Freud, der Krampus

Mit der Psychoanalyse, so Michel Onfray, hat Sigmund Freud bloß seine eigene Neurose zur allge-mein gültigen Theorie erhoben. „Anti-Freud“: ein Anschlag auf die Berggasse sowie eine Entgegnung.

Ich weiß nicht so recht. Soll ich überhaupt Lektüre, Arbeit, Zeit in die Besprechung dieses Buches stecken? Lohnt sich das? Die Frage lässt sich sofort und zum Glück klar beantworten:

Nein, es lohnt sich nicht. Das vorliegendeWerk (das Wort fällt hier schon schwer) ist keine ernsthafte Angelegenheit. Dafür ist es eine ernste Sache. Michel Onfrays Buch „Anti-Freud. Die Psychoanalyse wird entzaubert“ , 2010 in Frankreich erschienen und dort ein Megaseller, der alle Feuilletons beherrschte, kommt nun – mit nicht wenig lautem Getöse von Seiten des Verlages – auf Deutsch heraus. Es steht zu befürchten, dass uns nun eine ähnlicheWelle von Donnern, Rauschen und Geraune wie der französischen Öffentlichkeit ins Haus steht und wir – zum wievielten Mal eigentlich? – den alten Sigmund Freud entlarvt finden; mit ihm, als würde es sich um eine Privatsache handeln, auch die Psychoanalyse. Man kann schon nahezu damit rechnen: Alle paar Jahre muss er, der berühmteste Professor aus unserer Stadt, herhalten für eine neue, rituelle Vernichtung. Die letzte aggressive Welle von sogenanntem „Freud-Bashing“ kam aus den USA vor etwa 20 Jahren, damals war es fast ein intellektueller Tsunami, der nicht mehr und nicht weniger auslöste als die Ablösung der Psychoanalyse als hegemonialem Paradigma im kulturellen, aber auch klinischen Diskurs des Westens. Frederick Crews, ein gelehrter und witziger Literaturprofessor aus Berkeley, war damals eine der führenden Figuren im Kreuzzug gegen Freud – und eben – die Psychoanalyse.

Crews ist, wie auch Onfray, ein ehemaliger Freudianer; während Ersterer psychoanalytisch inspirierte Literaturwissenschaft getrieben hatte, brachte Zweiterer, wie er uns in einem langatmigen und selbstgerechten Einleitungskapitel wissen lässt, als Mittelschulprofessor für Philosophie seinen Schülern die Grundbegriffe der Psychoanalyse bei. Beide haben plötzlich ihre Berufung entdeckt, die Menschen vor dem Monster Freud zu warnen.

Freud als eitle, selbstsüchtige Figur

Crews Angriff war noch doppelgesichtig: Zum einen attackierte er die Psychoanalyse als „Pseudo-Science“, zum anderen aber war er der Erste (jedenfallsmit einer derartigen Breitenwirkung), der die Ebene der wissenschaftlichen Diskussion verließ und den Professor als Person an den Pranger stellte: Freud wurde bei ihm eine unmoralische, selbstsüchtige und eitle Figur, jemand, der nicht vor der Ausbeutung seiner Patienten und Mitmenschen zurückscheute und seinem Ehrgeiz alles unterordnete. Seine zwischen 1993 und 1995 sehr gut geschriebenen und außerordentlich bösartigen Essays in der „New York Review of Books“ nehmen das meiste vorweg, was sich jetzt bei Onfray findet – der es allerdings präsentiert, als wäre es eine große Neuigkeit, die wir dem Autor, und nur ihm, verdanken. Crews ist nicht der einzige Autor, auf den hier nicht Bezug genommen wird.

