Richtige Lottozahlen – ohne Gewinn

Vor 20 Jahren hat gewisser Jean-Marc Bosman den Fußball verändert. Er wurde zu einer tragischen Figur.

Es ist 20 Jahre her, dass ein Urteil den Fußball in Europa völlig verändern sollte. Es war der 15. Dezember 1995, ein Tag, der das bis dahin gängige Transfersystem beendete. Es war der Anfang vom Ende der Ausländerbeschränkungen. Die Spieler wurden freier – und reicher. Das Geld blieb früher im Transferkreislauf der Vereine, heute profitieren die Profis, die Spitzengehälter sind explodiert, die Spielerberater lachen sich ins Fäustchen. Hannes Kartnig, der ehemalige Präsident von Sturm Graz, hat einmal gesagt: „Die Spieler haben die Macht übernommen seit dem Bosman-Urteil. Menschenhändler und Vermittler diktieren die Preise.“

Viele Spieler von heute, die vom Bosman-Urteil profitieren, haben keine Ahnung mehr, wer dieses Transfersystem eigentlich zum Kippen gebracht hat. Ganze Mannschaften haben von seiner Vorarbeit profitiert – und sie tun es auch heute noch. Er selbst allerdings ist leer ausgegangen. Seine Karriere war zu Ende, als er mit 26 Jahren seinen Klub (RFC Lüttich) klagte. Und er bekam auch kein anderes Angebot mehr. Seine Frau verließ ihn wegen finanzieller Schwierigkeiten, während des Rechtsstreites hat er sich hoch verschuldet und zeitweise sogar in der beheizten Garage seiner Eltern Zuflucht suchen müssen. „Ich hatte Selbstmordgedanken. Damals bin ich durch die Hölle gegangen!“ Erst neun Jahre nach Beginn des Prozesses, der Tausende seiner Kollegen zu Multimillionären machte, bekam er eine Entschädigung von 780.000 Euro. Mit diesem Geld hat er sich ein Häuschen gebaut. Bei Lüttich. Mit Swimmingpool.

Jean-Marc Bosman ist mittlerweile verarmt. Im Internet hat er seit Jahren einen Platz in der Liste berühmter Belgier. Er selbst formuliert seine Situation so: „Ich fühle mich wie einer, der die richtigen Lottozahlen erraten hat – ohne am Gewinn beteiligt zu werden.“ Der heute 50-Jährige ist am Ende. 2013 musste er sogar für ein Jahr ins Gefängnis. Er hatte 2011 unter Alkoholeinfluss seine Freundin und deren Tochter geschlagen, daraufhin gegen die Bewährungsauflagen verstoßen.

Bosman ist tief und hart gefallen. „Wenn sich alle bereichern und du stürzt ins Elend: Das tut sehr weh. Ich war dem Alkohol verfallen, hatte Depressionen. Wenn ich allein war, habe ich Musik gehört, habe getrunken, alles vergessen und einfach nur geweint. Der Alkohol war mein Weg, um Probleme zu bekämpfen und die Armut zu vergessen.“

Heute ist Jean-Marc Bosman trocken, gegen die Depressionen schluckt er Pillen. Und sein Einkommen bezieht er von der Sozialhilfe. „Sie haben mich benutzt. Fußball ist ein sehr egoistisches Milieu. Für die Spieler ist es heute selbstverständlich, dass sie so viel bekommen. Aber sie sollten sich daran erinnern, warum sie so viel Geld verdienen.“

E-Mail: wolfgang.wiederstein@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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