Vienna: Britische Gärtner und Abstiegsgespenst

Vienna Britische Gaertner Abstiegsgespenst
Vienna Britische Gaertner Abstiegsgespenst(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Josef Bollwein)
  • Drucken

Die Vienna ist ein Verein voller Tradition, die Hohe Warte lässt noch den Glanz alter Zeiten erahnen. Heute spielt der älteste Fußballklub Österreichs in der zweiten Liga. Und doch ist die Vienna auch im Jahr 2012 kein Verein wie jeder andere.

Bring back, bring back, oh bring back Vienna to me, to me.“ Selbst wenn die Vienna hoch verliert, geht sie zumindest nie sang- und klanglos unter. Die Fans auf der Hohen Warte singen auch bei Niederlagen – und seien es auch eher ironische Lieder. Am Freitag gab es aber sogar Grund zum Jubeln für die Vienna-Fans. Die Döblinger besiegten auswärts Blau-Weiß Linz 1:0 und haben damit wieder Hoffnung im Abstiegskampf. Auch wenn der Sieg mehr als glücklich war, zumal den Linzern ein reguläres Tor aberkannt und ein klarer Handelfmeter verwehrt wurde. Doch Glück, das wird die Vienna heuer bitter benötigen.

In der vierten Saison nach dem Wiederaufstieg ist man zum vierten Mal in den Abstiegskampf verwickelt. Die Zeiten, in denen sich in der riesigen Naturarena in Wien Döbling Zigtausende Zuseher am Fußballspiel delektiert haben, sind lange vorbei. Heute kommen 1500 bis 2000 Getreue zu den Spielen der zweiten Liga auf die Hohe Warte. Bereits auf dem Weg zur Tribüne werden sie durch die Büste von Karl Decker an bessere Zeiten erinnert. An Zeiten, in denen auch Weltklassespieler wie Karl Koller, Hans Buzek oder später ein Mario Kempes den blau-gelben Dress überstreiften. Heute spielt ein Team ohne Stars, zu dem selbst eingefleischte Vienna-Fans wenig Bezug haben. Der von Präsident Herbert Dvoracek eingeschlagene Sparkurs machte es nötig, fast die gesamte Mannschaft der Vorsaison zu opfern und auf billigere Spieler zu setzen. Zudem versucht der Verein, mit allen Mitteln Geld in die Vereinskasse zu bringen. Sei es mit einer Sponsorentombola, einer gesponserten Hollywood-Schaukel auf dem Spielfeldrand, oder sei es gar mit dem angedachten Verkauf eines Teils des Grundstücks auf der Hohen Warte.

Wenn die Vienna noch größer in die Schlagzeilen gerät, dann vor allem wegen Aktionen ihres Trainers, Alfred Tatar. So pries er etwa in einem TV-Interview die wenig kunstsinnige Taktik seines Vereins als „ganz modernen Brechstangenfußball“ und als „Antihese von Barcelona“ an. Der TV-Reporter musste vor lauter Lachen das Interview abbrechen. Bei Niederlagen bezeichnet Tatar aber sein Team auch schon als die „dümmste Mannschaft der Welt“. Oder er spielt an der Outlinie „Schwalben“ nach, die er auf dem Spielfeld gesehen haben will. „Trainerphilosoph“ Tatar würde mit seiner skurrilen Art ja an sich gut zur Vienna passen. Als er in der Saison 2010/11 mit der Vienna gerade noch den rettenden Relegationsplatz erreichte, kauften die Anhänger T-Shirts mit Tatars Konterfei im Che-Guevara-Look und dem adaptierten Spruch „Viva la Relegation“. Doch die Erfolglosigkeit nagt auch an Tatar. Aber während mit Kurt Garger diese Woche ein neuer „sportlicher Leiter“ bestellt wurde, blieb Tatar als Trainer im Amt. Ein neuer Trainer würde schließlich auch wieder Geld kosten.

Sparzwänge bei der Vienna? Das hätten sich ihre Gründer nicht träumen lassen. Der Verein geht auf Baron Nathaniel Rothschild zurück. Als seine britischen Gärtner den Fußballsport von der Insel importierten, war das dem geliebten Rasen des Barons abträglich. Er verbot den Gärtnern das Ballspiel im Garten, mietete ihnen aber im Sommer 1894 einen ersten Spielplatz an und finanzierte die Mannschaft: Es war die Geburtsstunde des ersten österreichischen Fußballklubs, des „First Vienna Football Club 1894“, wie die Vienna bis heute korrekt heißt. Die blau-gelben Dressen der Vienna erinnern an die Familienfarben der Rothschilds.


