Freiheit? Wovon? Wozu?

Meinungsfreiheit in Zeiten kommerzieller Zwänge: Brauchen wir eine öffentlich-rechtliche Presse?

Erstens. Freiheit der Meinung und der Presse sind blutig erkämpft worden. Die Fronten waren ab der Aufklärung klar gezogen: hie das aufstrebende Bürgertum, das in der Freiheit der Meinung und Bekundung ein Mittel sah, sich selbst zu verständigen und die Verhältnisse nach den eigenen Vorstellung zu ändern, dort das effektive Bündnis von Kirche und Krone, das den herrschaftlichen Status quo bewahren wollte.

Der Elan des aufstrebenden Bürgertums und die unbedingte Forderung nach Freiheit für die Presse wandelten sich aber mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung: In der konstitutionellen Monarchie hatte das Bürgertum wesentliche Positionen errungen, nach 1848 ging es nicht mehr um die Freiheit, jetzt ging es nur mehr um die Ordnung. Man hatte es sich in den Verhältnissen bequem gemacht, und soweit Fragen der Presse und des Verlagswesens zur Sprache kamen, wehrte man sich nur mehr gegen Willkür und amtliche Zumutungen; an der alle sozialen und kulturellen Sphären der Gesellschaft umfassenden Realisierung von Freiheit hatte man das Interesse verloren.

Das Versprechen der Pressefreiheit zerschellte bis 1918 täglich an der staatsanwaltschaftlichen Konfiskationswillkür. Trotz der Verheißungen etwa des österreichischen Staatsgrundgesetzes 1867 war die Herausgabe periodischer Druckschriften bis ins Jahr 1918 faktisch unter der völligen Kontrolle der Behörden. Eine von staatsanwaltschaftlicher Willkür und richterlicher Ignoranz unbeschwerte Presse hat es in Österreich bis zum Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 nicht gegeben; und selbst danach konnte sich das zarte Pflänzchen der Pressefreiheit nur unter widrigen Umständen entwickeln.


Zweitens. Heute schaut – zumindest in Österreich und in weiten Teilen der EU – alles ganz anders aus. Die Befreiung vom Faschismus und die Stabilisierung der parlamentarischen Demokratie, verbunden mit einem fast 60 Jahre währenden wirtschaftlichen Aufschwung, haben Verhältnisse geschaffen, in denen der österreichischen Bevölkerung Freiheiten zukommen, wie sie historisch nie zuvor bestanden. Durch die Stellung von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der in Österreich Verfassungsrang zukommt, und vor allem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und den (zunächst freilich bloß zaghaften) Nachvollzug dieser Rechtsprechung durch österreichische Gerichte haben wir heute einen Zustand erreicht, der – abgesehen von einigen wenigen problematischen Schwachpunkten – wahrlich zu einem „Paradies der Meinungsfreiheit“ geführt hat. Abgesehen von ein paar Ordnungsvorschriften und einigen inhaltlichen Beschränkungen vor allem im Bereich des Persönlichkeitsschutzes darf heute in Österreich (fast) alles geschrieben und verbreitet werden.

Man darf und soll diesen Zustand preisen, allein: Bei näherer Betrachtung stellt sich das „Paradies der Meinungsfreiheit“ als etwas ganz anderes dar. Und wer einen vorurteilsfreien Blick auf die Presse- und Medienfreiheit in Österreich wirft, wer sich die Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich ansieht, der wird auch im Jahre 2009 dem Urteil von Max Burckhard aus dem Jahr 1902 („Der Entwurf eines neuen Preßgesetzes“, Wien 1902) beitreten können: „Das Gute wird bei uns selten um seiner selbst willen gegeben, sondern meist nur dann, wenn es anders schon nicht mehr geht, nur als Lockmittel für andere Zwecke, die direkt zu verwirklichen man nicht die Kraft oder nicht den Mut hat.“

Dieses barsche Urteil mag im Hinblick auf das geltende Mediengesetz und dessen jüngste Novellierungen überzogen erscheinen, und es ist an dieser Stelle auch nicht der Raum, dies weiter zu begründen; in Summe meine ich allerdings darlegen zu können, dass Medienfreiheit in Österreich nicht der Einsicht in die demokratie- und persönlichkeitsfördernden Effekte freier Meinungsäußerung geschuldet war, sondern ganz anderen Motiven.

