedem Gedanken mit diesem Schnee überzogen war. Immer schon. Eine Freiheit, die vor langer Zeit erst gegraben werden mußte, mit der Schaufel, damit man etwas auf den Grund gehen kann,mit Schiern, um drüber wegzuzischen und mehr zu sehen (und es schneller zu sehen, im Ablauf, im Lauf, was andre nicht sehen können), oder um mit sich jetzt einfach dieses Loch zu machen (ich), wo man versuchen muß, sich am Rand irgendwie hochzustemmen, damit man überhaupt die nächste Umgebung überblicken kann, aber der Schnee ist zu weich, wie soll man sich daran hochziehen? Egal, man wird sowieso wieder zurückgeworfen werden.

Was man sich erfährt, das erfährt man auch, könnte man vielleicht von MichaelScharang und seinem Schreiben sagen, dennder Raum, den man sich beim Abwärtsgleiten er-fährt, ist immer nur der, den man sich selber freigegeben (eingeräumt?, nein, noch nicht eingeräumt!) hat, und da ist dieser Schriftsteller immer freigebig zu sich gewesen. Da hat er sich genommen, was er gebraucht hat. Er hat sich große Räume zugeteilt, zuletzt, in seinem Roman „Komödie des Alterns“, eben: das Altern. Die meisten kennen es, viele können etwas darüber oder dazusagen, aber was Scharang dazu zu sagen hat, ist eine Wahrheit, die aber gleichzeitig so paradox und skurril ist, daß sie keine mehr sein kann (oder die einzig mögliche), die sich in Konstruktionen, nein, in Konstrukte hineinschraubt, welche, in ihrer seltsamen Kreisbewegung, fallen wie Mikadostäbe auf einer Fläche, die aber nie stillhält, sodaß am Endedas Eine das Andere wird, die Parameter des Erzählens wieder in alle Richtungen auseinanderfallen wie diese dünnen Stäbe, also das Ende auch wieder ein Anfang wird, nur umgekehrt, in umgekehrter Richtung, die Parodie eines Endes, das, auch wenn es sich noch so bemüht, kein echtes Ende geworden sein wird. So wie Walter Benjamins Engel der Geschichte ja auch in die Vergangenheit zurückschaut, nicht nach vorne, sichvon etwas entfernt, worauf er starrt, so wie das Ende das Altern auch wieder aufhebt, daß also die Wahrheit, daß jeder Mensch altert, wenn er nicht vorzeitig stirbt, gleichzeitig bedeutet, daß jeder Mensch immer wieder anfänglich ist – was er nicht weiß –, weil das Ende eben ein Anfang sein kann, der nur ganz woanders stattfindet und woanders hinführt, denn das Zurück ist ein anderes, weil der Anfang zu einem anderen wird; also dieser Anfang wird auf jeden Fall anders sein als der ursprüngliche Anfang und woanders wird er auch stattfinden, aber nicht fern und nie fern den Ruinen undTrümmern, auch wenn er z. B. in der Steiermark gut abgelegen sein mag. Ja, wir reden hier immer noch von derWahrheit und bleibenauch bei ihr, die sich vielleicht vor ihm verbergen wollte, die ihrGesicht verschleiert hatte, damit er sie nichtsieht und dann womöglich noch in sie hineinwill, dieser Schreiber,was bildet der sich ein, aber der ist ein Schleierzerreißer, sodaß das, was sich ihm nicht klarmachen will, sogar das Wetter vorschützt, damit dieser Schütze nicht genau zielen kann, weil alles so diesig und verschwommen ist, aber auch dem Wetter kann kein wirkliches Sich-Verbergen gestattet werden. Das muß alles weg, damit etwas darüber gesagt werden kann, egal, ob sich das, was beschrieben und geschrieben werden soll, selbst verbirgt, oder ob andere es sind, die es vor ihm und uns geschickt verbergen. Alles muß raus, aber nicht im Sinn eines Ausverkaufs, eines Saison-Schlußverkaufs, sondern weil alles, was gesagt werden kann, auch gesagt werden muß. Das ist man sich schuldig. Das ist man den Schuldigen, die die Unschuldigen gemacht haben, schuldig. Und das, was man weiß, erst recht. Denn es ist immer das, was man überhaupt wissen kann. Diese Gegend muß für den Benützer Scharang freigegeben werden, sie hätte auch keine Chance, denn er gibt sie sich selber frei, das überläßt er keinem anderen.