Vom Meister zum Witzobjekt. Obwohl von Briten gegründet, wurde die Vienna schnell Teil der Wiener Fußballkultur. Auch wenn manch Wiener zunächst lieber verkleidet und mit falschem Bart aufgelaufen sein soll – der neue Sport galt gesellschaftlich noch nicht als besonders anerkannt. Immer mehr Vereine folgten aber dem Beispiel der Vienna. Als die erste offizielle Meisterschaft in Österreich 1911 startete, hatten die Döblinger schon viel Konkurrenz bekommen. 1931 gelang den Blau-Gelben aber der erste Meistertitel, fünf weitere folgten. Über Jahrzehnte hinweg stellte die Vienna wichtige Nationalspieler, selbst das legendäre österreichische Wunderteam war mit blau-gelben Spielern gut bestückt. Der letzte Meistertitel datiert aber aus dem Jahr 1955. Vor allem ab Ende der 1960er-Jahre verlor die Vienna an Bedeutung. Die Döblinger wurden zu einer Fahrstuhlmannschaft, die zwischen der ersten und zweiten Liga hin- und herpendelte. Das Zuschauerinteresse wurde geringer, die Vienna zum Ziel von Witzen: „Ruft ein Mann auf der Hohen Warte an und fragt, wann das Spiel beginnt.“ Antwort des Vienna-Sekretariats: „Ja, wann hätten Sie denn Zeit?“ Auch Austropop-Legende Kurt Ostbahn widmete sich dem Niedergang des ältesten Fußballvereins: „Heit fliagt da Fernseher ausm Fenster, weu die Vienna hot scho wieder valuan“, heißt eine Strophe im Lied „Haasses Pflaster“.

Die letzte Zeit als Spitzenklub erlebte die Vienna in den 1980er-Jahren. Hans Krankl, der argentinische Weltmeister Mario Kempes, aber auch ein Andreas Herzog oder Peter Stöger spielten in Blau-Gelb. 1989 qualifizierte man sich ein letztes Mal für den Europapokal. Obwohl man immer wieder gute junge Spieler hervorbrachte und etwa Ivica Vastić zum ersten Engagement in Österreich verhalf, ging es mit dem Klub bergab. 1993 musste man wieder in die zweithöchste Liga. Berühmt wurde die Vienna in den Neunzigerjahren immerhin dafür, dass sie nach einem Probetraining einen gewissen Jimmy Floyd Hasselbaink nicht als stark genug für die zweite österreichische Liga einstufte. Der Niederländer musste nun statt bei der Vienna doch bei Atletico Madrid und Chelsea Karriere machen. Die Vienna hingegen stieg 2001 erstmals in der Vereinsgeschichte in die dritte Ebene, in die Regionalliga Ost, ab.


Bunte Anhängerschaft. Doch selbst in den Regionalligajahren verfügte die Vienna über eine bunte Anhängerschaft. Der klassisch-bürgerliche Döblinger nimmt in der Mitte des Stadions Platz. Der eher alternative Fanblock gibt sich samt Dudelsackspieler lautstark von der rechten Seite der Tribüne zu erkennen. Doch warum geht man noch auf die Hohe Warte? Der Verein gilt gemeinhin als sympathisch. Auch die Fankultur zieht Leute an – Hassparolen wie in anderen Stadien wird man auf der Hohen Warte vergeblich suchen. Zudem lebt die Vienna von der Tradition und von der Faszination, die ihr Stadion ausstrahlt. Auch das Nationalteam trug bis 1936 seine Spiele auf der Hohen Warte aus, gegen Italien kamen im Jahr 1923 sogar 85.000 Zuseher. Heute sind die morschen Bänke abgerissen. Aus Sicherheitsgründen dürfen keine 6000 Zuseher mehr ins Stadion, und diese sollten laut behördlicher Anweisung auf der Beton- und nicht auf der Naturtribüne Platz nehmen. Daran halten sich freilich nicht alle.

Der Aufstieg aus der Regionalliga scheiterte oft knapp. Bezeichnenderweise heißt ein über die Vienna gedrehter Film „Es geht sich immer nicht aus“. 2009 aber schien sich der Erfolg einzustellen. Unter Trainer Peter Stöger gewann die Vienna das Stadthallenturnier und stieg in die zweithöchste Spielklasse (die aus Marketinggründen „Erste Liga“ heißt) auf. Dem Traum von einem erfolgreichen Comeback folgte Ernüchterung. Auch Trainerwechsel änderten nichts daran, dass der Vienna immer das Abstiegsgespenst im Nacken sitzt.

Was den Fans bleibt, ist die spezielle Stimmung, die im nebligen Herbst wieder auf der Hohen Warte Einzug hält. Eine Mischung aus Tristesse und dem erhebenden Gefühl, an einer historischen Stätte zu sein, wo einst großer Fußball gespielt wurde und Menschenmassen lange für Karten anstanden.

Am nächsten Freitag fordert die Vienna den TSV Hartberg. Es soll noch Karten geben.

Daten

Die Gründung. Am 22.August 1894 gründet sich in Wien Döbling der „First Vienna Football Club“. Gerade noch rechtzeitig, denn nur einen Tag später reichen die „Cricketer“ aus dem Prater ihre Gründung ein – und machen ein langes Gesicht, als klar wird, dass sie nicht der erste Wiener Fußballklub sind. Dafür gewinnen die Cricketer das erste Match gegen die Vienna 4:0.

Das Stadion. Die ersten Spiele trug die Vienna auf der Kuglerwiese aus, 1896 erfolgte der Umzug auf die Kreindlwiese, die neben dem Blindeninstitut auf der Hohen Warte lag. 1921 wurde das heutige Stadion auf der Hohen Warte eröffnet. Die Gazetten priesen die riesige Stätte an und zogen Parallelen zum Londoner Wembley Stadion.

Die Erfolge. Die Vienna wurde sechsmal österreichischer Meister (1931, 1933, 1942, 1943, 1944, 1955) und dreimal Cupsieger (1929, 1930, 1937). 1931 gewann sie den Mitropapokal (Vorgänger des Europacups), 1943 holte die Vienna den Tschammerpokal (deutscher Fußball-Cup).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.