Wo stehen wir heute wirklich?


Drittens. Die Massenmedien und ihre Zumutungen sind ein notwendiger Bestandteil der Demokratie. Hinter sie führt kein Weg zurück. Gleichzeitig sind sie für alle an Aufklärung, Verständigung und Diskurs Interessierten ein schmerzlicher pain in the neck.So viel Unsinn, so viel Beleidigung der Intelligenz, so viel Zynismus und so viel Verklärung der wirklichen Welt hat es historisch gesehen nie zuvor gegeben. Und eine Befreiung davon ist unmöglich.

Die modernen Massenmedien wirken auf alle, die sich ihnen aussetzen (müssen), wie Alkopops, jene spirituosenhaltigen Süßgetränke, die besonders auf Jugendliche eine kaum zu stoppende Anziehungskraft ausüben. Immer wieder wird man versuchen, den gröbsten Auswüchsen mit rechtlichen Mitteln zu begegnen. Wer nicht krankhaft zur Selbstberuhigung neigt, der wird sich davon aber nicht viel versprechen. Sicher ist es notwendig, etwa die Unschuldsvermutung als Errungenschaft eines zivilisierten Rechtsstaates zu verteidigen und entsprechende Sanktionen zu setzen – wer aber einmal in den Fokus boulevardesker Berichterstattung geraten ist, der wird breiten Bevölkerungsschichten auch dann als schuldig erscheinen, wenn jeder Bericht mit der alibihaften Floskel „Es gilt die Unschuldsvermutung“ versehen ist. Wessen Identität, sei es als Opfer oder Täter, einmal preisgegeben ist, der mag Anträge stellen und Entschädigungen begehren, in den schützenden Arkanbereich der Unerkanntheit wird er nichtmehr zurückfinden. Und wessen Ruf in der Öffentlichkeit durch Zeitungsberichte beschädigt ist, dem helfen auch Privatanklagen nicht.

Man kann es, wiedies Max Burckhard vor mehr als 100 Jahren getan hat, deutlich aussprechen: „Es ist ein wesentliches Erfordernis für die menschliche Freiheit, dass die Presse, die öffentlichen Interessen dienen soll, sich nicht in den Dienst der gemeinen Instinkte des Publikums, seiner Tratsch- und Skandalsucht stellt. Ob der Tratsch wahr ist oder nicht, darauf kommt es gar nicht an, und dass er nichts Ehrenrühriges enthält, entzieht seiner Verbreitung erst recht jede Berechtigung.“ Und man könnte dann einiges fordern, um den damit verbundenen Missständen Herr zu werden. Wer, mag er auch aufrichtig in Sorge über den Zustand unserer Presse sein, derart zielt, der wird sich darauf hinweisen lassen müssen, dass es keine Basis für ein derartiges Vorgehen gibt. Es gibt unter kapitalistischen Bedingungen schlechterdings keine Presse und ganz generell keine Massenmedien, die an sich selbst den Anspruch stellen würden, dem „öffentlichen Interesse“ zu dienen – sie alle dienen nur sich selbst und ihren Eigentümern. Und deren Interesse geht nicht ums „öffentliche Wohl“, sondern um die mit möglichst erfolgreicher Anzeigenbewirtschaftung verbundenen Gewinne.

Was ist daraus zu schließen?

Wer sich auch am Beginn des 21. Jahrhunderts noch den Zielen der Aufklärung, der Überwindung selbstverschuldeter Unmündigkeit verpflicht weiß, der muss sich für öffentlich-rechtliche Massenmedien einsetzen. Er muss danach trachten, dem zynischen Erwerbsstreben der privaten Massenmedien ein gesellschaftlich und politisch verantwortliches Korrektiv zur Seite zu stellen. Es ist gewiss unstrittig, dass der Staat auch eine verfassungsmäßige Verantwortung für eine freie Presse hat. Es besteht eine Schutzpflicht des Staates, von der lediglich die Frage ist, in welchem Ausmaß sie besteht.

Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat durch seine Entscheidung über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Zugabenverbotes (VfSlg. 14.725/ 1994) die Richtung gewiesen: Medien seien nicht nur eine Ware, sondern auch ein wesentliches Element der Meinungsbildung, und dies rechtfertige Maßnahmen, die der Gefährdung der Existenz kleinerer Medienunternehmen entgegenwirken.

Nun ist aber das Postulat der „freien Presse“ eine mitunter durchaus demagogische Forderung. Weil Freiheit ein relationaler Begriff ist, wäre vielmehr zu fragen: Freiheit wovon? Freiheit wozu? Das blauäugige Vertrauen darauf, dass das Bestehen einer Vielzahl von Medienunternehmen an sich schon dem öffentlichen Wohl diene, verdient aber durchaus Kritik. Denn was wäre gewonnen dadurch, wenn es zwar eine Vielzahl von Medien gibt, diese aber alle nur einem verpflichtet sind: dem Verkauf des Publikums an die Anzeigenwirtschaft?

Der VfGH unterstellt eine per se demokratiefördernde Wirkung eines plural organisierten Mediensektors. Tatsächlich entspricht eine derartige Haltung dem demokratietheoretischen Common Sens, wie er die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Genauer besehen kann man von dieser demokratie- und auch persönlichkeitsfördernden Wirkung der Medien aber nur dann ausgehen, wenn den Medien eine bestimmte Funktion unterstellt wird. Diese liberale Unterstellung beruht darin, dass in der durch Medien gewährleisteten öffentlichen Debatte am ehesten der Bezug aufs fiktive und ungewisse Gemeinwohl unterstellt und präsent gehalten werden kann.

Aber ist dem wirklich so?

Die Probleme mit dieser Unterstellung sind offensichtlich: Demokratie ist darauf angewiesen, dass immer mehr Personengruppen in den Prozess öffentlicher Debatten einbezogen werden (Inklusion). Historisch gesehen haben Medien eine entsprechende Inklusionsleistung vollbracht. Ob sie diese Funktion auch heute noch erfüllen, ist durchaus zweifelhaft – die besseren Argumente sprechen heute eher dafür, dass Massenmedien einen gravierenden Beitrag dazu leisten, große Teile der Bevölkerung vom Verständnis der politischen Mechanismen und von politischer Einflussnahme auszuschließen.

Medien bewirken ihrer Intention und ihrer Wirkung nach Öffentlichkeit. Die Medialisierung von Politik würde es an sich erlauben, kritische Betrachtungen und externe Kontrolle von Herrschenden sowie die Selbstbeobachtung von Gesellschaft zu gewährleisten (Medien als sogenannte „vierte Gewalt“). Nun ist nicht zu leugnen, dass Medien diese Funktion erfüllen, es ist aber durchaus zweifelhaft, ob sie dies heute noch in einem relevanten Umfang leisten können; viel eher ist zu vermuten, dass sich in dem Umfang, in dem sich die Politik den Medien andient, die Kontroll- und Reflexionsleistung der Medien stark nachlässt.

Und schließlich: Demokratie ist nichts anderes als eine bestimmte Form institutionell verfestigter Partizipation der vielen an dem, was man als das Gemeinsame erkannt hat. Die Mitwirkung an politischen Entscheidungen darf sich freilich, wenn sie dem Kriterium echter „Teilnahme“ entsprechen soll, nicht nur auf den Konsum der Medien beschränken, vielmehr wäre die Nutzung der Medien erst die Voraussetzung eines aktiven Engagements von Bürgerinnen und Bürgern. Vieles spricht dafür, dass heute die Mediennutzung weniger denen dient, die von politischen Entscheidungen ausgeschlossen sind, vielmehr kommt die Nutzung der Medien fast nur jenen zugute, die entweder professionell oder ehrenamtlich ohnehin schon im politischen Entscheidungsprozess tätig sind und sich durch Wahlen akklamieren lassen, oder auch jenen, die bei der Mediennutzung wie in der tagtäglichen beruflichen und außerberuflichen Kommunikation am stärksten an Politik interessiert sind und als „Meinungsführer“ regelmäßig über politische Zusammenhänge kommunizieren. Eine partizipationsfördernde Wirkung haben Medien also bestenfalls für diejenigen, die ohnedies schon partizipieren – für alle anderen wird oft nur das politische Schauspiel zur Darstellung gebracht.


