Das Nationalteam als Versuchsfeld

Selbst ein Star wie David Alaba braucht klare Vorgaben, denn seine Rolle als Team-Freigeist birgt Gefahren.

David Alaba ist ein außergewöhnlicher Fußballer, daran gibt es keinerlei Zweifel. Der 23-Jährige ist das Gesicht der Nationalmannschaft, Fans wie Teamkollegen schätzen seine Qualitäten. Bei Bayern München ist der Wiener behutsam aufgebaut worden. Aus einem hochgelobten Talent wurde ein Weltklasseathlet geformt, auf der Position des linken Verteidigers zählt Alaba zur absoluten Elite.

Der Wiener ist ein Hochbegabter im Umgang mit dem Fußball, was für seine Entwicklung jedoch nicht unbedingt von Vorteil ist. Der nach England abgewanderte Pep Guardiola versuchte sein Liebkind verletzungsbedingt an beinahe allen Positionen. Alaba funktionierte auch außerhalb seines gewohnten Metiers; mal besser, mal schlechter. Über sich selbst sagt der Alleskönner: „Ich bin ein flexibler Spieler, der auf mehreren Positionen spielen kann, auch in einem Spiel.“

Im Nationalteam wird Alaba von Teamchef Marcel Koller anders als bei Bayern im zentralen Mittelfeld aufgeboten. Für den Linksfuß ist dieser Umstand ein Segen, er sieht sich ohnehin seit jeher als Mittelfeldspieler. Streift er das ÖFB-Trikot über, genießt er Freiheiten wie er sie aus München in dieser Form nicht kennt. Dann ist er Sechser, Achter und hängende Spitze in Personalunion. Überall – und doch nirgendwo auf dem Platz zu finden.

Dieses Freigeist-Dasein mag im Spiel nach vorn mitunter befruchtend, weil unberechenbarer wirken, es birgt jedoch auch Gefahren. Erst im letzten Test vor der Euro gegen die Niederlande taten sich vor der Abwehr teilweise große Lücken auf, deren Ursprung in Alabas Feldposition wurzelte. Julian Baumgartlinger hat oftmals als Einzelkämpfer agiert, doch er allein wird bei dieser EM unmöglich alle Löcher stopfen können.

Alabas Anspruch, sich verstärkt in das Spiel einbringen, es regelrecht an sich reißen zu wollen, ist keineswegs verwerflich. Allein, es braucht klare Vorgaben taktischer Natur und – speziell im zentralen Mittelfeld – weiterer Erfahrung. Sammeln kann Alaba diese momentan nur im Nationalteam, es dient ihm sozusagen als Versuchsfeld. Ob es bei einem Turnier das passende Experiment ist, einen Freigeist zu installieren, muss bezweifelt werden.

David Alaba ist ein außergewöhnlicher Fußballer. Ein außergewöhnlicher Mittelfeldspieler ist er allerdings noch nicht.

christoph.gastinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2016)

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