Und während Userin Jelinek ihr Password vergessen hat und noch um die Zugriffssperre herum probiert, welches es wohlsein könnte, welches nach all den Kämpfen noch passen könnte, aber das Passwort heißt ja nicht so, weil es paßt (es paßt nur für den einen User und seine eine Datei), sondern weil es nur für den einen paßt, der es sich, unter allen Wörtern, die es überhaupt gibt, geholt hat, nicht ausgedacht, geholt!, schreibt der Dichter Michael Schrang schon das, was etwas vor ihm verborgengehalten hat, das kann er nicht erlauben, bloß weil andre es sich erlaubt haben, er schreibt es um, nicht im Sinn von ändern, sondern im Sinn von umbringen oder umkegeln oder umschmeißen, er schreibt es neu, nein, nicht neu, er schreibt es einfach, nein, auch nicht einfach. Er schreibt es halt. Wie soll ich es anders sagen? Besser kann ichs eh nicht. Er ist nicht der Fall mit dem Hintern in den Schnee (wie bei mir), der von Glätte zu einer Unform wird, aber wenigstens nicht zu einer Uniform, sondern es ist alles, was der Fall ist, was er schreibt, und wenn einmal dieses Verbergende, Verschleiernde weggerissen ist, so wie dieser Autor das entschlossen macht, dann ist er selbst die Bewegung, die er beschreibt, und dann ist er selbst der Weg durch den Schnee, ist er die beiden schmalen parallelen Spuren im Schnee. Das ist nicht viel, das ist vielmehr alles, denn diese zwei schwachen, gleichförmigen Spuren, in denen und mit denen es runtergeht und die er gemacht hat, sind der einzige Weg, hineinzukommen, wohinzukommen, etwas zu sagen, das man sich selber freigeräumt hat, durch das eigene Gewicht im Fahren, im Erfahren; man ist selbst derjenige, der sich erfährt, weil man den Mut hatte, sich selbst zu erfahren, und damit gehört es einem, gehört es einem Dichter, wie Michael Scharang einer ist. Na ja, uns gehört es schon auch. Ich habe, während ich da im Schnee sitze und kaum oben rausschauen kann, die Sicherheit, daß das, was dieser Autor gedacht hat, auch gemacht hat, daß er dorthin gelangt ist, wo er jetzt ist, und das heißt, das durchzuführen, wasman sich vorgenommenhat, und dieses Sich-etwas-Vornehmen bedeutet, daß es vernommen werden kann, daß das, was uns umgibt, zumVerhör gebracht werden kann, und alles, was es sagt, kann sofort wieder gegen es verwendetwerden, es kann vernommen werden, von allen, und gegen alle verwendet werden, es kann einvernommen werden, aber das ist bei Scharang das Gegenteil von: einvernehmlich. Jede falsche Einigkeit muß zerstört werden, damit man etwas vernehmen kann, was in keinem Einvernehmen mit dem steht, was alle wissen, und sein Besinnen ist das Gegenteil von Besinnlichkeit. Es stimmt nichts mehr, wenn alles stimmt. Es ist egal, ob jemand mit einstimmt. Nur der Schnee ist da und diese leichte Spur, die aber sicher ist, denn sie ist ja selbst der Weg, den sie vorspurt.

Ich sehe ihn kaum noch, ich sehe kaum was, aber ich weiß, daß da ein Freund ist, der den Weg kennt. Wenn er unten angekommen ist, wird er mir sagen, wie auch ich dorthin komme, wie auch ich dorthin gelange, ohne daß ich an irgendwas ankomme, das will ich vermeiden, denn ich streife nicht gern an etwas an. Mir graust so leicht. Der Dichter aber fährt selber Streife, und er zieht Streifen, er beobachtet, er scheut nichtsund niemanden, er sieht und er berichtet. Er schreibt es auf. Da können sich noch so viele Scheine (nein, nicht: Scheinchen!) undAnscheine vordrängen und schreien, sie wären die Richtigen, womöglich die einzig Richtigen, aber Scharang braucht nicht alle Richtige, um zu wissen, was richtig ist, und das ist nur eines, und das ist, was er sagt, dasist es, was er sagt, das ist, was er selbst dorthin führt, wohin es muß, denn es ist sein Weg, der er ist, und die Sprache ist auch da, schau an, wo kommt die denn plötzlich her?!,die hab ich in meinem Loch ja gar nicht gesehen!, aber jetzt ist sie eben da, gut, nehmenwir sie also mit, es gibt ja genug von ihr, wir haben genug von ihr, die meisten haben längst genug von ihr und verwenden sie gar nicht mehr, denn Sprache ist das nicht, was sie verwenden, aber im Runtersausen hat sich dieser Dichter eine ganze Menge davon geschnappt, denn er weiß, was er damit anfangen kann, und zwar einen Anfang, und er fängt jetzt, wie in jedem Augenblick, an, mit dem, was die Sprache bereithält, zu arbeiten. Das ist Arbeit. So nennt man das. Gut so. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2011)

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