Rapidlegende Panenka: "Weniger Geld, viel mehr Spaß"

hatten weniger Geld dafuer
hatten weniger Geld dafuer(c) APA (IRENE ZOEHRER)
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"Die Presse am Sonntag" hat Antonín Panenka in Prag getroffen und mit dem Ex-Rapidler über die nahende Weltmeisterschaft, die Freiheit in Hütteldorf und den Kraftfußball von heute geplaudert.

Sie wurden „Freistoßkönig“ genannt, waren 1976 Europameister mit der damaligen ČSSR, Publikumsliebling bei Rapid, haben den vielleicht kühnsten Elfmeter in der Geschichte des Weltfußballs verwandelt. Was erwarten Sie von der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika?

Antonín Panenka: Schwer zu sagen, was dort passieren wird. Spanien ist der große Favorit. Dann kommen Brasilien und Argentinien dazu. Und Deutschland muss man auch immer auf der Rechnung haben. Aber was ist beispielsweise Argentinien wert, wenn ein Lionel Messi ausfallen sollte? Ein großes Turnier wird auch im Kopf entschieden. Man muss dort hinfahren, um eine Medaille zu gewinnen. Das ist entscheidend. Manchmal habe ich den Eindruck, einige Mannschaften sind schon mit dem Aufstieg in die Hauptrunde zufrieden. Oder mit einem Viertelfinale. So holt man keinen Titel.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Fußball?

Ich kann mit Fußball nichts anfangen, der ausschließlich ergebnisorientiert gespielt wird. Ich bin ein Fan des technischen Fußballs, ich liebe die kreativen Spieler. Die lustigen eben. Aber solche Dinge kann man immer seltener bewundern. Es geht um so viel Geld, da geht der Spaß verloren. Der Druck wird größer, alles wird brutaler. Da kommt die Psyche nur schwer mit. Früher hat es in jeder Mannschaft zwei oder drei kreative Geister gegeben – heute sehe ich oft keinen einzigen.

Und wenn, ist es meist ein Legionär . . .

Ich gebe zu, dass ich auch ein Problem mit der kompletten Öffnung der Legionärsbestimmungen habe. Es gibt einfach zu viele ausländische Profis bei vielen Klubs. Chelsea hat eine Zeitlang mit nur einem Engländer gespielt. Das ist nicht normal. Ich verstehe das nicht.

Bohemians Prag, wo Sie Präsident sind, kommt auch nicht ohne Legionäre aus . . .

Meine Einstellung und Meinung ist: Ein Legionär muss um 30 Prozent besser sein als der einheimische Spieler. Wir haben auch Legionäre, aber mit Maß und Ziel. Einer kommt aus Usbekistan, einer aus Ungarn, einen Franzosen haben wir uns ausgeborgt. Bei uns ist das ein bisserl etwas anderes, weil wir gegen den Abstieg spielen. Wir haben wenig Geld, müssen schauen, dass wir über die Runden kommen.

Das heißt, Bohemians Prag praktiziert in Ihren Augen einen Antikick?

Das wäre dann doch etwas übertrieben formuliert. Wir sind zu schwach, wir können keinen anderen Fußball zeigen. Wir haben keinen kreativen Spieler. Und es gibt auch keinen kleinen Panenka hier. Der ohnehin kaum Freistöße bekäme. Ich glaube, wir hatten in den vergangenen Monaten nur einen einzigen verwertbaren Freistoß. Wir haben auch die wenigsten Tore der Liga erzielt. Wir kämpfen mehr.

Hätten Sie gedacht, dass Sie einmal als Fußballpräsident in Pension gehen?

Bohemians Prag ist 2005 in Konkurs gegangen. Wir haben keine Lizenz mehr bekommen, mussten in die dritte Liga absteigen. Dann haben die Fans begonnen, für den Verein zu sammeln, man ist an mich herangetreten, ob ich helfen kann. Und da konnte ich nicht ablehnen. Ich bin ja nur Repräsentant, ich helfe bei der Sponsorensuche.

Der tschechische Fußball ohne Bohemians, das wäre wohl schlimm...

Ja, Bohemians hat Tradition, darum haben wir auch überlebt. Wir hatten in der dritten Liga bis zu 6000 Zuschauer, heute kommen 7000. Mehr ist in unserem alten Stadion leider nicht möglich. Aber wir geben unser Bestes.