Auch Onfray macht sich über Freud her, wie der Hund über den Knochen, gierig und lustvoll. Eine „nietzscheanische Dekonstruktion“ Freuds hat er vor, was auch immer das sein mag. Das „Nietzscheanische“ daran besteht, soweit ich es sehe, in einem Zitat aus der „Fröhlichen Wissenschaft“ einerseits und dem Gestus des Autors andererseits. Das Zitat stellt fest, dass Philosophie möglicherweise bisher immer „nur eine Auslegung des Leibes und ein Missverständnis

des Leibes gewesen ist“. Anstatt diesen tollen Ansatz zu diskutieren, seine Implikationen

für eine psychologische Theorie zu erwägen, die mit dem Begriff des Triebes ja die Körperlichkeit des Menschenwesens ins Zentrum stellt, wie dies die Psychoanalyse tut, macht Onfray daraus ein Programm, das keiner weiteren Begründung bedarf. Er wird zeigen, so kündigt er vollmundig an, dass Freud die Verwandlung der körperlichen Bedürfnisse des Menschen in eine „Doktrin“ des Unbewussten betrieben hat, die „eine ganze Zivilisation verführt hat“, und dass die ganze Psychoanalyse nur der Reflex der eigenen, ganz persönlichen und subjektiven Gegebenheiten Freuds ist, dass er also seine eigene Neurose zur allgemein gültigen Theorie erhoben hat. Das ist natürlich kein neues Argument und noch dazu ein ganz schlechtes. Denn wie soll man sich die Geiselhaft der gesamten westlichen Zivilisation erklären? Wie ist der Psychoanalyse dieses Kunststück gelungen?

Bewusste Manipulation, Hagiografie, Unterschlagung von Beweisen, Wegschauen und Beschönigen, alles das wirft Onfray Freud und seinen Nachfolgern vor und meint – ganz nietzscheanisch –, dass es ihn, den Helden, braucht, um endlich die ungeschönte Wahrheit ans Tageslicht zu befördern: Freud hat nicht nur mit seiner Schwägerin geschlafen, er war nicht nur homophob, er hatte nicht nur Sympathien für den Faschismus, er war nicht nur ein wissenschaftlicher Betrüger und Hochstapler, er hat auch noch die Grundtheorien der Psychoanalyse, den Ödipus-Komplex, ausschließlich als Extrapolationen seiner eigenen Verfasstheit entworfen – und die ganze Welt ist ihm darauf hereingefallen!

Nun aber kommt der strahlende junge Held, Michel Onfray, und überzieht das „freudsche Textkorpus“ mit seinem nietzscheanisch hohnlachenden Abscheu – und endlich erwacht die Menschheit, sodass sogar „Le Figaro“ es verstanden hat: „Eine donnernde Anklage – Freud wird der Prozess gemacht!“ Der französische Originaltitel gibt die Nietzsche-Imitation noch besser wieder: „Le cr´epuscule d’une idole – L’affabulation freudienne“ – übersetzt in etwa „Idoldämmerung – das freudianische Märchen“. Freud als Götze, der von Onfray-Nietzsche entthront wird. Der deutsche Verlag hat auf das Cover des Buches ein Porträt Freuds gestellt – was auch sonst!? Es ist der berühmte Kupferstich von Ferdinand Schmutzer, der ihn ein wenig dämonisch aussehen lässt – Freud mochte das Porträt gar nicht. Aber hier wachsen ihm mit rotem Stift gezeichnete kleine Hörner auf dem Kopf, er streckt uns die Zunge heraus, und damit wir es ja kapieren, ist auch noch ein Teufelsdreizack da – Freud, der Krampus. Der Nietzsche-Gestus liegt Onfray. Er hat darin auch schon Übung: Sein 2005 erschienenes Buch „Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muss“ fand bei den Rezensenten der großen deutschsprachigen Zeitungen keine Gnade, „schlecht und ressentimenthaft“, „geschwätzig und selbstgefällig“ wurde es genannt, und der Rezensent der „FAZ“ hatte damals den gleichen Ennui wie ich zu bekämpfen – am liebsten würde man das Ding weglegen, hätte es nicht diesen sagenhaften Erfolg gehabt, der zur Kenntnisnahme zwingt.