Viertens.Wenn dieser Einschätzung eine gewisse Realität zukommt, dann ist mit der Forderung nach privater Medienvielfalt und Medienwirtschaftspluralismus nicht viel gewonnen. Die kommerziellen Zwänge führen ja nicht nur dazu, dass alle Medien mehr oder weniger immer mehr vom immer Gleichen präsentieren, sie führen vor allem dazu, dass das, was sich unter dem Zwang beständiger Verwertbarkeit nicht als Auflagen steigernd und Reichweiten erhöhend darstellt, als Bericht nicht mehr veröffentlichenswert scheint.

Eine am öffentlichen Wohl orientierte Presse müsste daher zuerst von diesen Zwängen befreit werden. Es ist nicht absehbar, dass dies anders als durch einen gemeinsamen politischen Akt des Gemeinwesens selbst garantiert werden könnte – so wie sich ja auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht aus den Feuchtgebieten des Medienmarktes heraus entwickelt hat, sondern stets als gemeinsame politische Veranstaltung begriffen wurde. Mit der Forderung nach einem öffentlich-rechtlichen Korrektiv auch auf dem Gebiet der Presse sind sicher auch Probleme verbunden, unzählige. Der Zustand des ORF und die manchmal ins Idiotische abgleitenden Diskussion darüber legen beredtes Zeugnis ab. Aber was wäre die Alternative?


Fünftens. Es gibt gewichtige Stimmen, die unter Hinweis auf die sogenannten „Neuen Medien“ den Prozess historischer Demokratisierung durch Medien überhaupt an einem Ende angelangt sehen: „Ein historisches Höchstmaß an netzwerkartiger Inklusion und ,Partizipation‘ geht einher mit der freiwilligen Außerkraftsetzung des Bürgerstatus im ,user‘ (Nutzer) und qua Netzwerk der für westliche Demokratien typischen Repräsentation. Und Mediendemokratie zersetzt Herrschaft, ohne noch neue einsetzen zu können“, resümiert etwa Claus Leggewie 2009.

Wenn es aber über gut 150 Jahre einige Berechtigung gab, von der Demokratieaffinität der Massenmedien in modernen Gesellschaften auszugehen, so scheint es mir am Beginn des 21. Jahrhunderts eher zutreffend, vor der weiteren „Kolonisierung der Politik durch die Medien“ (so Thomas Meyer 2001in der „Neuen Zürcher Zeitung“) zu warnen.

Heute geht es in Österreich und Europa nicht mehr darum, gegen monarchische und klerikale Willkür und Ignoranz das Postulat uneingeschränkter Meinungsfreiheit zu setzen. Heut geht es darum, der kommerziell getriebenen Vermachtung des öffentlichen Raums wirkungsvolle Korrektive entgegenzusetzen. Der politische Witz der Sache besteht freilich darin, die Freiheit der Medien nicht zu beschränken, sondern öffentlich verantwortliche Medien erst wieder zu schaffen.


Postskriptum aus gegebenem Anlass: Dass diese Gedanken kein Plädoyer für die seit Jahresanfang in Ungarn geltenden Vorschriften zur Disziplinierung der Medien sind, dürfte sich von selbst verstehen. Öffentlich verantwortliche Medien können nur auf dem Boden einer freien und selbst regulierten Medienlandschaft gedeihen – massive staatliche Einflussnahme auf die Medien verhindert per se, was sie zu schützen vorgibt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2011)

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