Wie beurteilen Sie das Niveau der Liga in Tschechien?

Die Qualität unseres Fußballs hat gelitten. Darum sind wir auch bei der Weltmeisterschaft nicht dabei. Unsere besten Spieler der vergangenen Jahre sind nicht mehr dabei, darum haben wir Probleme. Es gibt keinen Nedvěd, keinen Šmicer, keinen Koller und keinen Poborský mehr. Dazu kommt, dass die Stimmung in der Nationalmannschaft nicht gut ist. Es passt eben nicht mehr so wie früher. Spieler im Ausland haben wir noch genug, aber die großen Stars nicht mehr. Die Liga ist ganz in Ordnung, aber auch nicht total aufregend. Man kann sie durchaus mit Österreich vergleichen.

Würde Salzburg in Tschechien Meister werden?

Das ist möglich. Naja, ich glaube schon. Rapid könnte auch zwischen Platz eins und drei landen. In Österreich kann Rapid heuer leider nicht mehr Meister werden, das geht sich nicht mehr aus. Tut mir leid für Peter Pacult.

Wie oft kommen Sie noch nach Wien?

Fünf-, sechsmal im Jahr. Herbert Funki Feurer hat den Legendenklub gegründet, da bin ich dabei. Das macht Spaß. Ich habe noch oft Kontakt zu Feurer, Garger, Keglevits und Hickersberger. Die Zeit bei Rapid war für mich eine sehr schöne.

Wie hat sich der Transfer damals zu Rapid abgespielt?

Nach der Europameisterschaft 1976 ist der Verband ein bisserl unter Druck gesetzt worden. Man musste 32 Jahre alt sein – und 50 Länderspiele für die ČSSR gemacht haben. Von unserer Mannschaft sind da nur vier Spieler infrage gekommen. Wir haben grünes Licht bekommen.

Konnten Sie damals auch ein Wörtchen mitreden, wohin die Reise gehen soll?

Die Auslandstransfers sind über eine Agentur gelaufen. Ich hatte zunächst ein Angebot von Lokeren aus Belgien. Aber da war ich noch zu jung. Später habe ich erfahren, dass Rapid, Real Murcia aus Spanien und Djurgaarden um mich angefragt haben. Wir konnten uns aber nicht viel aussuchen. Rapid war sehr korrekt, sehr bemüht. František Veselý war schon in Wien, der alte Pepi Bican hatte auch dort gespielt. Daher ist die Wahl auf Rapid gefallen.

Sie haben gewusst, was Rapid hierzulande bedeutet?

Ich habe von dem Verein nichts gewusst. Nicht einmal die Vereinsfarben habe ich gekannt. Wien war gut für mich, nicht so weit weg von Prag. Und es gab eine tschechische Schule für meine Tochter. Von der Mentalität der Österreicher her war das alles ideal. Was hätte ich denn mit meinen 32 Jahren in Spanien machen sollen? Die Liga ist stark und hart. Das wäre schon ein Problem gewesen. Dann hätte ich vielleicht nur ein Jahr durchgehalten. Und bei Rapid hat sich ja alles ganz toll entwickelt. Mit Bohemians war ich nie Meister, wäre es auch nie geworden.

Wissen Sie noch, wie viele Tore Sie für Rapid erzielt haben?

Das weiß ich ganz genau. Für Bohemians Prag waren es 77 – und für Rapid waren es auch 77. Davon waren ungefähr ein Drittel Freistöße. Stolz bin ich darauf, dass ich das schönste Tor der letzten 30 Jahre in Österreich erzielt habe: Es war der vierte Treffer beim 5:0 gegen Wacker Innsbruck. Die Ehrung hat natürlich einen Ehrenplatz bei mir daheim.

Sie haben damals den Tormann spektakulär überhoben...

Mein Ziel war immer, dass mich das Publikum gern hat. Ich war ja in Wien ein Unbekannter, aber es ist mir zum Glück gelungen, bei Rapid zu einem Liebling zu werden. Das war mir immer sehr wichtig. Die Zuschauer mussten zufrieden sein. Und die Zeit bei Rapid war sehr erfolgreich. Ich bin zweimal Meister geworden, dreimal haben wir den Pokal geholt. Und wir sind im Europacupfinale gestanden. Wir waren eine tolle Mannschaft.