Und wozu das Ganze? Woher der Affekt, der Gestus, der Erfolg? Onfray attackiert die Denkmäler, die Selbstverständlichkeiten und die Diskursmachtstrukturen, mit denen er selbst aufgewachsen ist (und er erspart seinen Lesern auch nicht selbstenthüllende Einblicke in eine Biografie, die er – ganz psychoanalytisch, möchte man meinen – zur Begründung seines Hasses anführt), wenn er gegen die beiden „Götzen“, Gott und Freud, anrennt und seine libertäre und schlecht informierte Philosophie dagegensetzt. Er stilisiert sich als ein wahrer Volksaufklärer, der an seiner „Universit´e populaire“ in Caen in der Normandie, wo er sein Leben lang gelebt hat, die dissidenten und unbekannten Philosophen lehrt und ausgräbt – aus dem Bereich der Psychoanalyse etwa findet einzig Wilhelm Reich Gnade vor seinen Augen, alles andere in dieser langen Tradition von psychologischem Denken und klinischem Handeln fällt unter das selbstherrliche Verdikt dieses Provinz-Nietzsches.

„Sinnfreies Brandgeschoss“

„Doch warum soviel Hass?“, fragt auch – ratlos fast – Elisabeth Roudinesco mit dem Titel ihres kleinen Buches. Die prominente Historikerin der Psychoanalyse ist eine gewichtige Stimme im politisch-intellektuellen Diskurs Frankreichs. Das Büchlein versammelt neben ihrer eigenen Auseinandersetzung mit dem „sinnfreien Brandgeschoss“, wie sie gleich zu Beginn schreibt, auch einige kritische Artikel anderer Autoren. Vor allem ihr Aufsatz räumt gründlich mit Onfray auf und sei daher der Lektüre nachdrücklich empfohlen. Am – scheinbar marginalen – Beispiel der Bibliografie lässt sich das gut zeigen. Onfrays Buch hat keinen Apparat, kein Literaturverzeichnis, auf das sich seine Argumente rückbeziehen ließen. Genau das schreibt Roudinesco, und natürlich ist das ein schwerwiegendes Argument gegen ein Buch, das mit einer ganzen Tradition aufräumen will. Man sollte meinen, so was macht man eher sorgfältig und entsprechend aller akademischer Gepflogenheiten.

Onfray beschwert sich lauthals, natürlich habe er eine Bibliografie, die sogar sehr dick sei. Also schaut man lieber selbst nach und findet eine wirre Zusammenstellungder Lektüren Onfrays, die er bereits mit Empfehlungen versehen hat (wie ein Lehrer, der seine Schüler vor schlechten Büchern warnt und die guten lobt) und die bestenfalls eines zeigen: Er hat keine Ahnung oder verschweigt seine Inspirationen bewusst. Das scheint mir typisch für diesen Autor: Er macht eine intellektuelle Sauerei, und dabei ertappt, schreit er laut, wie ungerecht, wie böse!

Diesen Gestus der Schuldumkehr kennen wir in Österreich ja nur zu gut. Interessant ist allerdings, dass der deutsche Verlag – Knaus, zu Random House gehörend – dem kleinen Wiener Turia + Kant Verlag verweigert hat, die Druckfahnen des „Anti-Freud“ zu konsultieren, um die Literaturstellen in Roudinescos Buch mit der deutschen Ausgabe von Onfray anzugleichen.Warum nur? Die Übersetzer haben übrigens noch eine ganze Latte von Büchern angefügt, die sie für die Erstellung der deutschen Ausgabe konsultiert haben wollen, aber auch hier fehlen Nachweise und Fußnoten; ein bissel den Anschein von Seriosität herstellen, das mag wohl die Absicht gewesen sein, allein, der Leser merkt’s und ist verstimmt.

Die Psychoanalyse wird im Hassgerede Onfrays eine geldgierige, perverse Verschwörung, die von einem atheistischen Juden inWien erfunden wurde. Diese Melodie haben wir doch schon einmal gehört? Die Reihe Geld – Gier – Perversion erniedrigt den Gebrandmarkten vollkommen und auf allen Ebenen, so in Roudinescos Band. Das ist auch die Absicht, da mag einer noch so viel schreien, das sei eine böse Unterstellung. Zwar wies Onfray jeden Verdacht des Antisemitismus zurück, der natürlich auch in Frankreich erhoben wurde, aber wir kennen unsere Pappenheimer. Das machen sie ja immer so.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 9. April 2011)

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