Die einen erfolgreichen Trainer hatte . . .

Ja, Otto Baric. Ein guter Taktiker. Und ein Mensch. Ich werde nie vergessen, dass er mir einmal am Vortag eines Spiels ein Bier aufs Zimmer gebracht hat. Weil er gewusst hat, dass ich gern Bier trinke. Am nächsten Tag habe ich zwei Tore geschossen.

Der unglaublichste Treffer aber ist im EM-Finale 1976 gelungen. Im Elfmeterschießen gegen Deutschland. Den Ball mitten aufs Tor zu schupfen – ein Zeichen von Irrwitz?

Wir waren ein tolles Team. Einfach gut. Wir haben mehr erreicht, als alle geglaubt haben. Und ich war eingeteilter Elferschütze. Gegen Holland ist es zu keinem Penaltyschießen gekommen – also habe ich es gegen Deutschland gemacht. Aber wir haben aus dem EM-Titel nichts gemacht. Es gab keine Werbung, kein Marketing. Dass wir Europameister geworden sind, das hatte aus heutiger Sicht leider fast keine Wirkung. Ein kleiner Empfang, eine Feier – das war's.

Stimmt es, dass Ihnen der legendäre Tormann Sepp Maier deswegen noch immer böse ist?

Er war böse, er hat sich fürchterlich geärgert. Aber das ist längst vergessen. Ich habe ihn ja später noch oft getroffen. Wobei Freunde immer wieder die Geschichte erzählen, dass Sepp Maier in seiner Garage eine Dartscheibe hängen hat, auf die er immer wieder Pfeile schießt – weil in der Mitte der Scheibe ein Bild von mir hängt.

Wie wurde aus Ihnen ein Freistoßkönig?

Talent muss man schon mitbringen. Aber das allein ist zu wenig. Ich habe das jeden Tag geübt. Jeden Tag nach dem Training. Solche Typen wie mich vermisse ich heute ein wenig...

Der EM-Titel bedeutete für Sie den Weg in die Freiheit. Wie haben Sie damals den Prager Frühling erlebt?

Ich war relativ jung, habe mich nur aufs Fußballspielen konzentriert. Auf einmal wurde das Training abgesagt, weil die Russen durch Prag gerollt sind. Ich habe das damals alles nicht verstanden. Ich habe nur gewusst, dass ich nicht mehr spielen kann. Drei Wochen lang wurde die Meisterschaft ausgesetzt. Niemand von unserer Mannschaft hat kapiert, welch ernste Sache das war.

Wurden Teamspieler in der ČSSR bespitzelt?

Wir haben das immer ,das kleine Auge‘ genannt. Ein Polizist in Zivil war immer dabei. Der musste dann nach den Auslandsreisen einen Bericht schreiben. Bei uns bei Bohemians Prag gab es so etwas allerdings nicht. Gott sei Dank.

Stimmt es, dass aus dem Bier- ein Weintrinker geworden ist?

Nicht ganz. Ich hatte hier in Prag zwei Jahre lang eine Konditorei, dann eine Vinothek. Aber ich habe alles verkauft. Ich wohne auch nicht mehr in Prag, sondern 35 Kilometer außerhalb Richtung Brünn. Zum Wein: Ich liebe den österreichischen Wein. Vielleicht habe ich deshalb so lange bei euch gespielt.

Wie ist eigentlich das Känguru in das Vereinswappen von Bohemians gekommen?

Das ist ganz einfach: Bohemians hat in der Saison 1926/27 eine Tournee nach Australien gemacht. Da wurden einige Spiele ausgetragen, am letzten Tag hat der Klub drei Kängurus geschenkt bekommen. Bohemians hat die Tiere aufs Schiff mitgenommen, sie in Prag dem Zoo geschenkt. Und so ist das Känguru zum Maskottchen geworden. Die großen Sprünge aber können wir heute leider trotzdem nicht machen.

Wann rasieren Sie den Schnauzer ab?

Warum sollte ich? Das ist doch längst ein Markenzeichen von mir geworden. Der kommt nie aus der Mode.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2010)

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